Arbeiter schrauben Solaranlagen auf ein Flachdach.
Bei der Solarenergie wird jetzt durchgestartet – in den USA. (Foto: Thomas Kelsey/​DOE Solar Decathlon)

Ohne China läuft bei der Solarenergie heute kaum etwas. Wird eine Photovoltaikanlage aufs Hausdach geschraubt oder ein PV-Kraftwerk auf eine Wiese gestellt, dann kommen fast immer Produkte von dort zum Einsatz.

Das ostasiatische Land dominiert den Weltmarkt für Solarzellen und -module. Die Rufe nach einer Renaissance der europäischen Photovoltaik-Industrie werden immer lauter, doch bisher bewegt sich wenig.

Nun hat sich der Ex-VW-Chef Herbert Diess bei dem Thema eingeschaltet. Er will den Anstoß dafür geben, dass in der EU 15 bis 20 Fabriken gebaut werden, die die gesamte Produktpalette abdecken.  

Es sind große Pläne. In einem Interview mit dem Online-Portal The Pioneer bezifferte Diess das Investitionsvolumen für diese Fabriken auf 15 bis 20 Milliarden Euro. Er schätzt, dass in Europa künftig jährlich Solaranlagen mit einer Nennleistung von 80 Gigawatt installiert werden, das sind 80.000 Megawatt.

"25 Prozent davon wollen wir selbst herstellen", so der Ex-Manager. Der 64-Jährige spricht nach eigenen Angaben derzeit mit Solarunternehmen und Zulieferern in Europa, aber auch mit chinesischen Unternehmen. Ob er später selbst im operativen Geschäft tätig werden will, ließ er noch offen.

Diess verlor den Chefposten beim VW-Konzern, den er auf E-Mobilität trimmen wollte, im letzten Sommer. Danach zog er in seine Heimatstadt München. Er habe sich gefragt: "Was macht man mit der Zeit und Energie, die man hat?" Und entdeckte die Solarenergie.

Deutschland attestiert er, als früherer Solarpionier zu ungeduldig gewesen zu sein. "Jede Industrie braucht eine Hochlaufzeit, das ist wie bei der Elektromobilität", sagte er. China dagegen habe es "mit hohen Subventionen" geschafft, eine wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen.

Für Diess ist klar, dass sich die Photovoltaik zur dominierenden Energieform der Zukunft entwickeln wird. Und: "Wir sollten dabei nicht zu 90 oder 100 Prozent von China oder den USA abhängig sein."

Made in China

Rund zwei Drittel der heute weltweit eingesetzten Silizium-Solarzellen sind "made in China". Inklusive der weiteren Herstellerländer Japan, Malaysia, Südkorea und Vietnam erreicht Asien sogar einen Anteil von 95 Prozent. Größere Solarproduzenten gibt es sonst nur in den USA und Kanada, Europa kommt nur noch auf 0,4 Prozent.

Dabei waren es deutsche Firmen gewesen, die den ersten Solarboom auslösten. Unternehmen wie Solarworld, Q-Cells und Centrotherm dominierten den Weltmarkt in den 2000er Jahren. Damals hatte die rot-grüne Bundesregierung mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als erste Regierung weltweit eine kostendeckende Vergütung für den Solarstrom eingeführt.

In den 2010er Jahren kollabierte jedoch die hiesige Industrie, nachdem die Merkel-Regierungen die Förderung rasiert hatten und chinesische Hersteller mit subventionierter Billigware den Markt aufmischten. Rund 80.000 Jobs gingen verloren.

Heute gibt es in der ganzen EU nur noch drei Firmen, die die Photovoltaik-Grundprodukte Ingots und Wafer herstellen. Ingots bestehen aus Silizium, das aus dem Rohstoff Quarzsand herausgeschmolzen wird. Sie werden dann in hauchdünne Scheiben, die Wafer, zerschnitten. Diese sind die Hauptkomponenten der Solarzellen, die Licht in Strom umwandeln.  

Seit dem Beginn von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird über das Thema neu diskutiert. Die dadurch enorm verstärkte Gas-, Öl- und Stromkrise machte auch dem Letzten klar, wie gefährlich es ist, sich bei der Energieversorgung so stark von einem anderen Staat abhängig zu machen.

