Die Kurve für den Ausstoß von Kohlendioxid kennt fast nur eine Richtung: nach oben. Seit 1970 haben sich die energiebedingten CO2-Emissionen weltweit mehr als verdoppelt, von 16 Milliarden auf über 37 Milliarden Tonnen jährlich. Hinzu kommen die anderen Treibhausgase wie Methan und Lachgas, sodass die Weltgemeinschaft insgesamt für über 50 Milliarden Tonnen CO2‑Äquivalent im Jahr verantwortlich ist.
Auch die 1992 auf dem UN‑Erdgipfel in Rio beschlossene Weltklimakonvention änderte an dem Trend nichts. Dabei hatten die Staaten dort vereinbart, die Erde vor einer "gefährlichen Störung des Klimasystems" zu schützen.
Inzwischen ist offensichtlich: Diese Gefahr rückt immer näher. Eine neue Forschungsarbeit unter Leitung der Universität Leeds in Großbritannien zeigt, dass sich die Erde immer schneller erwärmt. Aktuell steigt die Temperatur demnach pro Jahrzehnt um weitere 0,26 Grad an.
Da das 1,5-Grad Limit zumindest vorübergehend bereits in diesem Jahr überschritten werden dürfte, droht so auch die zweite Haltelinie, das Zwei-Grad-Ziel, in absehbarer Zeit zu fallen, nämlich etwa zur Mitte des Jahrhunderts. Nicht verwunderlich also, dass das Konzept, überschüssiges CO2 wieder aus der Atmosphäre zu entfernen, Konjunktur hat.
Ein internationales Forschungsteam hatte kürzlich kalkuliert, um welche Mengen CO2 es dabei geht. Ergebnis ihres Reports: Soll die Erderwärmung langfristig beim 1,5-Grad-Limit stabilisiert werden, wie laut dem Pariser Klimaabkommen von 2015 angestrebt, müssen ab Mitte des Jahrhunderts jedes Jahr sieben bis neun Milliarden Tonnen CO2 dauerhaft entnommen werden.
Es handelt sich also um riesige Mengen, sie entsprechen einem Fünftel bis einem Viertel der derzeitigen CO2-Jahresfrachten aus dem Energiesektor. Die CO2-Reduktion müsse Vorrang haben, um die Netto-Null bei den Emissionen zu erreichen, sagte dazu Jan Minx vom Klima-Thinktank MCC in Berlin, der an beiden Untersuchungen beteiligt war. "Aber CO2-Entnahmen spielen eine wichtige Rolle."
Aufforstung darf nicht zu Ernährungsrisiken oder Vertreibung führen
Ein klassischer Weg, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu binden, ist die Aufforstung. Auch die Wiedervernässung trockengelegter Moore gilt als effektiv, wird bisher aber erst in Pilotvorhaben praktiziert. Derzeit werden laut dem CO2-Entnahme-Report jährlich nur rund zwei Milliarden Tonnen CO2 "zurückgeholt".
Neuartige Methoden wie die Nutzung von "Pflanzenkohle" als Bodenverbesserung für die Landwirtschaft, eine beschleunigte Gesteinsverwitterung, die CO2-Direktabscheidung aus der Luft mit unterirdischer Speicherung (DAC oder DACCS) sowie die Nutzung von Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -speicherung (BECCS) kommen hinzu.
Sie alle zusammen bringen bisher aber nur 1,3 Millionen Tonnen jährlich, was weniger als 0,1 Prozent der Gesamtmenge ausmacht. Als tatsächlich dauerhaft werden davon sogar nur 0,6 Millionen Tonnen eingestuft, also knapp die Hälfte.
Den Bericht haben Teams mit über 50 Fachleuten aus mehreren Ländern erarbeitet, die Leitung hatte die Smith School of Enterprise and the Environment der Universität Oxford. Studien-Mitautor Steve Smith aus Oxford kommentierte, die Investitionen in CO2-Entnahmen sowie in emissionsfreie Lösungen müssten erhöht werden, da die Welt bei der Dekarbonisierung nicht auf dem in Paris vereinbaren Pfad ist.
Tatsächlich entfallen laut dem Bericht von allen Investitionen in Start-ups im Bereich Klimatechnologie nur 1,1 Prozent auf CO2-Entnahmen. Am bekanntesten ist hier die Schweizer Firma Climeworks, die eine Art "CO2-Staubsauger" auf Island betreibt und das aus der Luft abgeschiedene Gas dort unter die Erde verpressen lässt.
Die Firmen hätten zwar ehrgeizige Ziele, um die Entnahmemengen drastisch hochzufahren, sagte Smith. Nötig sei dafür aber eine deutlich stärkere Unterstützung aus der Politik. "Es hängt entscheidend an den Regierungen, die Voraussetzungen für ein nachhaltiges Hochfahren der CO2-Entnahme zu schaffen."
MCC-Experte Minx betonte allerdings, dass die Staaten der Erde beim Hochskalieren der Entnahmetechnologien darauf achten müssten, andere wichtige Ziele nicht zu gefährden: Ernährungssicherheit, biologische Vielfalt, sichere Wasserversorgung oder sichere Lebensräume für indigene Völker. Großflächige Aufforstungen zum Beispiel müssen so geplant werden, dass weder gutes Agrarland verschwindet noch Menschen vertrieben werden.
Aus diesem Grund habe man für den Report "Nachhaltigkeitskriterien" einbezogen, sagte Minx. Dadurch sei die Abschätzung der CO2-Entnahmemenge niedriger ausgefallen, als es von den technischen Potenzialen her denkbar wäre.