Ein paar Leute halten sehr große schwarze Ballons mit der Aufschrift CO₂ hoch, vorn ein Transparent mit der Aufschrift: Klima, im Hintergrund ein Kohlekraftwerk.
Anti-Kohle-Protest vor dem RWE-Kraftwerk Neurath. Dort soll auch die Braunkohle unter Lützerath verbrannt werden. (Foto: Jörg Farys/​BUND/​Flickr)

Nach dem Abriss von Lützerath geht der Kampf um die Braunkohle unter dem zerstörten Ort weiter. Eine Reihe von Politiker:innen spricht der Forderung, die Kohle in der Erde zu lassen, die klimapolitische Legitimation ab.

Das Hauptargument dabei: Die CO2-Emissionen der Lützerath-Kohle würden sich gar nicht darauf auswirken, ob das Pariser 1,5‑Grad-Ziel erreicht wird oder nicht. Denn die CO2-Emissionen seien durch den europäischen Emissionshandel gedeckelt. So einfach ist es aber nicht.

Die Frage ist zunächst, was genau "gedeckelt" wird. Europa stieß in den letzten Jahren jährlich rund 3,4 Milliarden Tonnen CO2‑Äquivalent aus.

Davon erfasste der Emissionshandel für Energie und Industrie, der sogenannte ETS 1, 2021 rund 1,31 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent und damit 36 Prozent der Emissionen. Außer den 27 EU‑Staaten nehmen auch Norwegen, Island und Liechtenstein am ETS 1 teil, Großbritannien ist Ende 2020 ausgestiegen.

Nur für dieses gute Drittel der europäischen CO2-Emissionen gibt es also bisher einen "Deckel". Wie es mit dem ETS 1 weitergeht, darüber erzielten Ende 2022 EU‑Parlament, EU‑Kommission und die Regierungen eine informelle Einigung im sogenannten Trilog.

Danach soll die Emissionsobergrenze, das sogenannte "Cap", von bisher rund 13,8 Milliarden auf 12,3 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent sinken, also um etwa 1,5 Milliarden Tonnen.

Die Einsparung entspricht in etwa dem Doppelten des jährlichen CO2-Ausstoßes Deutschlands. Die im Trilog erreichte Reform bringt damit eine leichte Verbesserung des Status quo.

Die Senkung verteilt sich dabei über die gesamte Laufzeit der aktuellen vierten ETS‑1-Handelsperiode von 2021 bis 2030, also über das Jahrzehnt, das darüber entscheiden wird, ob Europa und die Welt rechtzeitig klimaneutral werden.

Vorerst liegt es noch an den Mitgliedsstaaten und am Europäischen Parlament, dem im Trilog erreichten politischen Deal zuzustimmen. Dann erst hätten wir tatsächlich einen verbindlichen "Deckel".

Nötig wären viel stärkere Maßnahmen

Klar ist allerdings schon jetzt: Dieser "Deckel" reicht nicht aus, um das 1,5‑Grad-Limit einzuhalten und den europäischen Kohleausstieg zu sichern.

Um das Pariser Klimaziel zu erreichen, wären im ETS 1 folgende Maßnahmen notwendig gewesen:

Erstens: Das für den ETS 1 vorgesehene neue CO2-Reduktionsziel für 2030 von 62 Prozent gegenüber dem hier geltenden Ausgangsjahr 2005 ist zu niedrig und sollte auf mindestens 70 Prozent erhöht werden.

Zweitens: Zwar steigt der sogenannte lineare Reduktionsfaktor (LRF), um den die handelbaren Emissionen jährlich gekappt werden, auf 4,3 Prozent im Zeitraum von 2024 bis 2027 und dann auf 4,4 Prozent für die Zeit bis 2030, was eine deutliche Verbesserung darstellt. Allerdings wird beides, das höhere Reduktionsziel wie der verbesserte Reduktionsfaktor, durch das schwächere "Rebasing" ausgehöhlt.

Als "Rebasing" wird eine einmalige Reduzierung der Emissionsobergrenze bezeichnet. Diese einmalige Löschung ist die wirksamste Klima-Sofortmaßnahme, die die EU anordnen kann. Sie verringert den zukünftigen Überschuss im System und würde damit für nachhaltig stabile CO2-Zertifikatspreise sorgen.

Statt einer notwendigen einmaligen Löschung von mindestens 250 Millionen Zertifikaten werden mit der Reform aber nur 117 Millionen gelöscht. Das geschieht nicht früh genug, und dann auch noch in zwei Schritten: 2024 sollen 90 Millionen Zertifikate aus dem Markt genommen werden, 2026 noch einmal 27 Millionen.

Drittens: Es ist notwendig, die Marktstabilitätsreserve – das ist bildlich gesprochen eine Art "Zertifikatestaubsauger" – so einzusetzen, dass der Überschuss an Emissionsrechten bis 2030 sicher abgebaut wird.

Die Corona-Pandemie mit ihrem wirtschaftlichen Einbruch hat das Risiko erhöht, dass der Überschuss an Emissionsrechten zunimmt. Studien zeigen, dass bei einer schwachen Reform der Marktstabilitätsreserve ein Verfehlen des 2030er Ziels aufgrund erhöhter Überschüsse droht.

