Große blaue Getriebeelemente stehen hintereinander auf gelben Ständern.
Getriebe in der Lagerhalle eines Windradherstellers in Schleswig-Holstein. (Foto: Ralf Grömminger)

Der Dezember 2015 in Paris hat sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt. Die Spannung in der Stadt nach den verheerenden Terroranschlägen war unglaublich bedrückend, überall schwer bewaffnetes Militär und Polizei auf den Straßen und auf dem abgeschotteten Konferenzgelände die ständige Sorge, dass das Scheitern von Kopenhagen sich wiederholt.

Irritierend waren auch die Plakate der Atomindustrie, die ihren irrsinnig teuren und gefährlichen Weg als klimafreundlich bewarb. Eine korrupte Branche vor dem Ende – wie jüngst auch der Bestechungsskandal in den USA gezeigt hat. 

Als Bundestagsabgeordneter war ich erstmals Teil der deutschen Delegation. Fast alle Kolleginnen und Kollegen waren zum geplanten Konferenzschluss abgereist. Ich war, was das pünktliche Ende der Konferenz betraf, pessimistisch und hatte deswegen das Hotel vorsorglich länger reserviert. Als die Konferenz am Freitagabend in die Verlängerung ging, wuchs die Hoffnung, dass es zu einer Einigung kommen wird.

Umso größer war bei uns allen die Freude, als am Samstag, dem 12. Dezember 2015, das Abkommen durch den Hammerschlag von Laurent Fabius die wichtigste Hürde genommen hatte. So konnte ich den nächsten Tag zum Durchatmen und für einen langen Spaziergang durch Paris nutzen.

Das Abkommen von Paris ist in den Zielen hart, allerdings ohne klare Sanktionsregeln. Es setzt auf die Kraft der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Und es wirkt. Es wirkt, weil viele Länder Klimaschutzgesetze und nationale Minderungspläne auf den Weg gebracht haben.

Übrigens hätten die USA bei härteren Sanktionsregeln damals nicht zustimmen können, denn Präsident Barack Obama hatte weder im Senat noch im Repräsentantenhaus eine Mehrheit für das Abkommen und hat als Präsident allein entschieden.

Vom Paris-Ziel zum Klimaschutzgesetz

Auch in Deutschland entfaltet das Paris-Abkommen seine Wirkung. Im Jahr 2019, vier Jahre nach Paris, konnte ich als Berichterstatter der SPD das Klimaschutzgesetz verhandeln. Der Paragraf 1 dieses Gesetzes ist eindeutig:

Zweck dieses Gesetzes ist es, zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten. Die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen werden berücksichtigt.

Grundlage bildet die Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels so gering wie möglich zu halten, sowie das Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen am 23. September 2019 in New York, Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen.

Vor dem Klimaschutzgesetz galt das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung. Hier war das Ziel eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050. Dies hatte zur Folge, dass fast jeder Wirtschaftszweig die noch zulässigen Emissionen für sich verbucht hat und damit weiter fossiles CO2 emittieren wollte.

Genau diesem entscheidenden Problem entgegen wirkt das im Klimaschutzgesetz genannte Ziel der Klimaneutralität. Jetzt wissen alle, es wird keine Schlupflöcher geben. Wir brauchen eine Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien und das Ende aller fossilen Emissionen, je schneller, desto besser.

Das Paris-Abkommen war auch ein positiver Nährboden für die Arbeit der Umweltverbände und von Fridays for Future.

Die neue Klimabewegung beruft sich ausdrücklich auf das Paris-Abkommen, verkennt aber in manchen Beiträgen, wer dieses Abkommen zustande gebracht hat. Das waren neben den besonders betroffenen Staaten des globalen Südens vor allem die USA und die EU mit Deutschland als führender Kraft.

Allerdings muss man auch klar sagen, dass der gesellschaftliche Druck im letzten Jahr hilfreich war, das Klimaschutzgesetz als Projekt der SPD in der Koalition gegen die Union durchzusetzen.

Das Klimaschutzgesetz wurde allerdings auch heftig kritisiert. Aus meiner Sicht zu Unrecht. Das Klimaschutzgesetz folgt der Logik von Paris und geht darüber hinaus. Der Paris-Mechanismus der regelmäßigen Überprüfung der Ziele ist Teil des Klimaschutzgesetzes. Wörtlich heißt es im Gesetz in Paragraf 3 zu den nationalen Klimazielen:

(1) Die Treibhausgasemissionen werden im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise gemindert. Bis zum Zieljahr 2030 gilt eine Minderungsquote von mindestens 55 Prozent.

(2) Die Möglichkeit, die nationalen Klimaschutzziele teilweise im Rahmen von staatenübergreifenden Mechanismen zur Minderung von Treibhausgasemissionen zu erreichen, bleibt unberührt.

