Gero Lücking. (Foto: Amac Garbe)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Lücking, erstmals seit Jahren gab es in dieser Woche eine gute Nachricht zu den Treibhausgasemissionen in Deutschland: Im vergangenen Jahr sind sie um 4,5 Prozent gesunken. Stimmt Sie das optimistisch?

Gero Lücking: Zu den positiven Ergebnissen haben Einmaleffekte wie der milde Winter und der Supersommer geführt. Wenn das so weitergeht, werden die positiven Effekte schon bald durch den steigenden Stromverbrauch aufgrund des zunehmenden Bedarfs an Klimatisierung überkompensiert. Dann können wir uns nicht mal mehr über Einmaleffekte wie diese freuen. Ich bleibe skeptisch.

Andererseits ist natürlich jeder Erfolg erst mal positiv.

Bei der EU-Wahl muss es um Inhalte gehen, die die Bürger bewegen – nicht darum, pro-europäische gegen anti-europäische Argumente zu stellen, fordert Linn Selle von der Europäischen Bewegung in einem Gastbeitrag. Was sind für Sie die energiepolitischen Top-Themen bei der Europawahl?

Ich habe den Eindruck, dass die EU in der Klimapolitik ihren Job sehr gut macht und ihrer Aufgabe und Verantwortung gerecht wird. Im Verkehr macht sie zum Beispiel Effizienz- und Minderungsvorgaben, die all das übertreffen, was die deutsche Autolobby und die Politik als machbar darstellen.

Die EU scheint sich mehr an den Notwendigkeiten des Klimaschutzes und den Pariser Klimazielen zu orientieren als an Partikularinteressen von Regierungen und Industrien. Sie agiert freier und unabhängiger als die deutsche Politik und ist nicht in diesem Maß einseitigem Lobbydruck ausgesetzt. Sie fühlt sich durchaus dem Gemeinwohl und den daraus abgeleiteten politischen Zielen verpflichtet.

Auch ist das Sanktionssystem beim Nichterfüllen nationaler Verpflichtungen ausgeklügelt, konsequent und zudem marktwirtschaftlich organisiert. Die europäische Ebene kümmert sich also auch direkt um die Umsetzung und denkt Sanktionen mit. So wird Deutschland in den kommenden Jahren Milliarden Steuergelder für CO2-Zertifikate aufwenden müssen, um die drohenden Strafen wegen des Verfehlens seiner nationalen Klimaziele abzuwenden.

Auch das ist nur konsequent. Damit lässt die EU diejenigen Mitgliedsstaaten wirtschaftlich profitieren, die ihre Ziele übererfüllen. Und die anderen, die die Ziele nicht erreichen, müssen sich fragen lassen, ob es nicht besser gewesen wäre, das Steuergeld in eigene Klimaschutzmaßnahmen zu investieren als an andere EU-Staaten zu überweisen.

Die wichtigste Angelegenheit, die die EU jetzt energiepolitisch vorantreiben muss, ist die Besteuerung von CO2. In Berlin wird das keiner entscheiden wollen. Das wird nur in Brüssel funktionieren. CO2-Emissionen müssen einen Preis bekommen, um klimaschädliche Technologien systematisch aus dem Markt zu drängen. Damit kann die EU auch weiterhin ein Klimaschutzmotor bleiben.

Mehr als die Hälfte von über 200 Studien zur Energie- und Klimapolitik, die die Bundesregierung seit Januar 2017 in Auftrag gegeben hat, wurde noch nicht veröffentlicht. Die Regierung will unbequeme Wahrheiten in der Schublade verschwinden lassen, glauben die Grünen. Ist das übertrieben?

Es ist unglaublich, dass man sich im Jahr 2019 noch vehement für Transparenz einsetzen muss. Die Veröffentlichung einer öffentlich bezahlten Studie sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Oder müssen uns am Ende wieder die Juristen helfen, das Informationsfreiheitsgesetz und das Umweltinformationsgesetz durchzusetzen?

Die Bürgerinnen und Bürger haben die Studien über ihre Steuergelder finanziert, also haben sie auch ein Recht zu erfahren, was drinsteht. Nationale Sicherheitsinteressen können hier wohl kaum für eine Geheimhaltung ins Feld geführt werden. Offenbar lassen sich Selbstverständlichkeiten wieder nur durch zeitraubende und teure Gerichtsverfahren erreichen.

Oder handelt es sich um eine indirekte Aufforderung an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörden, unveröffentlichte Studien gezielt nach außen durchzustechen? So kann es ja wohl nicht gemeint sein.

In welcher Verfassung müssen die Verantwortlichen in Politik und Behörden sein, wenn sie nicht einmal eine kritische Diskussion aushalten können? Glaubt man dort wirklich, auf diese Art eine Debatte vermeiden können?

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Lichtblick hat in dieser Woche in Berlin eine Studie des Hamburg-Instituts vorgestellt, die Maßnahmen vorschlägt, wie die stetig steigende Nachfrage nach grünem Strom zu einem echten Treiber der Energiewende werden kann. Angebot und Nachfrage müssten dazu besser miteinander verzahnt werden. Das ist für uns nicht unbedingt überraschend – die Überraschung könnte es geben, wenn die Politik das zügig aufgreift.

Neben einem CO2-Preis sollen nach den Ideen der Studienautoren auch neue EEG-geförderte Anlagen Herkunftsnachweise erhalten, die es ermöglichen, Strom aus neuen Wind- und Solarparks direkt zu Kunden zu liefern. Bisher ist das in Deutschland nicht möglich – im Gegensatz zu entsprechenden Regelungen im europäischen Ausland. Zudem soll die Bilanzierung vereinheitlicht werden, damit die CO2-Freiheit in der Energiebilanz der Kunden auch sauber und einheitlich ausgewiesen werden kann.

Wirtschaftsstaatssekretär Andreas Feicht hat in seiner Rede auf der gleichen Veranstaltung in Berlin von Kärrnerarbeit gesprochen, die zur Durchsetzung der Energiewende nötig sei. Die in der Studie "Ökostrom 2025" vorgeschlagenen Maßnahmen sind Bausteine dieser Kärrnerarbeit. Nur wenn die Rädchen sauber ineinandergreifen, wird die steigende Nachfrage der Kunden nach CO2-freiem Strom den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen können.

Fragen: Friederike Meier

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