Die Regierung in Peking könnte natürlich nicht den Strom aus bereits installierten Solaranlagen abschalten, so wie Russland es bei den Erdgaslieferungen konnte, jedoch die Energiewende torpedieren. Das Extremszenario wäre, dass der Westen ein Wirtschaftsembargo wie im Falle Russlands verhängen würde, falls China das von ihm als abtrünnige Provinz betrachtete Taiwan angreifen oder gar militärisch annektieren würde. Der Ausbau der Solarenergie würde praktisch kollabieren.

Fachleute halten es für angezeigt, etwa zwei Drittel des künftigen Bedarfs der EU auch hier herzustellen und nur den Rest zu importieren. Solarfabriken könnten etwa in Deutschland ähnlich günstig produzieren wie die Fernost-Konkurrenz, da sie hoch automatisiert sind.

Zudem könnten es Solarzellen der dritten Generation sein, sogenannte Heterojunction- oder Topcon-Zellen, die höhere Wirkungsgrade als die chinesische Standardware erzielen. Europa hat hier bisher die Technologieführerschaft und könnte diesen Vorteil jetzt noch durch den Aufbau einer eigenen Industrie nutzen.

... oder made in USA

Seit Beginn des Krieges ist hier konkret wenig passiert. Die EU droht sogar noch stärker ins Hintertreffen zu geraten, weil nach China nun auch die USA den Ausbau der eigenen Erneuerbare-Energien-Industrie mit gewaltigen Subventionen fördern.

Vertreter der europäischen Solarunternehmen und zwei Fraunhofer-Institute aus dem Sektor machten ihrem Frust kürzlich in einer gemeinsamen Erklärung Luft. Sie riefen die verantwortlichen Politiker in der EU und den Mitgliedsländern zu sofortigen Maßnahmen auf, um den Aufbau einer kompletten europäischen PV-Wertschöpfungskette zu ermöglichen.

Stichworte: Subventionen für Investitionen in Produktionskapazitäten, garantierter Strompreis für Photovoltaikanlagen und Vergünstigungen, wenn Hersteller niedrige CO2-Emissionen in der Produktion erzielen und gute Sozialstandards einhalten.

"Eine zeitlich begrenzte Industriepolitik, die gezielt die Renaissance einer produzierenden Industrie für Erneuerbare Energien fördert, ist strategisch klug und dringend notwendig", sagte dazu der Chef des Solarherstellers Meyer Burger, Gunter Erfurt.

Meyer Burger produziert seit 2022 als erstes hiesiges Unternehmen wieder Solarzellen und Solarmodule, im ehemaligen "Solarvalley" Bitterfeld-Wolfen. Unternehmen, die in der EU angesiedelt würden, sicherten eine bezahlbare Energieversorgung und zahlten hier auch Steuern, sagte Erfurt. Geschehe das anderswo, gehe Europa "am Ende doppelt leer aus".

Der Unternehmenschef weiß, wovon er spricht. Meyer Burger will zwar hierzulande seine Fertigung ausbauen, investiert aber auch kräftig in den USA. Im Bundesstaat Arizona soll eine Fabrik in Gigawatt-Größe entstehen.

Auch andere Hersteller orientieren sich um. So entschied der koreanische Produzent Hanwha-Q-Cells, der 2012 das insolvente deutsche Unternehmen Q-Cells aufgekauft hatte, seine neue Mega-Fabrik nicht in Sachsen-Anhalt, sondern in den Vereinigten Staaten zu bauen. Präsident Joe Biden lobte das als "größte Investition in die Solarenergie in der US-Geschichte".

Dass die USA plötzlich so attraktiv für Solarunternehmen sind, liegt an Bidens gigantischem Infrastruktur- und Erneuerbaren-Programm, dem "Inflation Reduction Act" (IRA). Es fördert unter anderem Solar- und Windenergie, E-Autos, Batterien und Haus-Wärmedämmung mit insgesamt rund 369 Milliarden Dollar. Voraussetzung ist allerdings, dass die Produkte auch im Land selbst produziert werden.