Das Verschenken von Emissionsrechten muss aufhören

Über die Wirksamkeit des EU‑Emissionshandels entscheidet auch die Frage, wie viele Zertifikate künftig vor allem an die Industrie kostenlos vergeben werden.

Die anhaltende Verteilung kostenloser ETS-Zertifikate untergräbt nicht nur das in den EU‑Verträgen verankerte Verursacherprinzip. Es hat auch dazu geführt, dass die energieintensiven Industrien ihre Emissionen bisher kaum verringert haben.

Porträtaufnahme von Elena Hofmann.
Foto: Thorsten Greb/​DNR

Elena Hofmann

ist Referentin für EU-Klima- und Energie­politik beim Deutschen Natur­schutz­ring (DNR). Sie koordiniert die Arbeit der deutschen Umwelt­organisationen in diesem Bereich, speziell zum EU-Klima­paket "Fit for 55". Hofmann hat European Studies und Inter­nationale Beziehungen studiert.

Ein Ende der kostenlosen Zuteilung ist so früh wie möglich notwendig, spätestens aber 2032. Statt die Industrie in alten Geschäftsmodellen zu halten, ist eine aktive Unterstützung der Unternehmen beim Umbau notwendig.

Dafür eignen sich Instrumente, die die Transformation gezielt unterstützen, wie beispielsweise Carbon Contracts for Difference, spezielle Klimaschutzverträge.

Unternehmen, die weiter von der kostenlosen Zuteilung profitieren, sollen im Rahmen der Reform im Gegenzug nachweisen, dass sie in Energieeffizienzmaßnahmen investiert haben, und müssen Dekarbonisierungspläne vorlegen.

Diese Regelung soll laut der Trilog-Einigung jedoch nur für das Fünftel der energetisch schlechtesten Unternehmen gelten und nicht für alle. Zudem sollen den CO2-Sündern nur 20 Prozent der kostenlosen Zuteilung gestrichen werden. Dies bietet zu wenig Anreiz, um die Bedingungen zu erfüllen.

Positiv zu bewerten ist lediglich, dass die nationalen Einnahmen aus dem ETS 1 zu 100 Prozent für Investitionen in Klimaschutz und die Transformation zu netto null Emissionen verwendet werden sollen.

"Fit for 65" wäre das richtige Ziel

All dies untergräbt am Ende die Funktion, die dem Emissionshandel bei der Umsetzung eines früheren Kohleausstiegs in Deutschland zugedacht ist. Nur wenn der CO2-Preis im ETS 1 so weit steigt, dass Kohleverstromung sich nicht mehr lohnt, bekommen wir einen De-facto-Kohleausstieg.

Dies könnte bis 2030 in der ganzen EU der Fall sein. Die tatsächliche Preisentwicklung lässt sich aber nicht seriös voraussagen, das bleibt ein Blick in die Glaskugel.

Porträtaufnahme von
Foto: Daniel Seiffert/​WWF

Viviane Raddatz

ist Politik­wissen­schaft­lerin und leitet bei der Umwelt­stiftung WWF Deutschland den Bereich Klima­schutz und Energie­politik.

Zur Absicherung einer verlässlichen Preisentwicklung, die Investitionssicherheit herstellt und damit auch den Kohleausstieg unterstützt, sollte der Emissionshandel deswegen um einen EU‑weiten Mindestpreis ergänzt werden.

Im Jahr 2026 wird es eine weitere Reform des ETS geben, an dieser Stelle muss dann dringend nachgebessert werden.

Bereits deutlich früher muss es allerdings gelingen, das Klimaziel der EU für 2030 heraufzusetzen. Die bisherige Marke, die CO2-Emissionen in der EU um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken, ist nicht annähernd kompatibel mit dem Pariser Klimaabkommen.

Deswegen braucht es mehr Ehrgeiz in den noch laufenden "Fit for 55"-Verhandlungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Energie- und Gebäudeeffizienz. Hier muss die EU starke Ziele und Maßnahmen für den Energieverbrauch beschließen – und dann ihr Klimaziel anheben: auf 65 Prozent CO2-Minderung bis 2030. Das ist das Minimum, um 1,5‑Grad-kompatibel zu sein.

Für die Lützerath-Kohle kaum von Bedeutung

Die Reform des Emissionshandels, der "Deckel" und die Verknappung der Zertifikate sind für die Kohle unter Lützerath übrigens wenig relevant. Ihre Verbrennung ist gewissermaßen schon jetzt in den Markt "eingepreist".

Der Tagebaubetreiber RWE hat sich nach eigenen Angaben bereits Emissionszertifikate bis 2030 gesichert – zu äußerst günstigen Preisen. "Wir können den steigenden CO2-Preisen gelassen entgegenblicken", teilte das Unternehmen schon 2021 mit.

"Die finanziellen Auswirkungen steigender CO2-Preise sind bis 2030 vollständig abgesichert", stellte RWE in einem Bericht an die Monitoring-Organisation CDP fest. "Um diese Risiken zu mindern, setzen wir Absicherungsinstrumente ein. Daher sehen wir bis 2030 keine potenziellen Auswirkungen."

 

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