Die Hochhäuser der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main.
Der Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main. (Foto: Epizentrum/​Wikimedia Commons)

Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte ihre Bilanz zugunsten der Klimapolitik hebeln. Wenn sie ihr Portfolio danach ausrichtet, wie klimafreundlich ihre Anleihen sind, könnte sie ihre CO2-Intensität um 44 Prozent reduzieren. Das ist das Ergebnis einer Analyse der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.

Dabei gibt es zwei Ansatzpunkte: Zum einen besaß die Bank im September 2018 Anleihen im Wert von 2.613 Milliarden Euro, die sie im Rahmen des "Asset Purchase Programme" (APP) gekauft hat. Knapp 70 Prozent davon sind Staatsanleihen und der Rest Anleihen von Banken und Firmen.

Zum anderen hatte die EZB Anleihen für 1.596 Milliarden Euro in ihren Tresoren, die Banken als Sicherheit für Kredite hinterlegt hatten. Hier entfielen mehr als 80 Prozent auf Bank- und Firmenanleihen.

Damit kontrolliert die EZB einen erheblichen Teil der Marktkapitalisierung der verschiedenen Anleihetypen: 32 Prozent aller Staatsanleihen, 45 Prozent aller Bankanleihen und 15 Prozent aller Unternehmensanleihen. Diese Marktmacht solle die EZB bei Bank- und Firmenanleihen nutzen, fordert Bruegel.

Bei den Anleihen, die die EZB im Rahmen des APP hält, ist schnell erklärt, wie das gehen könnte. Die EZB ist "marktneutral" und kauft einfach einen bestimmten Prozentsatz aller Anleihen auf dem Markt. Damit sei das EZB-Portfolio aber nicht wirklich neutral, moniert Bruegel, denn "CO2-intensive Firmen wie Ölkonzerne, Autohersteller oder Fluglinien sind typischerweise kapitalintensiv".

Auf dem Markt seien daher Anleihen von CO2-intensiven Firmen "übergewichtet", so die Analyse. "Ein marktneutraler Ansatz führt somit dazu, dass das EZB-Portfolio relativ CO2-intensiv ist."

Anleihen von Ölkonzernen würden unattraktiver

Das moniert auch Markus Trilling vom Klimanetzwerk CAN: Mit dem APP "stockt die EZB die Bilanzen von CO2-intensiven Branchen auf". Der Thinktank Bruegel fordert daher, dass die EZB die CO2-Intensität der Schuldnerfirmen beim Kauf von Anleihen berücksichtigt. Dies würde dazu führen, dass die EZB weniger Anleihen von Ölkonzernen und mehr von Pharmaherstellern kauft. Dadurch steigen die Kapitalkosten für jene und sinken für diese.

Bei den Anleihen, die Banken bei der EZB als Sicherheit hinterlegen, ist der Mechanismus etwas komplizierter: Wenn eine Geschäftsbank der EZB eine Anleihe im Wert von 100 Euro anbietet, bekommt sie dafür einen Kredit. Wie hoch dieser ist, hängt von der Restlaufzeit der Anleihe und der Bonität des Schuldners ab. Davon abhängig bekommt die Bank zwischen 99,50 und 66 Euro.

CO2-Intensität

Die CO2-Intensität (englisch carbon intensity) ist der Kohlendioxid-Ausstoß im Verhältnis zur Produktion. Bei Volkswirtschaften wird die CO2-Intensität gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt angegeben, bei Unternehmen gegenüber dem Umsatz, bei Energieträgern gegenüber der erzeugten Energiemenge.

Hier lässt sich nun ebenfalls ein Klimafaktor einbauen, indem die CO2-Intensität des Schuldners mitberücksichtigt wird. Dies hätte zur Folge, dass eine Geschäftsbank für die Anleihe eines Ölmultis weniger Kredit bekommt als für die Anleihe einer Pharmafirma. Aus Sicht der Bank werden dadurch die Anleihen von Ölkonzernen unattraktiver und diese müssen daher höhere Zinsen bezahlen.

Doch wie groß wäre dieser Effekt? Hierzu hat die EZB im Jahr 2011 einen "Praxisversuch" unternommen: Damals begann die Zentralbank, bestimmte Firmenanleihen im Rahmen des APP zu kaufen. Das kam für den Markt unerwartet. In der Folge sank die Rendite dieser Anleihen um 0,07 Prozentpunkte oder um sieben "Basispunkte" (Hundert Basispunkte entsprechen einem Prozentpunkt).

"Ein CO2-Preis wäre die beste Lösung"

Würde die EZB nun die Anleihen von besonders CO2-intensiven Firmen in ihrem Portfolio um die Hälfte und Anleihen von Firmen mit mittlerer CO2-Intensität um ein Viertel reduzieren, hätte das den gegenteiligen Effekt wie beim "Praxisversuch": Die Kapitalkosten für besonders CO2-intensive Firmen würden um 3,5 Basispunkte und für mittelintensive Firmen um 1,75 Basispunkte steigen.

Dadurch erhielten Firmen mit geringer CO2-Intensität einen Vorteil bei der Finanzierung. Außerdem würde die CO2-Intensität des EZB-Portfolios um 44 Prozent sinken, weil darin klimafreundlichere Schuldner nun stärker vertreten wären.

Hinzu kommt ein indirekter Effekt, so Bruegel: "Anstrengungen der Zentralbank, ihre Geldpolitik grüner zu machen, hätten einen starken Signaleffekt für andere Marktteilnehmer."

Dirk Schoenmaker, Autor der Bruegel-Studie, glaubt sogar, dass der indirekte Effekt stärker sein könnte als der direkte Effekt. Diese Effekte seien zudem zum Nulltarif zu haben, sagt Schoenmaker, der Professor für Bank- und Finanzwesen an der Universität Rotterdam ist. Durch die Umstellung des EZB-Portfolios entstünden "keine zusätzlichen Kosten".

Trotzdem will die EZB an ihrem marktneutralen Ansatz festhalten. Aus ihrer Sicht sind CO2-intensive Firmen am Markt übergewichtet, weil ein CO2-Preis fehlt, der die externen Kosten von Emissionen korrekt widerspiegelt. Somit sei es Aufgabe der Politik, einen solchen Preis einzuführen und nicht Aufgabe der EZB, die Marktverzerrung wegen des fehlenden CO2-Preises nachträglich auszugleichen.

Auch für Bruegel wäre ein CO2-Preis die "allerbeste Lösung", doch "in unserer zweitbesten Welt" stelle sich die Sache anders dar: "Nichts zu tun, ist eine Entscheidung, die die EU-Klimapolitik unterminiert."

Anzeige