Nicht viel mehr als ein Slogan von Fridays for Future? (Bild: Jonathan Knodel/FFF Deutschland/Flickr)

Aufgabe des Umweltbundesamtes ist es, jede Bundesregierung darin zu unterstützen, ihre Umwelt- und Klimaziele zu erreichen, und zu prüfen, ob die entsprechenden Ziele und Maßnahmen ausreichen. So jedenfalls umriss UBA-Präsident Dirk Messner kürzlich den Auftrag seiner Behörde im Interview mit Klimareporter°.

Sein Haus stehe daher mit jeder Regierung in einem gewissen Spannungsverhältnis, fuhr Messner fort. Man sei Berater und Kritiker zugleich.

Als Kritiker hat das UBA allerdings zuletzt an Profil verloren, gerade in der Klimapolitik. Festmachen lässt sich das an dem im Frühjahr vorgelegten Projektionsbericht 2024. Der vom UBA erstellte Klimabericht sagte für Deutschland eine Treibhausgas-Minderung von knapp 64 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 voraus. Das deutsche Klimaziel beträgt 65 Prozent.

Entsprechend freute sich im April Robert Habeck. "Zum ersten Mal überhaupt zeigen die Zahlen: Deutschland ist auf Kurs", erklärte der grüne Klimaminister.

Allerdings wurde die Projektion des beratend-kritischen UBA umgehend selbst Ziel berechtigter Kritik. So wurden in das Zahlenwerk CO2-Maßnahmen einberechnet, deren Finanzierung bereits einige Zeit obsolet war.

Der Expertenrat für Klimafragen kritisierte auch methodische Mängel. Das UBA habe darauf verzichtet, Wahrscheinlichkeiten anzugeben, mit denen das Klimaziel 2030 erreicht wird, bemängelte das unabhängige Gremium. Die Angabe solcher Wahrscheinlichkeiten ist Standard in der Klimawissenschaft.

Die Vorwürfe ließen das Umweltbundesamt offenbar nicht ruhen. Den Eindruck vermittelt ein jetzt veröffentlichtes, von Expertinnen und Experten der Behörde erstelltes Hintergrundpapier zu "Grundlagen von CO2-Budgets".

CO2-Budgets machen Klimapolitik politisch verhandelbar

Dass sich das UBA der CO2-Budgets annimmt, begrüßt Wolfgang Lucht vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung berät. "Ohne einen solchen Maßstab ist der aktuelle Stand der Klimapolitik nicht einzuordnen und damit politisch nicht verhandelbar", erklärt Lucht gegenüber Klimareporter°.

Zwar würden sich die meisten Staaten einer ambitionierten Klimapolitik rühmen, die Summe aller derzeitigen Maßnahmen führe aber bei Weitem noch nicht in die Nähe der Pariser Klimaziele, bilanziert der Erdsystemwissenschaftler. Diese Ziele einzuhalten, hätten sich alle Staaten aber aus gutem Grund verpflichtet, betont er.

Das Paris-Abkommen verteilt das globale CO2-Restbudget bekanntlich nicht von oben nach unten ("top-down"), vielmehr baut es darauf, dass die Länder mit ihren nationalen Klimaverpflichtungen eine ausreichend ehrgeizige Klimapolitik von unten ("bottom-up") verfolgen, um das 1,5-Grad-Limit für die Erderwärmung nicht zu überschreiten.

Dieser Bottom-up-Ansatz verlange regelmäßige Ambitionssteigerungen bei den nationalen Klimaplänen, konstatieren die UBA-Fachleute in ihrem Hintergrundpapier. Sie sehen die Anstrengungen der Länder aber als nicht ausreichend an. Derzeit überziehen die Staaten absehbar das 1,5-Grad-kompatible globale Restbudget, schreiben sie.

Gemessen an den globalen Emissionen seien die CO2-Restbudgets mittlerweile relativ klein, stellt das Papier zudem fest. Weltweit dürfen nur noch 250 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden, um das 1,5-Grad-Limit mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit einzuhalten, heißt es weiter. Die 250 Milliarden geben den aktuellen Stand der Klimawissenschaft wieder.

