Polnisches Braunkohlekraftwerk: Polen erhält Geld aus dem "Green Deal" für das Abschalten von Kohleblöcken. (Foto: Vondraussen/​Wikimedia Commons)

Inzwischen ist sie die Einäugige unter den Blinden: Die Europäische Union gilt – im Vergleich zu anderen Weltregionen – beim Klimaschutz als vorbildlich. Die CO2-Emissionen der immer noch 28 Staaten sind seit 1990 um rund 23 Prozent gesunken, Stand 2018.

Damit übertrifft die EU sogar das eigene Ziel von minus 20 Prozent. Doch sich auf den Lorbeeren auszuruhen ist angesichts von Klimakrisen und Klimaprotesten nicht angebracht. Das hat die neue EU-Kommission erkannt. Sie plant einen alles in allem billionenschweren "Green Deal", der die Union bis 2050 klimaneutral machen soll.

Einige Details sind durch eine Klimareporter° vorliegende Präsentation der Kommission bereits bekannt geworden.

Übermorgen, am Mittwoch, will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den "Deal" offiziell vorstellen, am Nachmittag des Tages will das EU-Parlament darüber in einer Sondersitzung debattieren.

Das Parlament unterstützt dabei das ehrgeizigere Ziel, den CO2-Ausstoß des Staatenbundes bis 2030 um 55 Prozent zu senken, erklärte die EU-Abgeordnete Hildegard Bentele von der christdemokratischen EVP-Fraktion am Montag in Berlin.

Ihre Fraktion hätte zwar gern erst einmal eine Folgenabschätzung des 55-Prozent-Ziels gehabt und wollte auch die Ausrufung des Klimanotstands durch das EU-Parlament zunächst nicht mittragen – nun aber lassen die Christdemokraten die Green-Deal-Vorhaben "durchlaufen", wie es die in Berlin lebende CDU-Politikerin ausdrückte.

Neustart ohne neues Ziel für 2030?

Klar ist für Bentele, dass im Zuge des "Deals" praktisch alle bisherigen klimapolitischen Gesetze und Regelungen der EU zu überarbeiten sind – von der Energieeffizienz bis zu Luftverkehr und Schifffahrt. So müssen für den Treibstoffverbrauch von Schiffen konkrete Vorgaben her und in der Luftfahrt auch andere Klimagase als nur CO2 berücksichtigt werden.

Gerade für die Verkehrspolitiker ihrer Fraktion sei das 55-Prozent-Ziel ein "großer Schritt", betonte Bentele. Ein europaweiter Kohleausstieg sei für die Klimaneutralität bis 2050 unverzichtbar. Bentele schließt aber zugleich den Einsatz der umstrittenen CCS-Speichertechnologie sowie einen Ausbau der Atomkraft nicht aus.

Aus dem "Green Deal"-Plan der EU-Kommission

  • Bis März 2020 soll ein europäisches "Klimagesetz" vorgelegt werden, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 mit Maßnahmen zu unterlegen, außerdem ein Plan, um bis Oktober 2020 das CO2-Reduktionsziel für 2030 auf minus 50 Prozent oder in "verantwortungsvoller Weise" auf minus 55 Prozent zu verschärfen.
  • Bis Juni 2020 sollen nötige Folgegesetze vorliegen, wie eine neue Energiesteuerrichtlinie, eine CO2-Richtlinie für leichte Nutzfahrzeuge, eine Ausweitung des EU-Emissionshandels auf den Seeverkehr, veränderte CO2-Freibeträge in der Luftfahrt sowie ein Vorschlag, um die Klimaziele ausgewählter EU-Länder anzupassen.
  • Bis März 2020 sollen eine EU-Industriestrategie und ein Plan für die Kreislaufwirtschaft verabschiedet werden.
  • Bisher ohne konkrete Terminierung ist eine Finanzrunde für eine Infrastruktur für alternative Kraftstoffe geplant, ferner strengere Schadstoffnormen für Verbrenner-Fahrzeuge, eine EU-Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt und eine neue EU-Forststrategie.
  • In der Landwirtschaft kommen zur Reform der Agrarpolitik eine Strategie "Farm to Fork" (vom Hof auf den Teller) im Frühjahr 2020 sowie ab Ende 2020 neue Ziele wie die Reduzierung chemischer Pestizide um 50 Prozent bis 2030 hinzu. Zur Reduktion des Düngereinsatzes und der Ausweitung der Bio-Landwirtschaft gibt es noch keine konkreten Angaben.
  • Innerhalb einer "Just Transition"-Strategie sind fünf Milliarden Euro zusätzlich für den Strukturwandel vor allem in Kohleregionen gedacht, hinzu kommen weitere Gelder aus dem Fonds für regionale Entwicklung und dem Sozialfonds sowie 1,5 Milliarden Euro an Kreditgarantien.
  • Die neue EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel soll bis zum vierten Quartal 2020 verabschiedet werden.

Nach dem Willen der Christdemokraten sollte aber der neue EU-Klimaschutz mit der Landwirtschaft etwas "softer" umgehen. "Wir brauchen die Landwirte an unserer Seite und dürfen sie nicht zu Gegnern machen", betonte die EU-Politikerin und kündigte unter anderem einen speziellen Methan-Senkungsplan an.

Was das mögliche 55-Prozent-Ziel für Deutschland als größten Emittenten in der EU bedeutet, dazu machte Bentele am Montag keine Angaben.

Ihr scheine aber, sagte sie, dass man in Deutschland den Blick eher aufs Jahr 2040 als auf 2030 richte. Der Zeitraum von zehn Jahren erscheine einfach als zu kurz.

Die EVP-Abgeordnete ist selbst als Vertreterin des EU-Parlaments ab Dienstag in Madrid auf dem Klimagipfel. Sie erwartet dort aber keine neuen großen Initiativen der EU.

Zugleich sei ihr aber klar, dass jetzt ganz viele auf die EU schauen. Es gehe darum, dass sich alle geschlossen und ehrgeizig hinter dem Klimaneutralitätsgebot versammeln, sagte Bentele. "Das Momentum dafür ist da, das Parlament ist bereit."

Tatsächlich muss die EU ihre Klimapolitik ganz neu aufstellen, wenn sie die "Netto-Null" beim CO2-Ausstoß bis Mitte des Jahrhunderts ernsthaft erreichen will. Das geht eben nicht, ohne bereits das CO2-Ziel für 2030 deutlich zu verschärfen.

Bisher peilt die Union dafür minus 40 Prozent an, und schon das ist mit den bisher geplanten Maßnahmen nicht zu schaffen.

Die Kommission räumt das selbst ein, und vorige Woche hat ein Report der Europäischen Umweltagentur EEA das Manko dick unterstrichen. Von den 28 Ländern werden danach nur Griechenland, Portugal und Schweden ihre eigenen Limits sicher erreichen.

Die europäische Behörde prognostiziert, dass die EU insgesamt bis 2030 je nach Umsetzung der noch geplanten Maßnahmen nur zwischen 30 und 36 Prozent angestrebten CO2-Minderung schafft.

Die EEA mahnt dringend einen Kurswechsel an, "um dem Klimawandel zu begegnen, die Zerstörung der Umwelt zu stoppen und künftigen Wohlstand zu sichern".

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