Unternehmen, die auf klimaneutrale Produkte wie "grünen Stahl" mit Wasserstoff gesetzt hatten, werden jetzt Nachteile haben. (Bild: Jan Lindblad Jr.)

Ihre größte Sorge in der Klimapolitik sei, dass die Vorreiter-Unternehmen künftig dafür bestraft werden, dass sie vorangegangen sind, und dass ihre klimaneutralen Geschäfte nicht funktionieren werden. Das sagte Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft, am Dienstag bei einem Briefing zum Weltklimagipfel.

Vorher hatte Nallinger noch die gute Nachricht herausgekehrt, weite Teile der Wirtschaft wollten beim Klimaschutz mitmachen, denn die Wirtschaft sei heute in weiten Teilen auch Problemlöser in Richtung Klimaneutralität.

Mit der Einigung der europäischen Umweltminister am Mittwochmorgen ist nun auch für Europa klar: Wer in seinen Geschäften auf einen vergleichsweise ambitionierten Klimaschutz gesetzt hat, hat sich verkalkuliert.

Zwar bleibt es formal beim EU‑Klimaziel einer CO2-Emissionsreduktion um 90 Prozent bis 2040 gegenüber 2005, dieses Ziel wird aber in weiten Teilen aufgeweicht: Statt wie bisher drei sollen nunmehr bis zu fünf Prozentpunkte vom Klimaziel durch Zertifikate-Deals mit dem außereuropäischen Ausland erkauft werden können.

Ab 2031 sollen dabei Pilotprojekte gestartet werden können, um entsprechende Zertifikate zu generieren. Die EU-Kommission soll zudem prüfen, ob auch die einzelnen Mitgliedsstaaten nach 2030 einen, wie es heißt, "geringen Teil" ihrer Klimaverpflichtungen über internationale Gutschriften erreichen dürfen.

Mehr CO2-Senken und Aufschub für neuen Emissionshandel 

Die EU hat bei der 90-Prozent-Reduktion bereits in großem Maßstab Klimaeffekte aus natürlichen CO2-Senken wie Wäldern oder Mooren einberechnet. Falls diese aber, wie viele Experten voraussagen, weniger zur Emissionsminderung beitragen als angenommen, soll das Ziel ebenfalls abgesenkt werden können, beschlossen die Umweltminister.

Der neue europäische Emissionshandel für Verkehr und Gebäude soll nicht 2027 starten, sondern erst 2028. Eine Folgenabschätzung, wie sich das aufs EU-Klimaziel auswirkt, habe man noch nicht vorgenommen, räumte EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra am Mittwoch ein. Für das EU-Klimaziel für 2030 – das ist ein CO2-Minus von 55 Prozent – rechnet er aber mit nur geringen Auswirkungen.

Auch die sogenannte Revisionsklausel wurde im Umweltministerrat nicht herausverhandelt. Danach soll die EU-Kommission alle zwei Jahre überprüfen, ob das 2040er Ziel mit Europas Wettbewerbsfähigkeit und mit der Wissenschaft vereinbar ist. Beobachter sind der Ansicht, dass gerade die Revisionsklausel dazu führt, dass in manchen Ländern so gut wie nichts mehr für den Klimaschutz getan wird.

Was ihren Klimabeitrag für den nächste Woche beginnenden 30. Weltklimagipfel in Brasilien betrifft, bleibt die EU-Kommission bei einem Korridor von 66,25 bis 72,5 Prozent im Vergleich zu 1990. Klimaexperten hatten bereits im Vorfeld darauf hingewiesen, dass selbst ein Minderungsziel von um die 72 Prozent nicht ausreicht, um das 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens einzuhalten.

Umweltminister lobt "schärfsten Klimaschutz" der Welt

Dass Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) die Einigung als "gutes Ergebnis" wertet, ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass zeitweise die Gefahr bestand, Europa müsse ohne Klimaplan und damit als diplomatischer Totalausfall zum Weltklimagipfel fahren.

Die EU-Staaten hätten sich für den "schärfsten" Klimaschutz weltweit ausgesprochen, lobte der Minister am Mittwoch sogar ausdrücklich. Nicht jede Veränderung sei hier als eine Abkehr von der Klimapolitik zu verstehen, vielmehr gehe es um eine Anpassung, so Schneider weiter.