Kurvendiagramm: Die globale Erwärmung seit 1850 folgt fast linear dem menschengemachten CO2-Ausstoß.
Die globale Erwärmung folgt fast linear den seit 1850 von Menschen verursachten CO2-Emissionen. Daraus folgert die Wissenschaft, dass es jeweils Emissions-Obergrenzen gibt, wenn bestimmte Erwärmungslevel nicht überschritten werden sollen, und dass für den Stopp der Erwärmung dann netto null Emissionen nötig sind. (Bild: Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, aus dem sechsten IPCC-Sachstandsbericht)

Globales Restbugdet erschöpft sich schneller als angenommen

Das UBA-Papier geht sogar einen Schritt weiter. Angesichts der 2023 erreichten globalen Durchschnittstemperatur und der für 2024 erwarteten Temperaturen sei es durchaus möglich, dass das globale Restbudget für 1,5 Grad bereits "deutlich kleiner" als die 250 Milliarden Tonnen ist, wird gewarnt.

Bei weltweiten CO2-Emissionen von weiterhin fast 40 Milliarden Tonnen jährlich bedarf es keiner großen Rechenkunst, um festzustellen, dass damit das 1,5-Grad-Budget der Menschheit bald erschöpft sein wird, möglicherweise schon vor 2030.

All das verschärft die Frage nach einer gerechten Verteilung des Restbudgets unter den Staaten. Wird bei der Verteilung ein Pro-Kopf-Ansatz gewählt, der jedem Menschen auf der Welt ein gleiches künftiges Emissionsrecht einräumt, werden die Industrieländer selbst bei größten Minderungsbemühungen ihre "fairen" Restbudgets absehbar nicht einhalten können, betonen die UBA-Fachleute.

Infolgedessen, schreiben sie weiter, müssten die Länder des globalen Südens mehr CO2-Einsparungen übernehmen, als von ihnen gerechterweise verlangt werden könne. Solange die Klima-Selbstverpflichtungen der Staaten zusammengenommen nicht zur Einhaltung der Paris-Ziele führen, sei eine "faire" Lastenverteilung kaum zu erreichen, wird im Papier festgestellt.

Pro-Kopf-Ansatz verlangt Vorangehen der Industrieländer

Anders gesagt: Je länger sich die Industriestaaten mit wirksamem Klimaschutz Zeit lassen, desto weniger gerecht wird die Klimakrise zu bewältigen sein.

Wolfgang Lucht sieht deshalb keine Alternative dazu, sich mit dem Pro-Kopf-Ansatz auseinanderzusetzen. Dieser markiere die Abwägungsgrenze zwischen Ansätzen für CO2-Budgets, bei denen Industrieländer vorausgehen müssten, und den Ansätzen, bei denen die Industrieländer aufgrund ihrer Abhängigkeit von fossilen Infrastrukturen auch weiterhin pro Kopf mehr emittieren dürften als der Rest der Welt.

Derzeit entwickelten die Länder des industrialisierten Nordens vor allem Argumente zum eigenen Vorteil, findet Lucht. Eines davon lautet: Vor allem aus ökonomischen Gründen ist es nicht zielführend, von Industriestaaten zu verlangen, dass sie mehr beim Klimaschutz tun, als ihnen derzeit möglich ist.

Lucht sieht dieses Argument kritisch. Wenn es heiße, eine "ökonomisch nachteilige" oder gar "unrealistische" Klimapolitik bringe nichts, dann werde es zu oft wirtschaftlichen Akteuren überlassen, zu definieren, was "realistisch" ist, erläutert er.

Seiner Ansicht nach sind die Industriegesellschaften aber noch weit davon entfernt, in der Klimakrise so entschlossen zu handeln, wie es angesichts der Folgen notwendig und angesichts ihrer Fähigkeiten möglich ist.

Mit einer solchen Haltung setzten sich die Industrieländer vor allem selbst ins Recht, kritisiert der Klimawissenschaftler. Der Rest der Welt sehe dies häufig als einen Aspekt westlicher Scheinheiligkeit.

Beim internationalen Klimaschutz sei von Beginn an Konsens gewesen, dass der reiche Norden vorangehen und entsprechend seiner historischen Verantwortung und seiner wirtschaftlichen und technologischen Möglichkeiten eine überproportionale Last übernehmen müsse. Dies impliziere auch der Vertragstext des Pariser Klimaabkommens, betont Lucht.

Urteil des Verfassungsgerichts fußt auf CO2-Budgets

Neben dem globalen gibt es offenbar auch einen nationalen Grund, warum sich das Umweltbundesamt des CO2-Budgets annimmt. Denn auf dem Budgetkonzept beruht auch das berühmte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz aus dem März 2021.