EU-Industrieplan ohne Details

Bei Fachleuten wie dem renommierten Solarprofessor Eicke Weber läuten daher die Alarmglocken: "Das Haus brennt – wenn Deutschland und die EU hier nicht sehr bald nachziehen, werden wir komplett von dieser Zukunftstechnologie abgehängt." Weber war langjähriger Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energieforschung (ISE) in Freiburg und ist heute Co-Präsident des European Solar Manufacturing Council (ESMC), in dem Photovoltaikhersteller, Forschungsinstitute und Maschinenbauer vertreten sind.

Billiger Solarstrom

Die Photovoltaik war zuerst eine Weltraum-Technologie. Sie wurde in den 1950er Jahren entwickelt, um Satelliten mit Strom versorgen zu können. Solarstrom auf der Erde blieb lange sehr teuer.

Das änderte sich ab 2000 vor allem durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Deutschland und die darauf folgende Produktionsausweitung, die die Kosten senkte. Zu Beginn wurde per EEG eine Kilowattstunde ins Netz eingespeister Strom mit rund 50 Cent vergütet, heute kann Solarstrom hierzulande in großen Kraftwerken für unter fünf Cent produziert werden. In sonnenreichen Ländern sind noch niedrigere Kosten möglich, teils für nur einen Cent pro Kilowattstunde.

Der Ausbau der Solarenergie boomt daher. Im Mai vorigen Jahres wurde weltweit die wichtige Marke von einem Terawatt installierter Gesamtleistung erreicht, das sind eine Milliarde Kilowatt. Für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien – Sonne, Wind, Wasser, Biomasse, Geothermie – sind laut Solarexperten jedoch noch viel größere Ausbauraten notwendig. Dafür müssten laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energieforschung (ISE) im Solarbereich bis 2050 insgesamt 20 bis 80 Terawatt erreicht werden.

Bei der Europäischen Kommission scheinen solche Warnungen inzwischen angekommen zu sein. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat unlängst einen neuen "Green-Deal-Industrieplan" angekündigt, der unter anderem die Produktion von Solaranlagen wieder zurück nach Europa holen will. Angesichts der "aggressiven Versuche" der USA und Chinas, Produktionskapazitäten aus Europa abzuwerben, soll es Gegenmaßnahmen geben, sagte sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

Laut dem inzwischen veröffentlichten Entwurf müssen bis 2030 mindestens 170 Milliarden Euro in Windparks, Solaranlagen, Batterien, Wärmepumpen und Wasserstoff investiert werden, damit die Industrie gegenüber der Konkurrenz aus Übersee wettbewerbsfähig bleibt.

Und zwar zusätzlich zu den ohnehin geplanten Investitionen in den Green Deal und den 300 Milliarden Euro, die im "Repower EU"-Programm vorgesehen sind, um die EU von russischer Energie unabhängig zu machen. Das Geld für die Vorhaben soll unter anderem aus bereits bestehenden Töpfen umgeschichtet oder aus privaten Quellen mobilisiert werden.

Die ersten Reaktionen auf den Industrieplan klingen noch nicht euphorisch. Solarexperte Weber sagt: "Ein guter Ansatz, aber Details fehlen noch, wie eine Unterstützung für Produkte, PV-Module oder Batterien, etwa durch Abnahme- oder Vertragsgarantien." In den USA würden Produkte durch den Biden-Plan mit bis zu 30 Prozent steuerlich bezuschusst.

Besonders ärgert Weber, dass die Ampel-Bundesregierung bisher praktisch nichts getan habe, um die Wiederansiedlung der Solarproduktion zu fördern. "Wirtschaftsminister Habeck muss auch die PV-Produktion oben in seine Prioritätenliste aufnehmen und eine Zuständigkeit dafür in seinem Haus schaffen, und Finanzminister Lindner sollte den Vorschlag von EU-Wettbewerbskommissarin Vestager aufnehmen, auch in Europa zeitlich begrenzte steuerliche Anreize für den Aufbau dieser Schlüsselindustrie anzubieten."

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Europa, zur Sonne

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