Die Unterwasserwelt der Korallenriffe fasziniert die Menschheit seit Jahrtausenden. Als eine Pflanze, die außerhalb des Wassers verblasst und sich in Stein verwandelt, beschrieb der römische Gelehrte Plinius der Ältere eine Koralle etwa hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Wenngleich das eine nachvollziehbare Charakterisierung war, wissen wir heute doch besser über diese rätselhaften Wesen Bescheid.

Korallenriffe bestehen aus vielen Millionen Nesseltier-Polypen. Diese nur wenige Zentimeter großen Tierchen leben zusammen in Kolonien und sondern Kalziumkarbonat ab, wodurch die typischen Korallenriffe entstehen.

Die Polypen haben winzige Tentakeln und können damit Plankton oder organische Kleinstpartikel aus dem Wasser filtern.

Den Großteil ihrer Energie, etwa 90 Prozent, beziehen Korallen aber direkt von der Sonne. Da die Nesseltiere selbst nicht zur Photosynthese fähig sind, gingen sie vor knapp 400 Millionen Jahren eine entscheidende Symbiose ein.

Anstatt Zooxanthellen, eine einzellige Algenart, nach der Aufnahme zu verdauen, integrierte das Nesseltier sie als sogenannten Symbiosepartner in den eigenen Stoffwechsel. Diese auch in anderen Lebensformen zu findende Freundschaft nennt sich Endosymbiose, sprich der Symbiont lebt innerhalb des anderen Organismus, in dem Fall der Einzeller in der Koralle.

Die Mikroalgen versorgen die Koralle mit Zucker und anderen organischen Verbindungen, während die Koralle der Alge bestimmte Nährstoffe sowie Schutz und Zugang zu Licht garantiert.

Diese Symbiose hat sich über die vielen Millionen Jahre derart perfektioniert, dass Korallen spezifische Gene aufweisen, die dafür zuständig sind, den beschriebenen Nährstoffaustausch zu regulieren.

Die einzelnen Polypen sind wiederum über eine dünne Gewebeschicht miteinander verbunden und können so Signale und Nährstoffe austauschen.

Um diese bei genauerer Betrachtung unheimlich komplexe Lebensform haben sich vielschichtige und einzigartige Ökosysteme gebildet. Obwohl nur ein Prozent des Meeresuntergrunds von Korallen bedeckt ist, lebt dort ein Drittel aller marinen Arten.

Kritische Schwelle könnte auf Dauer überschritten sein

Kaum ein anderes Ökosystem reagiert so empfindlich auf die Erderwärmung wie Korallenriffe. Seit Ende der 1990er Jahre kam es zu vier globalen Korallenbleichen – davon sprechen Wissenschaftler:innen, sobald mindestens zwölf Prozent der weltweiten Riffe betroffen sind.

Die erste weltweite Korallenbleiche fand 1998 statt und betraf 21 Prozent, 2010 waren es 37 Prozent, zwischen 2014 und 2017 knapp 70 Prozent. Und seit 2023 befinden wir uns im vierten globalen "Bleichevent".

Die Zahl der betroffenen Ökosysteme steigt deshalb nach wie vor an. Über die Hälfte der Riffe seien weltweit betroffen, meldeten Wissenschaftler:innen noch letztes Jahr – bekräftigten allerdings, dass kein Ende in Sicht sei.

Vor wenigen Wochen aktualisierte die International Coral Reef Initiative die Bedrohungslage. Mittlerweile würden 84 Prozent aller Korallen unter der weltweiten Bleiche leiden. Ein Ende sei nach wie vor nicht in Sicht.

Karettschildkröten in einem Korallenriff der Malediven im Indischen Ozean. (Bild: Andrej Armjagow/​Shutterstock)

Die Meerestemperatur könnte nie wieder unter die kritische Schwelle für eine Korallenbleiche fallen, erklärte Mark Eakin, der frühere Chef des Korallenbeobachtungsprogramms der US-Wetter- und Ozeanbehörde NOAA.

Eakin: "Wir haben es hier mit etwas zu tun, das das Gesicht unseres Planeten und die Fähigkeit unserer Ozeane, Leben und Lebensgrundlagen zu erhalten, völlig verändert."