Die Karlsruher Richter erklärten in ihrem Urteil, dass die im Paris-Vertrag verankerte und verfassungsrechtlich maßgebliche Temperaturschwelle von "deutlich unter zwei Grad und möglichst unter 1,5 Grad" prinzipiell in ein globales CO2-Restbudget umgerechnet werden könne – und dieses lasse sich dann auch auf die Staaten verteilen. Ein CO2-Restbudget ermöglicht es in den Augen des Gerichts, nationale Beiträge wie das Klimaschutzgesetz auf ihre Plausibilität im Hinblick auf eine Temperaturobergrenze zu überprüfen.

Die Bundesregierung, stellen die UBA-Fachleute ihrerseits fest, verwende dieses Konzept des globalen CO2-Budgets und dessen nationaler Anwendung bislang nicht. Dazu gebe es bisher keine rechtliche Grundlage, auch gehe ein CO2-Budget mit starken Unsicherheiten einher und der Weltklimarat berechne nur globale Budgets, führt das Hintergrundpapier einige Gründe an, auf die sich die Bundesregierung beruft.

Für das fragliche CO2-Budget, über das Deutschland noch verfügen kann, konnten sich die Verfassungsrichter deshalb auch nicht auf Daten der Regierungsbehörde UBA beziehen. Stattdessen griffen sie auf Budget-Berechnungen zurück, die der Sachverständigenrat für Umweltfragen 2020 vorgelegt hatte.

Aus den allgemeinen Bestimmungen der Verfassung lässt sich allerdings kein konkret bezifferbares CO2-Budget ableiten. Deshalb hat das Gericht hier 2021 auch keine Vorgaben gemacht.

Politik hat Spielraum beim Gestalten des CO2-Budgets

Hier gibt es – aufgrund verbleibender wissenschaftlicher Unsicherheiten und der Frage, nach welchen Werten ein CO2-Budget aufgeteilt wird – einen politischen Gestaltungsspielraum. Diesen auszufüllen und die Grundlage der Klimapolitik mit einem Budget zu konkretisieren, ist damit Aufgabe des Gesetzgebers.

Dies räumt auch Wolfgang Lucht ein. Wichtig sei, dass die Bundesregierung dem Auftrag des Gerichts folge, sich auf die Logik eines CO2-Budgets einlasse und ihre Wahl der Budgetgröße transparent begründe, fordert er zugleich.

Um diesen Gestaltungsspielraum drehen sich, wenn man so will, auch die vergangenen wie die jüngst von Umweltverbänden und Einzelpersonen angestrengten Klagen gegen das Klimaschutzgesetz.

Die zentrale Frage ist eben, ob das Klimagesetz und seine derzeitige Umsetzung mit den Prinzipien einer international fairen Obergrenze für die Restemissionen Deutschlands vereinbar sind.

Das UBA-Papier befasst sich übrigens auch mit der Frage, inwieweit das deutsche Klimaschutzgesetz zum 1,5-Grad-Ziel passt. Auch wenn die Regierung das Gesetz nicht aus einem CO2-Budget abgeleitet hat, lasse sich aber umgekehrt aus dem Minderungspfad des Klimagesetzes ein CO2-Budget ableiten, stellen die UBA-Fachleute klar.

Klimaschutzgesetz entspricht nicht dem Budget für 1,5-Grad-Ziel

Dabei schließen sie sich offenbar früheren Angaben des Sachverständigenrates an. Denen zufolge entsprechen die deutschen Klimaziele, ab 2022 gerechnet, in etwa einem CO2-Budget für ein globales 1,75-Grad-Ziel (mit Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit), nicht aber einem 1,5-Grad-Budget.

Dass die 1,5-Grad-Temperaturgrenze, zu der sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag bekennt, nicht eingehalten wird, stellt auch das UBA-Papier deutlich heraus. Die Autorinnen und Autoren betonen aber auf Nachfrage, dass sie sich diese Wertung nicht ausdrücklich zu eigen machen.

 

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen sieht das deutsche 1,5-Grad-Budget übrigens inzwischen als ausgeschöpft an – zumindest wenn man vergleichbare künftige Emissionsrechte für alle Menschen der Erde als Maßstab anlegt. Daher müsse künftig die Überschreitung dieses Budgets verfolgt und eine Diskussion über die Mitverantwortung Deutschlands an entstandenen Schäden eröffnet werden, erwartet Wolfgang Lucht.

Wenn Robert Habeck künftig wieder einmal davon sprechen sollte, dass Deutschland klimapolitisch auf Kurs sei, dann sollte er zumindest sagen, auf welches Ziel dieser Kurs überhaupt gerichtet ist. Die 1,5 Grad sind es derzeit jedenfalls nicht.