Nächtlich erleuchtetes AKW Doel mit den zwei Kühltürmen.
Das AKW Doel 4 soll nun 50 Jahre laufen. Eigentlich sollte der Block, in dem es 2014 einen Sabotageakt gegeben haben soll, in drei Jahren vom Netz gehen. (Foto: Parttimephotographer/​Wikimedia Commons)

Der Ukraine-Krieg verändert die Energiedebatte in Europa – auch beim Thema Atomkraft. 14 der 27 EU-Staaten betreiben derzeit keine Kernkraftwerke. Doch ausgerechnet Nachbarländer von Deutschland, wo Ende dieses Jahres die letzten drei AKW-Blöcke abschalten werden, bewerten die Energieform neu – zuletzt Belgien. Die Ampel-Regierung in Berlin aber hält am Ausstieg fest.

Belgien hatte ursprünglich beschlossen, seine sieben AKW-Blöcke bis 2025 vom Netz zu nehmen. Unter dem Eindruck von Putins Krieg entschied die Regierung in Brüssel jetzt, zwei der Anlagen zehn Jahre länger laufen zu lassen. Die Reaktoren Tihange 3 bei Lüttich – nahe der deutschen Grenze gelegen – sowie Doel 4 bei Antwerpen sollen bis 2035 am Netz bleiben.

Schon vorher hatte Belgien entschieden, Geld in die Forschung zu den neuen "Mini-Reaktoren" (Small Modular Reactors, SMR) zu stecken, die auch von Ländern wie Frankreich, Großbritannien und USA entwickelt werden.

Bei den AKW in Belgien waren in der Vergangenheit mehrfach Mängel festgestellt worden. Als besonders gravierend gelten die Tausenden Haarrisse in den Reaktordruckbehältern bei den Altanlagen Tihange 2 und Doel 3, deren Existenz 2012 bekannt wurde. Die Laufzeit dieser beiden Reaktoren soll nun auch nicht verlängert werden.

Weiter beschloss die Regierung in Brüssel, den Ausbau von Solar- und Windkraft – vor allem offshore – zu beschleunigen. Um den Markt anzukurbeln, wird die Mehrwertsteuer für Photovoltaik- und Solarwärme-Anlagen sowie elektrische Wärmepumpen zur Gebäudeheizung für zwei Jahre auf sechs Prozent gesenkt.

Belgien deckt zurzeit rund 47 Prozent seiner Stromnachfrage durch Atomkraft. 30 Prozent stammen aus Erdgas und 22 Prozent aus erneuerbaren Energien.

Betrieben werden die sieben AKW-Blöcke an den zwei Standorten vom französischen Energiekonzern Engie. Dieser hat in der Debatte über mögliche Laufzeitverlängerungen, die in Belgien bereits vor dem Ukraine-Krieg lief, immer wieder betont, kein Interesse am Weiterbetrieb zu haben und stattdessen den Ausbau der erneuerbaren Energien zu favorisieren.

Hintergrund sind auch die Kosten, die eine Laufzeitverlängerung mit sich brächte. Experten schätzen, dass Engie eine Milliarde Euro aufbringen muss, um Tihange 3 und Doel 4 für die aktuellen Sicherheitsbestimmungen nachzurüsten. Beobachter vermuten, dass der Konzern staatliche Zuschüsse für die Laufzeitverlängerung einfordern wird.

Umweltministerin Lemke: Krisenfest sind nur Erneuerbare

In den meisten anderen Nachbarländern Deutschlands war das Klima für die Atomkraft bereits vor dem Krieg günstig, zumindest, wenn man die Absichtserklärungen der dortigen Regierungen anschaut.

Frankreich, das weltweit den mit Abstand höchsten Atomstrom-Anteil hat, will sechs neue Großreaktoren bauen und eine Milliarde Euro in die SMR-Entwicklung investieren.

Die Niederlande haben im vergangenen Dezember beschlossen, das einzige noch am Netz befindliche AKW in Borssele in der Provinz Zeeland länger am Netz zu lassen und "die notwendigen Schritte für den Bau von zwei neuen Kernkraftwerken" zu unternehmen. Dafür will der Staat fünf Milliarden Euro bereitstellen, ein Viertel der kalkulierten Baukosten.

Auch Tschechien, das derzeit sechs Reaktoren betreibt, verfolgt Neubaupläne, und Polen, bisher ohne AKW, will ab 2026 eine erste Anlage bauen. Die Schweiz wiederum hat beschlossen, keine neue AKW zu mehr zu genehmigen, die vier am Netz befindlichen AKW aber vorerst weiterlaufen zu lassen. Dänemark und Österreich sind atomstromfrei.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) reagierte mit Bedauern auf die jüngste nukleare Kehrtwende in Belgien. Sie sei auch kein Modell für Deutschland, wo derzeit noch rund fünf Prozent Atomstrom im Netz sind.

Die Argumente für und gegen längere Laufzeiten seien in den vergangenen Wochen gründlich abgewogen worden, sagte sie der Agentur DPA. "Das Ergebnis war eindeutig: Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen. Das wäre weder sinnvoll noch vertretbar."

Deutschland befinde sich in einer Situation, in der die Energieversorgung "sehr schnell krisenfest" gemacht werden müsse. "Das machen wir durch einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien."

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