Karsten Reise steht am Strand von Sylt und zeigt auf die gefährdete Küstenlinie.
Küstenschutz geht besser, wenn man weniger Technik und mehr Grips einsetzt, meint der Biologe Karsten Reise. (Foto: privat)

Schmelzvorgänge in den Polarzonen, zunehmende Sturmfluten durch den vom Menschen verursachten Klimawandel: Die Weltmeere steigen schneller an, als noch vor wenigen Jahren vorhergesagt wurde. Auch die Nordsee steigt und steigt, zuerst gefährdet sind die Halligen und die vorgelagerten Friesischen Inseln.

Im Sommer 2013 begann Schleswig-Holstein auf der Insel Nordstrand mit dem Bau seines ersten sogenannten Klimadeiches. Die Deichkrone wurde auf 8,70 Meter erhöht und das Bauwerk wurde flacher und breiter angelegt als zuvor, auch damit man bei Bedarf nachbauen kann.

Die Deiche werden bereits mit einem "Klimazuschlag" von 50 Zentimetern versehen. Damit wollen die Deichbauer für die nächsten hundert Jahre auf der sicheren Seite sein. Bei ihnen ist das Vertrauen in die technische Machbarkeit ungebrochen.

Immer höhere Deiche, immer mehr Technik?

Reicht das wirklich? Können wir weiterhin den Küstenschutz allein mit technischen Mitteln gewährleisten? Und was ist mit dem Wattenmeer und den vorgelagerten Inseln? Welche Folgen hat dort der steigende Meeresspiegel?

Zweifel am jetzigen Weg sind angebracht. Wie lange machen vor allem die Halligen und die vorgelagerten Inseln noch mit angesichts des Meeresanstiegs? Wir müssen uns vorbereiten auf die schrittweisen Veränderungen durch gefährdete Ufer, wandernde Dünen und mehr Wasser in den Marschlandschaften.

Küstenschutz ist – vor allem auf Dauer – mit technischem Fortschritt allein, vor allem durch die ständige Erhöhung der Deiche, nicht zu verwirklichen. Auch immer breitere und massivere Deiche werden als Bollwerke nicht reichen, zumal das Land hinter den Deichen kontinuierlich absackt und an einigen Stellen bereits bis zu 3,60 Metern unter dem Meeresspiegel liegt. Berechnungen ergeben, dass bis zum Jahr 2200 in der Spitze mit einem Anstieg des Meeresspiegels von zwei bis drei Metern zu rechnen sei.

Das größte Risiko für die Küsten ist das Abschmelzen der polaren Eiskappen, zumal wir über die dortigen Prozesse noch nicht ausreichend Bescheid wissen. Nur fünf Prozent Schmelzeis aus der Antarktis hätten jedenfalls auch für Norddeutschland katastrophale Folgen.

Wenn der Meeresspiegel um einen Meter steigt, sind zum Beispiel rund 90 Prozent der Landfläche Bremens bedroht. