Schild mit der Aufschrift
Auch die "Fridays for Future"-Proteste – hier vor dem Brandenburger Tor in Berlin – haben die Klima-Wahl möglich gemacht. (Foto: Friederike Meier)

Noch unglaublich, aber wahr: Die Europawahl 2019 wird als erste Klima-Wahl in die Geschichte eingehen – zumindest in Deutschland. Das Thema brachte endlich Zündstoff in die Schlussphase des lange Zeit eher müden Wahlkampfs, und das Ergebnis spricht für sich.

Die Parteien der inzwischen drei amtierenden Merkel-Grokos seit 2005, die die Jahrhundertaufgabe Klimaschutz schleifen ließen, sind in der Wählergunst so weit abgestürzt, dass sie zusammen nicht einmal mehr eine Regierung bilden könnten. Die Union liegt bundesweit unter 30, die SPD bei 15 Prozent.

Einziger echter Gewinner der Wahl sind die Grünen, die ihren Stimmenanteil verdoppelten und die Sozialdemokraten erstmals bei einer bundesweiten Wahl als zweitstärkste Kraft abgehängt haben. Selbst der Union kommen sie bereits gefährlich nahe. In vielen Großstädten wurden die Grünen sogar die wählerstärkste Partei. Das ist ein Signal, das Mut macht.

Es ist gewagt, jetzt schon von einer Zeitenwende zu sprechen. Doch das Ergebnis der Europawahl passt perfekt zu dem gesellschaftlichen Aufbruch, der hierzulande seit einem halben Jahr zu beobachten ist. Zuerst die "Fridays for Future"-Demos der Schüler, die Hunderttausende mobilisierten, dann eine beispiellose Solidarisierungswelle – von "Scientists for Future" über "Artists for Future" bis "Parents for Future" – und zuletzt in der Wahlwoche die enorme Resonanz auf das Video des Youtubers Rezo "Die Zerstörung der CDU", das das Versagen von Union und SPD beim Klimaschutz als eines der Hauptthemen hat. Alles Phänomene, die man noch vor einem halben Jahr nicht für möglich gehalten hätte.

Bei jungen Wählern liegt die Groko unter 25 Prozent

Das amtliche Wahlergebnis verdeckt die tatsächliche Dramatik noch, mit der die Klimaschutzbremser perspektivisch weiter in den Keller geschickt werden. Denn schaut man sich an, wo die junge Generation – die U 30 – ihr Kreuzchen gemacht hat, wird klar: Die Groko-Parteien vertreten zusammen nur noch eine Minderheit, nämlich weniger als ein Viertel (Union 13, SPD zehn Prozent) während die Grünen hier bereits auf 33 Prozent kommen.

Besonders die Union profitiert noch davon, dass ihr die Älteren die Treue halten. Zukunftsfähig ist das nicht. Seit dem Wahlabend sollte den letzten Strategen im Konrad-Adenauer- und im Willy-Brandt-Haus gedämmert haben, dass sie mit ihrem bisherigen Klimakurs zum weiteren Abstieg verurteilt sind.

Die Europawahl hat also die Chancen für eine ambitionierte deutsche Klimapolitik verbessert. Ob Union und SPD wirklich Lehren daraus ziehen, wird sich bald zeigen – nämlich daran, wie das überfällige Kohleausstiegsgesetz und das geplante Klimaschutzgesetz ausfallen und ob eine CO2-Steuerreform kommt.

Eigentlich ist die Klimaschutz-Europawahl eine Steilvorlage für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie könnte vor diesem Hintergrund endlich einmal Gründe dafür liefern, sie ernsthaft "Klimakanzlerin" zu nennen – mit Visionen, Ideen und konkreten Maßnahmen.

Dafür müsste Merkel im Kabinett einen klaren Kurs ausgeben, der sich ohne Wenn und Aber am Pariser Klimavertrag und am 1,5-Grad-Limit orientiert. Sie müsste renitente Minister in die Schranken weisen und dem Lobbydruck rückwärtsgewandter Wirtschaftsverbände widerstehen.

Schafft Merkel diese Wende beim Megathema Klimaschutz selbst jetzt nicht, wo die Chancen dafür so gut sind wie nie, sollte sie schleunigst abtreten – und zusammen mit der SPD den Weg freimachen für Neuwahlen.

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