Projektion auf die Fassade des Wiener Parlaments
Projektion auf die Fassade des Parlamentsgebäudes in Wien aus dem Jahr 2009: Die Frage ist mit Blick auf die Klimakrise aktueller denn je. (Foto: Mike Ranz/​Parlamentsdirektion)

"Für mich ist Klimaschutz unter den drei Top-Motiven, für wen ich mich bei der Wahl entscheide", erzählt Çağdaş C. am Dienstag am Rande einer Wahlkampfveranstaltung der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) in einem traditionellen Wiener Arbeiterbezirk. "There is no planet B", schiebt der Coach für Führungskräfte erklärend hinterher.

Damit liegt C. drei Tage vor der Parlamentswahl in Österreich voll im Trend. Das Eurobarometer, eine regelmäßige EU-weite Umfrage, zeigte im Sommer, dass 26 Prozent der befragten Österreicher und Österreicherinnen Klima, Umwelt und Energie-Angelegenheiten zu den wichtigsten Themen für ihr Land zählen.

Noch am vergangenen Sonntag ergab eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Karmasin Research, dass 58 Prozent der Befragten dem Satz zustimmen, dass der Klimaschutz "für die Österreicher in diesem Wahlkampf entscheidend" sei.

Dem pflichtet Julian Aichholzer vom Institut für Staatswissenschaften der Universität Wien bei. Er spricht sogar von einem "Wertewandel", wenn es um die Wahlkampfthemen für die bevorstehende Parlamentswahl geht. Das bedeute "eine klare Verschiebung der diskutierten Policies", also der Themen, die den Menschen wichtig sind.

Dies bringe, so Aichholzer, üblicherweise auch neue Konfliktlinien mit sich, doch nicht beim Klimaschutz. Hier seien sich alle Parteien in Österreich einig. "Klimaschutz will jeder", sagt der Forscher.

Österreich ruft den Klimanotstand aus

Vier Tage vor der Parlamentswahl hat Österreichs Nationalrat den Klimanotstand ausgerufen. Damit erkennt das Parlament "die Eindämmung der Klima- und Umweltkrise und ihrer Folgen als Aufgabe höchster Priorität". Nur die rechtspopulistische FPÖ lehnte den Beschluss vom gestrigen Mittwoch ab.

Die Frage sei eher: Was ist der angestrebte Zustand und wie kommt ein Land dorthin? Für ihn dürfen die Wähler und Wählerinnen entscheiden, "wer ihrer Meinung nach am fähigsten ist, die angestrebten Klimaziele zu erreichen".

Der Klimaschutz sei nicht vergleichbar mit anderen Themen, die vergangene Wahlkämpfe dominiert haben, meint Aichholzer. Denn "der Klimawandel geht nicht weg", gibt der Wissenschaftler zu bedenken. "Anders als andere Themen, die Auf- und Ab-Konjunktur haben."

Am Klimaschutz kommen Parteien auch in Österreich nicht mehr vorbei. Manche nehmen das Thema enthusiastisch auf, andere zaghafter. Man habe Angst gewisse Wählerschichten zu verlieren, erklärt Aichholzer. "Die Angst vor Autofahrern und Pendlern ist bei allen Parteien groß."

Auch Çağdaş C. fügt ein "Aber" hinzu. Klimaschutzmaßnahmen seien wichtig, "aber" man müsse den Spagat schaffen.

Die Leute müssten trotz Klimaschutz weiter ihrer Arbeit nachgehen können, meint er und drückt damit den Zweifel an möglicherweise einschränkenden Klimaschutzmaßnahmen aus, den alle zur Wahl stehenden Großparteien seit Wochen immer wieder betonen.

"Das Schnitzel darf nicht zum Luxus werden"

"Das Schnitzel darf nicht zum Luxus werden", fasste es die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner im Sommer zusammen, als in der Alpenrepublik eine CO2- und Fleischsteuer diskutiert wurde. 

De facto wird eine CO2-Steuer, zeigt ein Wahlprogramm-Check der Umweltorganisation Global 2000, von allen großen Parteien Österreichs abgelehnt. Dabei zeigen Studien einhellig, dass eine Ökologisierung des Steuersystems unabdingbar wäre, um das Klimaziel für Österreich zu erreichen.

Man müsse die Reichen mehr besteuern, betont Çağdaş C. Auch große Autos würden viel CO2 ausstoßen. "Sehr wichtig", findet auch Nine L. den Klimaschutz bei der bevorstehenden Wahl.

Die Studentin wird am Freitag, zwei Tage vor der Wahl, beim geplanten Earth Strike dabei sein. Doch der Klimaschutz dürfe den Leuten nicht wehtun, betont L.

Dennoch ist der Klimaschutz für gewisse Wählergruppen noch immer kein Topthema, schränkt Aichholzer von der Uni Wien ein. "Da gehen Themen wie Gesundheit, Pensionen oder Migration vor." Dies betreffe durchschnittlich ältere Wählerinnen und Wähler, oft Stammwähler. "Die bewegen sich nicht viel, auch nicht, wenn neue Themen aufkommen."

Der Wertewandel hin zum Klimaschutz könne aber dazu führen, dass sich einige bei der Wahl umentscheiden, anders wählen, als sie das bei der letzten Parlamentswahl 2017 getan haben. "Da wird sich viel bewegen", sagt der Forscher.

Noch scheint alles in Bewegung, nichts ist wirklich entschieden. Zwölf Prozent der Wählenden sollen wenige Tage vor der Wahl noch unentschlossen sein.  Ob sie die Parteien zu einem zweifelsfreien "Ja" zum Klimaschutz bewegen werden, ist ungewiss.

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