Europa verfolgt ehrgeizige Klimaziele. Die Regeln dazu verteuern das wirtschaftliche Handeln. Jetzt hat die Bundesbank erstmals genau untersucht, ob der Kern der EU-Strategie, der Emissionshandel, die Industrie aus Deutschland vertreibt.
Die Experten fanden keinen Hinweis darauf. Die Unternehmen müssen also andere Gründe dafür haben, Fabriken ins außereuropäische Ausland verlagern zu wollen. Eher investieren die Firmen, um weniger CO2 auszustoßen.
Die EU soll 2050 klimaneutral sein. Wer in der Staatengemeinschaft etwas produziert und dabei CO2 in die Luft bläst, muss ein Zertifikat besitzen, dass ihm das erlaubt. Die Menge der Zertifikate ist durch die EU begrenzt und sinkt jedes Jahr.
Die Papiere werden im Wesentlichen per Auktion vergeben und dann etwa an der Börse in Amsterdam oder der Leipziger Strombörse EEX gehandelt. Zertifikate kosteten zuletzt um die 65 Euro. Etwas zu produzieren, ist deshalb in der EU im Prinzip teurer als außerhalb, wo es vielfach keinen solchen Emissionshandel gibt.
Das System gibt es seit 2005, mehrfach wurde es verschärft. Dem Handel unterliegen derzeit rund 9.000 Unternehmen in Europa, darunter Chemie- und Stahlkonzerne, Raffinerien, Zementwerke. Sie stehen für etwa 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen der EU-Länder. Auch der innereuropäische Luftverkehr und die Schifffahrt sind dabei. Verkehr und Wohnen soll ebenfalls eingebunden werden.
Daten zu Investitionen und CO2-Ausstoß verknüpft
Die Bundesbank-Experten schauten sich jetzt an, wie viel deutsche Konzerne aus dem verarbeitenden Gewerbe zwischen 2005 und 2022 außerhalb der EU in Produktion investierten. Die Zahlen dazu stammen von der Bundesbank selbst.
Die Autoren der Studie verknüpften sie mit Daten zum CO2-Ausstoß der Konzerne weltweit. Diese stammen von dem US-Beratungsunternehmen Institutional Shareholder Services (ISS), das mehrheitlich der Deutschen Börse gehört. Herausgerechnet wurden Effekte, die alle Unternehmen betreffen, etwa die Corona-Pandemie.
Das Ergebnis: Es gibt keine Hinweise, dass der Emissionshandel deutsche Unternehmen maßgeblich dazu bringt, außerhalb der EU zu produzieren und Fabriken in Deutschland zu schließen.
Das gilt der Studie zufolge gleichermaßen für Unternehmen, die überdurchschnittlich viel CO2 ausstoßen, wie für Firmen, die eher wenig Klimagas erzeugen. Wenn eine Firma abwanderte, muss es demnach andere Gründe gegeben haben.
Die Experten stellten eher fest, dass die Unternehmen in grüne Technologie investierten und ihren CO2-Ausstoß senkten. Offenbar rechnete sich das mehr, als teure Zertifikate zu kaufen oder gar die Produktion zu verlegen.
Demnach wird nicht nur in Deutschland, sondern in allen europäischen Ländern mehr Geld in grüne Technologien gesteckt als außerhalb der EU. Ein Beweis, dass der Emissionshandel wirkt.
Datensatz geht nur bis 2022
Die Studie endet allerdings 2022. Da hatte die letzte Reform des Emissionshandels gerade erst gegriffen, die Preise für Zertifikate waren von um die 25 Euro auf etwa 80 Euro gestiegen. In der Spitze waren es sogar mehr als 100 Euro.
Möglicherweise spielt der Handel deshalb jetzt doch eine Rolle, wenn es um Standortverlagerung aus Deutschland geht. Darüber entscheidet kein Unternehmen kurzfristig, zu hoch sind die Ausgaben und die Folgekosten.
Sollten die Zertifikatspreise dauerhaft hoch bleiben, rechnen die Autoren der Bundesbank-Studie damit, dass es für große Konzerne doch interessant sein kann, Fertigung, die besonders viel CO2 ausstößt, aus Europa abzuziehen.
Ein Problem sind auch Produkte wie Stahl, die in Ländern ohne Emissionshandel hergestellt und dann eingeführt werden. Er ist möglicherweise billiger als vergleichbarer Stahl aus Europa.
Deshalb greift bald der CO2-Grenzausgleich, eine Art Importsteuer, die den außereuropäischen Stahl aus Ländern ohne Klimaprogramm verteuert und so den CO2-Ausstoß dort einpreisen soll. Die Regel gilt auch für andere Produkte. Allerdings bekommen europäische Firmen beim Export keinen Klimabonus, der ihre Produkte außerhalb der EU verbilligen könnte.
Autoren empfehlen grüne Investitionsanreize
Die Autoren der Bundesbank-Studie jedenfalls mahnen an, die Klimapolitik international zu koordinieren. In der aktuellen geopolitischen Lage mit den großen Blöcken Russland, China und USA/Europa, die alle ihre eigene Strategie fahren und zum Teil wenig auf die Umwelt schauen, dürfte das schwierig sein.
Zudem haben weltweit betrachtet nur wenige Länder einen Emissionshandel. Europa ist hier führend. Der Handel gilt in den 27 Staaten der EU sowie Norwegen, Island und Liechtenstein. Die Schweiz hat ein eigenes System, ist aber angebunden.
Die Autoren empfehlen deutschen und EU-Politikern, Innovationen in grüne Technologien zu erleichtern und "internationalen wie nationalen Investoren auf diese Weise Investitionsanreize zu bieten". So könnten teure Subventionen vermieden und stattdessen privates Kapital mobilisiert werden.
Wichtig dabei: ein klarer Rahmen und Planungssicherheit, damit die Unternehmen kalkulieren können, ob, wie und wo es sich lohnt, zu investieren.
Warum könnten Unternehmen dennoch überlegen, Fabriken aus Deutschland zu verlagern? Genannt werden immer wieder Berichtspflichten, Bürokratie, hohe Energiekosten, Fachkräftemangel und sehr lange Genehmigungszeiten.
Vielleicht geht es auch nur darum, zu drohen, um Zugeständnisse der Politik zu erhalten. Was genau es ist oder wie sich vielleicht eine Kombination aus allem zusammensetzt, harrt noch wissenschaftlicher Untersuchung.