
Wie stets war die EU-Kommission um große Worte nicht verlegen. Das neue Klimaziel für 2040 ebne den Weg zu Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaneutralität, hieß es bei der Verkündung des Vorschlags am heutigen Mittwoch in Brüssel. "Die Dekarbonisierung ist ein kraftvoller Motor für Wachstum", sagte Klimakommissar Wopke Hoekstra. "Wir bleiben auf unserem Kurs."
Doch daran gibt es berechtigte Zweifel. Denn der Vorschlag der Kommission enthält etliche Neuerungen, die stark umstritten sind.
Ausgangspunkt ist ein Beschluss von 2019: Im Jahr 2050 will die EU klimaneutral sein. Als Zwischenschritt gibt es bislang nur das Klimaziel für 2030, das eine Senkung der Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 vorsieht.
Nun schlägt die Kommission für 2040 eine Reduktion um 90 Prozent vor. Damit ist die Gemeinschaft nominell auf Klima-Kurs. Der EU-Klimabeirat hatte 2023 in einem Gutachten ein Reduktionsziel von 90 bis 95 Prozent empfohlen.
Doch für so viel Ehrgeiz gibt es in der EU derzeit wenig Rückhalt. Klimakommissar Hoekstra hat deshalb eine Art Kompromiss vorgelegt, den er so formuliert: "Wir sind ehrgeizig, pragmatisch und flexibel."
Damit will Hoekstra sowohl das EU-Parlament als auch die Mitgliedsstaaten ins Boot holen, die beide dem Kommissionsvorschlag zustimmen müssen. "Wir wollen den Brückenschlag schaffen zwischen Wirtschaft und Klima", warb der Kommissar.
Klimaschutz wird zum Teil ins Ausland verschoben
Flexibler soll es bereits ab 2030 zugehen. Die Reduktionspflichten der Sektoren sollen künftig miteinander verrechenbar sein, ähnlich der Änderung am deutschen Klimaschutzgesetz, die die Ampel-Regierung vorgenommen hat.
Die EU-Kommission will auch sogenannte negative Emissionen anerkennen und besser honorieren, etwa wenn in der Landwirtschaft Pflanzenkohle eingesetzt wird.
Der brisanteste Punkt ist aber, dass für das 2040er Klimaziel auch international gehandelte CO2-Zertifikate angerechnet werden sollen, wie es unter anderem die Unionsparteien in Deutschland gefordert hatten. Dies will die Kommission nun in einem Umfang von drei Prozent ermöglichen, und zwar bezogen auf die Emissionen von 1990. Das entspricht immerhin rund 150 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.
Damit weicht die EU ab von ihrer bisherigen Linie, dass Emissionsreduktionen immer domestic sein müssen, also "zu Hause" erbracht werden müssen, im jeweils eigenen Land. Stattdessen wird Klimaschutz zum Teil ins Ausland verschoben. Ähnliches haben Union und SPD bereits in ihrem Koalitionsvertrag für die deutsche Klimapolitik vereinbart.
Der Vorschlag der EU-Kommission trifft auf viel Skepsis – von allen Seiten. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) in Deutschland kritisiert das neue EU-Klimaziel als "unrealistisch". Damit drohten "Überregulierung, wirtschaftliche Belastungen und Akzeptanzprobleme".
Der Stadtwerke-Verband hatte bereits im Oktober letzten Jahres ein Gutachten vorgelegt, wonach beim Festhalten der EU am 90-Prozent-Ziel eine klimapolitische Überforderung Deutschlands drohe.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte besonders die geplante Anrechnung internationaler Minderungsgutschriften und forderte zugleich, dies dürfe nun "nicht auf die lange Bank geschoben werden".
"Flexibilisierung heißt Aufweichung"
Kritisch dazu äußerten sich EU-Abgeordnete. Tiemo Wölken von der SPD warnte vor der Gefahr, mit dem Einbeziehen von CO2-Gutschriften lediglich die Bilanz aufzuhübschen. Der Vorschlag der Kommission sei hier "zu vage und nicht genug abgesichert". Michael Bloss von den Grünen warnte: "Diese Gutschriften sind schwer überprüfbar und öffnen die Tür für Betrug und Rechentricks."
Kritik am Kommissionsvorschlag kommt auch von Fachleuten. "Wenn es um das Ambitionsniveau geht, bedeutet Flexibilisierung immer Aufweichung", sagte Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mit der Anrechenbarkeit von CO2-Zertifikaten werde Unsicherheit aufbaut und eine Hintertür geschaffen. 85 Prozent Minderung ohne Zertifikate könnten dann sogar besser sein als 90 Prozent Minderung mit Zertifikaten, warnte der Klimaexperte.
Zwar will die EU-Kommission auch einen neuen Mechanismus einführen, nach dem die Minderungsgutschriften zwischen der EU und dem Land, in dem die Minderung erzielt wurde, aufgeteilt werden sollen. Im Sinne des Pariser Klimaabkommens soll dies Entwicklungsländer beim Klimaschutz unterstützen. Doch wie dies ausgestaltet und abgesichert werden soll, ist unklar.
Unbestimmt ist auch ein weiterer Punkt: der Zeitplan. Eigentlich soll das EU-Klimaziel für 2040 quasi die Vorlage liefern für den neuen, aktualisierten Klimaplan ("NDC") für das Jahr 2035, den die EU als ihren Beitrag zum Paris-Abkommen beim UN-Klimasekretariat einreichen muss. Die Deadline dafür war bereits im Februar.
Sehr viele Länder, darunter auch die EU, hielten sich aber nicht an die Frist. Deshalb wurde sie vom Klimasekretariat verlängert – bis zum 23. September, wenige Wochen vor Beginn des UN-Klimagipfels COP 30 in Brasilien.
Da die EU-Kommission ihren Vorschlag für das Klimaziel 2040 aber mit großer Verspätung vorgelegt hat, ist jetzt die Zeit extrem knapp. So will sich der EU-Ministerrat, die Vertretung der 27 Mitgliedsstaaten, erst Mitte September zu dem heute vorgelegten Vorschlag äußern.