Stau auf nächtlicher Schnellstraße zwischen Hochhäusern.
Die Rue de la Loi, wörtlich "Straße des Rechts", verläuft im Brüsseler EU-Viertel zwischen den Gebäuden von EU-Kommission (rechts) und Ministerrat. (Foto: Benoît Brummer/​Trougnouf/​Wikimedia Commons)

Ihr Versprechen, nach 100 Tagen im Amt ein Klimagesetz für die EU vorzulegen, wird Ursula von der Leyen wohl einhalten. Der Gesetzentwurf, den die Kommissionspräsidentin an diesem Mittwoch präsentieren wird, soll aber, wie zu hören ist, aufgrund des Zeitdrucks mit heißer Nadel gestrickt sein. Für Umweltverbände und Klimainitiativen kommt die Vorlage zwar rechtzeitig auf den Tisch, sie halten aber die dort festgeschriebenen Klimaziele für nicht ehrgeizig genug.

Zum einen ist den Verbänden das Zieldatum 2050 für die Klimaneutralität deutlich zu spät. Wenn die EU das 1,5-Grad-Ziel von Paris ernst nehmen wolle, müsse sie bereits 2040 bei null Emissionen sein, erklärte Klaus Röhrig vom Climate Action Network Europe am Montag in Brüssel.

Mit Ausnahme Polens hatten sich alle EU-Länder im vergangenen Dezember zum Netto-Null-Ziel 2050 verpflichtet. Um das zeitlich nach vorn ziehen zu können, halten die Verbände es für angebracht, auch das EU-Klimaziel für 2030 nach oben zu schrauben – statt einer CO2-Reduktion um 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990, wie sie von der Leyen vorschwebt, sollen es minus 65 Prozent sein.

Auch der Naturschutzbund Nabu fordert eine CO2-Minderung "um mindestens 60 Prozent, besser 65 Prozent" bis 2030 – und das ohne Klimakompensation, also auf eigenem Territorium.

Besonders wichtig ist den Verbänden dabei, dass die Klimaziele auf wissenschaftlicher Basis festgelegt werden und ihre Einhaltung durch einen unabhängigen EU-Expertenrat kontrolliert wird. Die Überprüfung müsse viel konsequenter als bisher geschehen, sagte Klaus Röhrig.

Bisher sei im Gesetz eine Überprüfung der Reduktionsziele und der erreichten Fortschritte nur für die Jahre 2030, 2035 und 2040 vorgesehen – nötig sei aber, damit schon 2025 zu beginnen. Röhrig: "Das ist die wichtigste Hausaufgabe, die in diesem Jahr zu erledigen ist."

Wissenschaft sticht Politik?

Über den Gesetzentwurf selbst ist bisher nur laut einer Veröffentlichung der Financial Times bekannt, dass den EU-Regierungen alle fünf Jahre strengere CO2-Reduktionsziele auferlegt werden sollen. Und wenn die Netto-Null "spätestens 2050" erreicht ist, sollen sich die Regierungen bemühen, danach die Treibhausgase netto aus der Atmosphäre zu entfernen.

Die EU-Kommission will sich dem Blatt zufolge das Recht einräumen lassen, die Klimaziele alle fünf Jahre anzuheben, ohne sich von den EU-Regierungen oder dem Europaparlament viel reinreden zu lassen. In einem sogenannten delegierten Rechtsakt soll die Kommission befugt sein, überarbeitete Emissionsziele auf Grundlage der "besten verfügbaren Wissenschaft" festzulegen. Das könne dann nur eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten im Ministerrat und des EU-Parlaments innerhalb von vier Wochen nach Vorlage des neuen Klimaziels blockieren.

Weil sich die EU-Länder nicht einig sind, wie rasch die CO2-Emissionen sinken sollen, sorgt die Idee einer teilweisen Rechtsautonomie der Kommission für Unruhe unter den EU-Ländern. Diese würden den Vorschlag nicht akzeptieren, zitiert die Financial Times einen namentlich nicht genannten Diplomaten.

Auch die reale Energiepolitik der EU steht einer schnelleren CO2-Minderung entgegen. Imke Lübbeke vom WWF kritisierte am Montag die jüngst beschlossenen Investitionen in Erdgasprojekte im Umfang von 28 Milliarden Euro sowie den beabsichtigten stärkeren Einsatz von Biomasse. Beides passe nicht zum Nullemissions-Ziel. Lübbecke: "Das ist genau das, was wir in einem Klimagesetz nicht haben wollen."

Auch Sebastian Mang von Greenpeace wies am Montag auf die inkonsequente Haltung der EU-Kommission hin, die Klimaneutralität erreichen wolle, zugleich aber Gelder in Gasprojekte oder die industrielle Landwirtschaft stecke. Mang baut insbesondere darauf, dass Länder wie Finnland und Dänemark, die selbst schon ein 65-Prozent-Ziel für 2030 haben, sich für höhere EU-Ziele einsetzen.

Ergänzung um 23 Uhr: Laut einem Gesetzentwurf, der Klimareporter° vorliegt, ist die Überprüfung der Reduktionsziele erstmals im Jahr 2023 und dann alle fünf Jahre vorgesehen.

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