Unsere Demokratie ist in der Krise – so steht es derzeit überall geschrieben. Und das ist nicht von der Hand zu weisen. Doch wenn unsere Demokratie wieder erstarken soll, dann muss sie sich weiterentwickeln.
Sie muss zeigen, dass sie die akute Klima- und Naturkrise abwehren und den Wandel hin zu einer Gesellschaft mit gelebten sozialen und ökologischen Werten aktiv gestalten kann. Diese Transformation der Gesellschaft muss radikal im besten Sinne des Wortes sein.
Vor allem aber braucht sie eine ins Detail genaue soziale Ausgestaltung. Nur, wenn sich die Menschen in einer Zeit der Veränderung weder hilflos noch alleingelassen fühlen, kann sichergestellt werden, dass ein Übergang in progressivere Gesellschaftsformen rechtsradikalen Kräften nicht in die Hände spielt.
Längst ist der Schutz vor der Klimakatastrophe ein über die nationalen und europäischen Verfassungen abgesichertes und höchstrichterlich gesetztes Menschenrecht. Und unsere Demokratie ist ein unschätzbares Gut, das es zu verteidigen gilt.
Wie kommen wir hier also in ein konstruktives und gesamtgesellschaftliches Gestalten? Wie gestalten mehr Menschen mit? Wie bereiten wir die Grundlagen für Mut und Zuversicht, ohne die der Schritt ins Neue wohl von den wenigsten gewagt würde?
Populismus von rechts hat keine Lösungen
Und das in einer Zeit, in der während des EU-Wahlkampfes in Deutschland eine bedrohliche Zunahme von physischen Angriffen auf Politiker:innen und die Demokratie offenbar wurde. Rechtsradikale erschüttern mit ihren Deportationsfantasien die Republik. Sie versuchen, über eine Polarisierung der politischen Debatten die Demontage unserer Demokratie voranzutreiben.
Populisten wie Söder und Aiwanger flankieren dies, indem sie einen destruktiven Kulturkampf gegen die sozial-ökologische Transformation anzetteln, ohne sich über den Schaden für unsere Demokratie gewahr zu werden.
Martin Kaiser
ist seit 2016 geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland. Bei der Umweltorganisation, für die er sich seit 1998 engagiert, leitete der studierte Geoökologe und Forstingenieur zuvor internationale Biodiversitäts- und Klimaprojekte und vertrat Greenpeace auf den Weltklimagipfeln.
Internationale Netzwerke rechter Radikaler, finanziert durch Öl-Dollars aus den USA, haben längst das europäische Festland erreicht. Putin spielt das gleiche Spiel, lediglich aus der anderen Himmelsrichtung und unterstützt durch Bot-Armeen sowie russische "U‑Boote" im deutschen Bundestag.
Diese beunruhigenden Ereignisse werfen nicht nur Fragen zur politischen Kultur in Deutschland auf, sondern lenken auch den Blick auf den Zustand von Demokratien weltweit. Beispielsweise hat Russland unter Putin eindrücklich gezeigt, wie schnell Demokratien bedroht, bekämpft und ausgehöhlt werden können.
Die Ergebnisse waren und sind politische Repression, Zensur und Angriffe auf Opposition und zivilgesellschaftliche Organisationen in diesen Ländern. Auch Greenpeace wurde in Russland zur unerwünschten Organisation erklärt und zur Auflösung gezwungen. Auf solche Art wird auch wirksamer Umweltschutz unmöglich gemacht.
Der Green Deal braucht ein mutiges EU-Parlament
Momentan versuchen die Spitzen von Bauernverbänden und Industrie, die Europäische Union als Bürokratiemonster zu verunglimpfen. Dabei ist eine Bürokratie, die Korruption verhindert, sehr wertvoll. Eine überbordende Regelung zu vereinfachen, kann sinnvoll sein – sofern sie nicht einen einheitlichen Regelungsrahmen für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft untergräbt.
Denn eines ist klar geworden: Mit Förderung und Freiwilligkeit allein werden wir die dringend notwendigen Veränderungen niemals in die Wege leiten und leben können. Und hat nicht gerade auch die Industrie immer gleiche Ausgangsbedingungen auf EU-Ebene gefordert, um Chancengleichheit im Wettbewerb zu ermöglichen?
Für eine lebenswerte Zukunft in Europa muss es verbindliche Rahmensetzungen geben. Dabei kann der Green Deal, wenn er von der europäischen Staatengemeinschaft konsequent umgesetzt wird, eine Erfolgsgeschichte für den Kontinent, den Schutz von 500 Millionen Menschen und für eine nachhaltige Wirtschaft werden. Dazu braucht es ein mutiges Parlament, dem die Gestaltung am Herzen liegt.
Die EU-Wahlen bieten die Chance, durch eine starke Wahlbeteiligung und den Rückhalt von EU-Gesetzgebung extremistischen Kräften entgegenzuwirken und eine progressive und nachhaltige Zukunft für Europa mitzugestalten. Die EU demokratisch zu wählen, heißt auch, Angriffe auf die Demokratie abzuwehren und diese zu verteidigen.
Es waren Momente voller Hoffnung, als sich Anfang des Jahres Millionen Menschen auf den Straßen Deutschlands klar zur Demokratie und gegen die Demokratiefeinde stellten. Wenn diese und viele andere die Zeichen der Zeit erkennen und sich auch kurz vor der Wahl erneut für unsere Demokratie und eine lebenswerte Zukunft einsetzen, kann der 9. Juni ein Meilenstein für die Demokratie werden.
Aufstehen, einmischen, die Demokratie verteidigen und um die besten Lösungen – raus aus der Klima- und Naturkrise – konstruktiv zu debattieren, das sollte die Zukunft von uns Europäer:innen sein.