Zwei Baukräne.
Mit Milliardenhilfen will die EU die Wirtschaft wieder ankurbeln. Klimaexpert:innen fordern, dass der "Green Deal" für die eingesetzten Gelder maßgeblich ist. (Foto: Thomas Sondermann/​Pixabay)

Die EU soll stärker, gerechter und nachhaltiger werden – das haben sich Deutschland, Slowenien und Portugal vorgenommen, die heute gemeinsam für 18 Monate den Dreiervorsitz im EU-Ministerrat – die sogenannte Triopräsidentschaft – übernommen haben.

Deutschland macht den Auftakt und wird die Sitzungen des Rates und seiner vorbereitenden Ausschüsse und Arbeitsgruppen in den kommenden sechs Monaten leiten. Das Arbeitsprogramm dafür steht – große Ziele mit blumigen Worten finden sich darin.

Das Programm muss die Bundesregierung noch mit Leben füllen. Viel Zeit bleibt nicht dafür. Schon Mitte Juli hat Kanzlerin Angela Merkel ihre Bewährungsprobe, wenn die Staats- und Regierungschefs der EU zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um über den vorgesehenen Aufbauplan der EU zur Bewältigung der Covid-19-Krise und den neuen langfristigen EU-Haushalt beraten.

Das wird alles andere als einfach: Während Länder aus Südeuropa auf Finanzhilfen in Form von Zuschüssen ohne Vorgaben drängen, mauern Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden – die sich selbst die "sparsamen Vier" nennen – und wollen nur Kredite gegen harte Bedingungen vergeben.

Bereits ohne Coronakrise und Wiederaufbauplan waren die Erwartungen hoch und die Agenda ehrgeizig. "Schon vor der Pandemie gab es eine Menge Probleme, die verschoben und verzögert wurden", sagt der EU-Abgeordnete Bas Eickhout von den niederländischen Grünen. Er nennt die Verteilung von Geflüchteten, den Brexit und die Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027.

Zudem hat sich die EU mit dem Green Deal vorgenommen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Mit einem Investitionspaket will die EU-Kommission die Wirtschaft ankurbeln und in Richtung "Netto-Null" umgestalten. Wegen der Corona-Pandemie musste sie Teile der Pläne verschieben.

Zugleich hat die Pandemie dafür gesorgt, dass Klimaschutz fast in Vergessenheit geraten ist – auch wenn die Klimakrise als politische und gesellschaftliche Baustelle bleibt.

"Die deutsche Ratspräsidentschaft muss sicherstellen, dass die klimapolitischen Anstrengungen der Union angesichts der nach vorne drängenden Themen wie Corona-Krisenbewältigung, Brexit-Verhandlungen und Flüchtlingspolitik nicht ins Hintertreffen geraten", sagt Steffen Bauer vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Der Politikwissenschaftler sieht Chancen, dass das glückt – sofern es gelingt, den Wiederaufbauplan am Green Deal und den klimapolitischen Zielen der EU auszurichten.

"Wir riskieren, ein Jahrzehnt beim Klimaschutz zu verlieren"

Auch für Laurence Tubiana, Chefin der European Climate Foundation, ist die entscheidende Frage, wie der wirtschaftliche Aufschwung im Einklang mit den Zielen des Green Deal gestaltet werden kann. Die Klimadiplomatin sieht die EU derzeit an einem Scheideweg.

"Entweder entscheiden sich die Staats- und Regierungschefs der EU für einen grünen Aufschwung und investieren in zukunftssichere Sektoren und Arbeitsplätze", sagt Tubiana, "oder wir riskieren, ein Jahrzehnt beim Klimaschutz zu verlieren." Nämlich dann, wenn die Mittel für den Aufschwung in fossile, CO2-intensive Wirtschaftszweige geleitet würden.

Gemäß einem Vorschlag von Frankreich und Deutschland soll die EU 500 Milliarden Euro in die Hand nehmen und an schwer getroffene Mitgliedsstaaten weitergeben. Die Kommission plant mit Finanzhilfen von 750 Milliarden Euro.

Aus Sicht von Politikwissenschaftler Bauer muss Deutschland wenigstens verhindern, dass die Wiederaufbaumaßnahmen den Klima- und Nachhaltigkeitszielen zuwiderlaufen. "Es drängt sich auf, die durch den Aufbauplan verfügbaren Investitionssummen zu nutzen, um das Klimaziel der EU sehr ambitioniert zu gestalten und möglichst rasch vorzulegen", sagt Bauer gegenüber Klimareporter°.

"Damit würde die EU dem Anspruch, international als Vorreiter in Sachen Klimapolitik zu agieren, die dringend benötigte Glaubwürdigkeit verleihen und helfen, das Momentum der multilateralen Klimapolitik trotz der Corona-bedingten Prozessverzögerungen aufrechtzuerhalten", so Bauer weiter. Das würde zugleich den Druck auf China, Indien und andere Staaten erhöhen, ihrerseits mit höheren Klimazielen nachzuziehen.

In diesem Jahr müssen die Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens, also auch die EU, ihre Klimapläne für 2030 aktualisieren und verschärfen. Derzeit sieht das EU-Ziel hier nur eine CO2-Reduktion um 40 Prozent gegenüber 1990 vor. Einem Vorschlag zufolge will die Kommission das Ziel auf mindestens 50 bis 55 Prozent erhöhen. Auch Angela Merkel hat zugesagt, dass Deutschland die Messlatte auf 50 bis 55 Prozent schrauben will.

Aber nicht alle EU-Staaten sind davon begeistert. Vor allem Kohleländer wie Polen oder Tschechien fürchten wirtschaftliche Nachteile. "Deutschland wird in den kommenden Wochen sehr komplexe Verhandlungen über die Zuteilung und Verwendung der Gelder führen müssen", meint Laurence Tubiana.

Sie setzt allerdings große Hoffnungen auf Merkel. "Die EU-Präsidentschaft ist offenkundig ihre letzte Chance, ihr früheres Vermächtnis als Verfechterin von Multilateralität und von Klimaschutz wieder aufzubauen."

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