Deutliche Kritik kommt von Klima- und Umweltverbänden. "Fürs Klima ist das eine Verhandlungsniederlage, auch wenn sich Umweltminister Carsten Schneider mit Verve für ein besseres Ergebnis eingesetzt hat", urteilte Christoph Bals, Politik-Vorstand von Germanwatch.
Geschwächt worden sei Schneiders Position im Vorfeld durch das uneinheitliche Bild der Bundesregierung, stellt Bals fest. "Energieministerin Katherina Reiche hat den Einsatz für ein glaubwürdiges 2035-Ziel abgebremst."

Tatsächlich wird oft übersehen, dass Deutschland als größter Emittent in Europa, der gerade in den Bereichen Verkehr und Gebäude die EU-Vorgaben deutlich reißen wird, selbst ein Interesse an aufgeweichten Klimazielen hat.

So droht Deutschland seine Pflicht innerhalb der sogenannten europäischen Lastenteilung zwischen 2021 und 2030 um mehr als 200 Millionen Tonnen CO2 zu verfehlen, wie das Umweltbundesamt prognostiziert. In der Folge drohen Milliarden-Strafzahlungen ab Anfang der 2030er Jahre. Mehr europäischer Spielraum wie die jetzt beschlossene Möglichkeit, solche Pflichten teilweise durch internationale Zertifikate rechnerisch zu erfüllen, kann hier bares Geld sparen.

Deutschland profitiert von schwächeren EU-Vorgaben

Die EU-Klimapolitik folgt im Kern inzwischen der deutschen Verwässerungslogik. Diese begann schon unter der Vorgängerregierung. Die Ampel reformierte das deutsche Klimaschutzgesetz so, dass Einsparungen im Energiesektor nun den Überziehungen bei Verkehr und Gebäuden gegengerechnet werden. Das soll künftig auch im EU-Klimagesetz gelten.

Das Verwässern setzte sich mit dem schwarz-roten Koalitionsvertrag fort. Der legt fest, dass drei Prozentpunkte des deutschen Klimaziels für 2040 über internationale CO2-Zertifikate erreicht werden dürfen. Zudem hatte Deutschland jetzt auch dem Druck aus der Industrie nachgegeben und versprochen, in der EU dafür zu sorgen, dass es mehr und länger kostenlose Emissionszertifikate für die Industrie geben wird.

Das habe die Kommission jetzt auch zugesagt, sagte Minister Schneider am Mittwoch. Es werde einen "nicht ganz so scharfen Prozess" beim sogenannten Ausgleiten der CO2-Zertifikate für stark im Wettbewerb befindliche Branchen geben.

Schließlich dominiert auch in Deutschland inzwischen das Mantra der Wettbewerbsfähigkeit. Beim erwähnten Briefing zum Weltklimagipfel betonte Bundesaußenminister Johann Wadepuhl (CDU), der beste Klimaschutz-Weg sei, wieder stärker auf Wettbewerbsfähigkeit und auf technologische Innovationen zu setzen statt nur auf Regulierung.

Allerdings unterstützt Deutschland international nicht nur Innovationen, sondern immer auch noch fossile Investitionen, wie Heike Henn, Leiterin der neuen Abteilung Internationale Klimapolitik im Umweltweltministerium, beim Briefing einräumte. Ob die entsprechende Richtlinie der Förderbank KfW überarbeitet wird, ließ sie offen.

 

Für Carsten Schneider ist ohnehin nicht die Lobby für Kohle oder Öl der "mächtigste Gegner" des Klimaschutzes, sondern dies seien Fatalismus und Resignation, sagte er am Mittwoch. Es gebe keinen Grund, von einem Scheitern zu sprechen, erklärte der Umweltminister mit Blick auf die jüngsten Warnungen von UN-Generalsekretär António Guterres.

Die internationalen Öl- und Gaskonzerne haben jedenfalls keinen Grund zu Resignation. Sie machten derzeit tagtäglich drei Milliarden US-Dollar Gewinn, rechnete Niklas Höhne vom New Climate Institute beim Briefing vor. Mit dem Zurücknehmen von Klimazielen bekomme diese Lobby die Möglichkeit, ihre Geschäfte fortzusetzen, warnte der Klimaexperte.

Die Verzögerungen belohnten die, die möglichst lange am fossilen Geschäftsmodell festhalten wollten, und bestrafe die, die sich auf einen klaren Kurs in Richtung Klimaneutralität verlassen haben, zitierte das Magazin Der Spiegel Höhne.

Aus seiner Sicht ist das auch der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas abträglich. Denn mit Abbremsen habe man noch nie jemanden überholt.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Klima-Revolution abgesagt