Angefangen hat alles mit einem Wettbewerb zwischen den Städten Amsterdam und Rotterdam. Angeregt von der Kreativagentur Frank Lee und der grünen Aktiv-Plattform Dus Wat Gaan Wij Doen lieferten sich die beiden Städte 2020 ein Wettrennen, wer von ihnen am meisten Flächen entsiegeln kann. "Tegelwippen" – auf Deutsch etwa "Gehwegplatten kippen" oder "Pflastersteine entfernen" – nannten sie diese Aktion.

Ein Jahr später nahmen laut der Onlineplattform Stad + Groen 81 niederländische Städte und Gemeinden an dem Wettbewerb teil. 2023 sollen es bereits über hundert gewesen sein. Ziel ist es, die niederländischen Städte und Gemeinden fit für den Klimawandel zu machen. Dafür werden gepflasterte Flächen in Rasen oder Blumenbeete umgewandelt, Hausfassaden begrünt und Bäume gepflanzt.

 

Inzwischen unterstützt unter anderem das niederländische Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft die Aktion, die jedes Jahr vom 21. März bis 31. Oktober stattfindet. Es gibt Trainer:innen, die Tipps für das korrekte Entfernen der Pflastersteine geben, und spezielle "Taxis", die den anfallenden Bauschutt wegbringen.

Beim Tegelwippen gibt es außerdem verschiedene Preise zu gewinnen. Der Stadt oder Gemeinde, die am meisten entsiegelt, winkt etwa am Ende die "Goldene Platte". In diesem Jahr sind laut den Veranstaltern schon über zwei Millionen Pflastersteine und Gehwegplatten "gewippt" worden, insgesamt sollen es mehr als zehn Millionen sein.

Mitmachen können bei der Aktion alle Städte und Gemeinden, aber auch Privatpersonen. Flandern, der niederländischsprachige Teil Belgiens, ist seit dem vergangenen Jahr ebenfalls dabei. Und in Zukunft vielleicht auch Deutschland?

Versiegelung wird an heißen Tagen zum Gesundheitsrisiko

Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts sind etwa 45 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen hierzulande asphaltiert, betoniert oder in anderer Form versiegelt. Die Deutsche Umwelthilfe hat im Juli eine Analyse veröffentlicht, welche Städte ab 50.000 Einwohner:innen einen besonders hohen Prozentsatz an versiegelten Flächen aufweisen. Ganz vorne stehen dabei Ludwigshafen und Heilbronn.

"Diese Städte sind sehr schlecht auf den Klimawandel vorbereitet", erläutert Dina Barbian, die das Eco 2050 Institut für Nachhaltigkeit in Nürnberg leitet, auf Anfrage von Klimareporter°. Bei hohen Temperaturen heizen sich gerade Asphalt- oder Steinflächen stark auf.

Das beeinträchtigt die Lebensqualität in Städten und wird vor allem für bestimmte Gruppen wie Kinder und ältere Menschen zum Gesundheitsrisiko, da die Thermoregulierung des Körpers bei ihnen noch nicht so ausgeprägt wie bei Erwachsenen oder eingeschränkt ist. Doch auch viele andere Menschen leiden bei Hitze zum Beispiel unter Schwindel, Schlafstörungen oder Kopfschmerzen.

Entsiegelte und begrünte Flächen können hier Abhilfe schaffen, denn sie sorgen laut Barbian für natürliche Kühlung. Auch bilden sie einen Puffer gegen Extremwetterereignisse wie Starkregen und helfen, die Grundwasserstände aufzufüllen. Noch dazu filtern begrünte Flächen Schadstoffe aus der Luft und schaffen Lebensraum für Tiere wie Insekten.

Eine von mehreren Maßnahmen

Allerdings bleibt die natürliche Struktur des Bodens laut dem Umweltbundesamt auch nach einer Entsiegelung gestört. Die Bodenfruchtbarkeit lässt sich nur verzögert und oft nicht in gleicher Qualität wie vor der Versiegelung wiederherstellen.

Dennoch kann Entsiegelung beim Eindämmen des Klimawandels helfen. Dina Barbian empfiehlt sie als eine von mehreren Maßnahmen zur Abschwächung und Anpassung an die Erderwärmung. Dazu könnten etwa auch Trinkwasserbrunnen in der Stadt gehören.

Aus dem Tegelwippen auch in Deutschland einen Wettbewerb zu machen, hält die Nachhaltigkeitsexpertin für einen guten Ansatz: "Am besten verbreitet sich eine solche Idee über etablierte Medien wie Fernsehen, Radio, Zeitung und eventuell auch über Social Media."

Tatsächlich scheint das Tegelwippen hierzulande langsam an Bekanntheit zu gewinnen. So hat die Koblenzer Hochschule für Gesellschaftsgestaltung im Juli angekündigt, den Wettbewerb nach Deutschland holen zu wollen. Auch die Stadt Hameln hat eine solche Aktion vor Kurzem als eine von mehreren Ideen für eine besser an Hitze angepasste Innenstadt vorgestellt.