(3) Sollten zur Erfüllung europäischer oder internationaler Klimaschutzziele höhere nationale Klimaschutzziele erforderlich werden, so leitet die Bundesregierung die zur Erhöhung der Zielwerte nach Absatz 1 notwendigen Schritte ein. Klimaschutzziele können erhöht, aber nicht abgesenkt werden.

Anders als im Paris-Abkommen gibt es im Bundes-Klimaschutzgesetz einen klaren Mechanismus, was im Fall von Zielverfehlungen zu geschehen hat. Dabei hat das Parlament eine starke Stellung, unterstützt von einer unabhängigen Expertenkommission. Jedes Jahr wird geprüft, ob Deutschland die Ziele in den einzelnen Sektoren erreicht, und falls nicht, muss das zuständige Ministerium Sofortmaßnahmen auflegen, um die Ziele doch zu erreichen.

Europäisch denken

Um erfolgreich beim Klimaschutz zu sein, ist eine enge Kooperation in der EU erforderlich. Europa ist ein einheitlicher Wirtschaftsraum. Deswegen ist die EU auch Vertragspartner von Paris und hat klare Ziele mit klaren Sanktionsmechanismen für Staaten und Unternehmen.

Der sozial-ökologische Umbau wird aber nur gelingen, wenn gezeigt wird, dass er mit einem Mehr an Lebensqualität und Wohlstand verbunden werden kann. Dann werden Europa und die EU weltweit Nachahmer finden. Gerade die Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten und die progressiven Bundesstaaten in den USA machen Hoffnung für eine neue transatlantische Zusammenarbeit für mehr Klimaschutz.

Klaus Mindrup vor einem Straßenzug mit Berliner Mietshäusern.

Klaus Mindrup

Der studierte Biologe und SPD-Politiker Klaus Mindrup ist seit 2013 Abgeordneter des Bundestages und Mitglied der Ausschüsse für Bauen und für Umwelt. Er tritt für eine rasche, dezentrale, bürgernahe und gerechte Energiewende ein.

Bereits im letzten Jahr hat sich die EU zum Ziel der Klimaneutralität bekannt. Am 11. Dezember beschloss der EU-Gipfel nun auch eine deutliche Verschärfung der Klimaschutzziele. Dies ist ein großer Erfolg für den zuständigen Kommissar Frans Timmermans und seine Idee des Green Deal.

Das 55-Prozent-Reduktionsziel ist ein wesentlicher Schritt nach vorn, wobei zu hoffen ist, dass dieses Ziel im Trilog mit dem Europäischen Parlament und der Kommission weiter präzisiert und verschärft wird. Deutschland mit dem federführenden Umweltministerium hat in der Debatte eine progressive Rolle gespielt.

Da die EU Vertragspartner des Paris-Abkommens ist, ist die Debatte über ein CO2-Budget sinnvollerweise auf der EU-Ebene zu führen. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf hat dies bereits vor einigen Monaten genauer beleuchtet.

Wie die konkrete Umsetzung der EU-Klimaziele aussieht, wird sich bis Mitte nächsten Jahres entscheiden. Deswegen ist es wichtig, jetzt zu einem neuen Geist der Kooperation zu kommen. Es ist völlig klar, dass die Ziele zur Emissionsreduzierung deutlich verschärft werden müssen.

Das industrielle Herz erneuern

Bisher lag das EU-Ziel für 2030 bei minus 40 Prozent, das deutsche Ziel bei 55 Prozent. Eine Verschärfung um 15 Prozentpunkte auf europäischer Ebene wird für Deutschland eine Erhöhung des Ziels auf 65 bis 70 Prozent bringen. Da Deutschland das industrielle Herz Europas ist, werden wir hier unsere Anstrengungen deutlich erhöhen müssen, die Transformation der Industrie voranzubringen.

Verbunden werden muss dies mit einer deutlichen Ausbaustrategie für die erneuerbaren Energien, weit über das hinaus, was das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bisher geplant hat. Dies gilt unabhängig davon, wie das im Augenblick stattfindende harte Ringen um die Reform des EEG ausgehen wird und inwieweit sich die SPD-Fraktion mit ihren Positionen durchsetzen wird.

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) hat am 9. Dezember bei einem sogenannten parlamentarischen Frühstück Berechnungen vorgestellt, welcher Ausbau von erneuerbaren Energien notwendig ist, um ein Emissionsminderungsziel von 65 Prozent zu erreichen: Die jährlichen Zubauraten bei der Photovoltaik müssen auf 9.000 bis 13.000 Megawatt gesteigert werden, bei Windkraft an Land auf 6.700 bis 7.200 Megawatt und Offshore-Wind auf 1.400 bis 1.600 Megawatt.