Eine Korallenbleiche ist nicht gleichbedeutend mit dem Tod der Korallen. Wenn die Meerestemperatur einen Schwellenwert überschreitet – für tropische Arten liegt er in der Regel bei 29 Grad – produzieren die Symbiosealgen für die Koralle giftige Stoffe und werden daraufhin von ihrem Wirt abgestoßen.

Die Koralle verliert dadurch ihre typischen Farben und verblasst.

Wenn die Temperatur nach einer gewissen Zeit wieder unter den Schwellenwert absinkt, kann diese für das Meeresökosystem essenzielle Symbiosebeziehung erneut aufgenommen werden. Wenn nicht, stirbt die Koralle. Allein durch das Herausfiltern von Kleinstlebewesen können die Nesseltiere nicht mehr überleben.

Wie lange Korallen eine Bleiche überstehen können, hängt von den Umständen ab, wie der Biologe Christian Wild gegenüber Klimareporter° erläutert. Nicht nur die Wassertemperatur, auch regionale Stressfaktoren wie Überdüngung und Überfischung beeinflussen den Zeitraum.

Generell könne man aber, schließt der Leiter der marinen Ökologie an der Universität Bremen, von "Wochen bis Monaten" ausgehen.

Eine Milliarde Menschen von Korallen abhängig

Für welchen Anteil der betroffenen Riffe diese Wochen oder Monate bereits vergangen sind, lässt sich gegenwärtig nicht beziffern. Sowohl in den Tropen als auch den Subtropen dürfte es aber einige geben, deren Kipppunkt überschritten ist oder, wie Wild es ausdrückt, die "irreversibel geschädigt" sind.

Eine Studie aus dem letzten Jahr gab für verschiedene Riffe an der mexikanischen Pazifikküste Mortalitätsraten zwischen 50 und 93 Prozent an.

In einer weiteren Untersuchung aus diesem Frühjahr beobachteten Forscher:innen über 460 Korallenkolonien am Great Barrier Reef. Im April litten 80 Prozent der Kolonien an einer Korallenbleiche. Im Juli war über die Hälfte dieser Korallen tot, 31 Prozent verzeichneten nach wie vor eine Bleiche und nur 16 Prozent hatten sich erholt.

Nach dem Absterben der Korallen dauert es nicht lange, bis das gesamte Ökosystem zugrunde geht. Die Korallenskelette, die für die Komplexität und die Vielfalt der ökologischen Nischen verantwortlich sind, werden durch Erosionsprozesse abgebaut.

Wild: "Es bilden sich dann zweidimensionale Geröllwüsten, die kaum noch Lebensräume für andere Organismen bieten."

Über 330 Millionen Menschen leben in unmittelbarer Nähe der Riffe, sind abhängig von den Ökosystemen als Nahrungsquelle und von der Schutzfunktion der Riffe zum Beispiel als Wellenbrecher. Indirekt sind gar noch wesentlich mehr Menschen von den Nesseltieren abhängig.

Fischerei und Tourismus leben von den Ökosystemen. Insgesamt gehen Schätzungen von rund einer Milliarde Menschen aus, die direkt oder indirekt von den Korallen profitieren.

"Als Atollnation sehen wir unsere Riffe geschädigt und unsere Lebensgrundlagen bedroht", klagte der Präsident von Palau, Surangel Whipps. "Unsere Ozeane und Gemeinschaften sind auf sie angewiesen."

 

Auch zerstörerische Fischereimethoden und die zunehmende Verschmutzung der Meere setzen den Ökosystemen zu. "Aber", mahnte der Ständige Vertreter des Inselstaates Fidschi bei den Vereinten Nationen Peter Thomson, "lassen Sie uns nicht um den heißen Brei herumreden. Die Korallen bleichen und sterben vor allem, weil sich die Meere alarmierend schnell erwärmen."

Und das liege hauptsächlich an den "Treibhausgasen, die durch die anhaltende Verbrennung fossiler Energieträger durch die Menschheit entstehen".

Angesichts des Zustandes der Weltmeere überraschte die Entscheidung der neuen Bundesregierung von letzter Woche, mehrere Sonderbeauftragten-Stellen abzuschaffen – darunter die Stelle des Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik und die Stelle des Meeresbeauftragten.