In Kürze will das ISE die genauen Berechnungen veröffentlichen, um die Diskussion auf wissenschaftlicher Basis zu versachlichen. Sie muss dann im nächsten halben Jahr intensiv geführt werden.

Sonne und Wind richtig nutzen

Die Debatte geht also weiter und Deutschland kann dabei von der EU lernen. Der deutliche Ausbau der Erneuerbaren muss überall erfolgen und kann nur dann gelingen, wenn eine umfassende Sektorenkopplung möglich gemacht wird, das heißt Speicher, Wandler, Strom-, Gas- und Wärmenetze müssen gemeinsam geplant werden.

Wir brauchen klare Signale wie eine flexible Solarpflicht für alle Neubauten und umfassende Sanierungen. Häuser müssen zu Kraftwerken werden! Als Mitglied einer Energiegenossenschaft mit einem Blockheizkraftwerk im Keller und einer Photovoltaikanlage auf dem Dach weiß ich aus eigener Erfahrung, dass noch viele bürokratische Hürden zu beseitigen sind.

Dabei müssen wir endlich mit dem Mythos aufräumen, dass wir in Deutschland und der EU zu wenig erneuerbare Energien haben. Wir besitzen enorme Potenziale bei der Windkraft. Nutzen wir dieses Potenzial beim Repowering und reden nicht ständig über Knappheiten.

Auch bei der Photovoltaik belegen zahlreiche Studien, dass wir über ein Potenzial von einer Million Megawatt verfügen. Integrierte Photovoltaik wird in vielen Anwendungen zum Tragen kommen und zu einer gesteigerten solaren Ernte führen.

Wind und Photovoltaik werden immer effizienter und immer kostengünstiger. Spätestens in 20 Jahren werden wir auch in Deutschland Strom aus Freiflächen-Photovoltaikanlagen für deutlich unter zwei Cent pro Kilowattstunde erzeugen können. Zusammen mit den ebenfalls immer kostengünstiger werdenden Windkraftanlagen und Speichern werden wir auch in Europa und Deutschland eine energieintensive Grundstoffindustrie und bezahlbaren Klimaschutz sichern können.

Das Herbeiführen von künstlichen Verknappungen durch unsinnige Bürokratie und falsche Abgaben sind kontraktproduktiv für erfolgreichen Klimaschutz. Mit allen Umlagen und Abgaben belasten wir beispielsweise umweltfreundlichen Strom aus Wind und Photovoltaik umgerechnet mit einem CO2-Preis von rund 1.900 Euro pro Tonne.

Deswegen ist es richtig und notwendig, die EEG-Umlage auf Strom aus erneuerbaren Energien abzuschaffen, denn dies ist das größte Hindernis für eine umfassende Defossilisierung.

Den Pfadwechsel anstoßen

Aus der Ausstiegsdebatte über Kohle und Atomkraft muss jetzt schnell eine Einstiegsdebatte in Erneuerbare werden. Wir müssen nach der europäischen Zielverschärfung schnell zu konkreten Projekten kommen, die einerseits für Fortschritt beim Klimaschutz sorgen und andererseits die gemeinsame europäische Idee wieder in den Vordergrund rücken. Beim Ausbau der Erneuerbaren bedarf es einer kollektiven Kraftanstrengung, um so schnell wie möglich viele Bereiche zu elektrifizieren und die Sektorenkopplung voranzubringen.

Für die Grundstoffindustrie und die Stahlindustrie müssen aufgrund der langen Investitionszyklen jetzt Impulse gesetzt werden, um den Weg in die Klimaneutralität einzuschlagen und gleichzeitig Beschäftigung zu sichern. Wir müssen als wirtschaftlich starker Kontinent zeigen, dass Klimaschutz und Wertschöpfung Hand in Hand gehen können. Gleichzeitig legen wir den Grundstein, um auch zukünftig Produkte für den Weltmarkt herzustellen.

Dies muss noch stärker ein europäisches Projekt werden, verbunden mit einer klaren Strategie zum Erhalt, Um- und Ausbau unserer Industrie in Europa. So brauchen wir beispielsweise wieder eine Solarproduktion in Europa und eine gemeinsame Offshore-Strategie. Die EU-Kommission betont dabei zu Recht auch den Ansatz einer Kreislaufwirtschaft.

Wenn man diesen Weg konsequent geht, wird der Schritt zu 100 Prozent Erneuerbaren und 100 Prozent Klimaneutralität immer einfacher, weil wir von der Lernkurve und sinkenden Kosten profitieren. Das ist der große Unterschied zu einer Strategie, die Effizienz vor den Einsatz erneuerbarer Energien und eine Kreislaufwirtschaft stellt.

Früher haben wir von einer Union für Kohle und Stahl gesprochen, die Zukunft liegt in einer Union der erneuerbaren Energien.

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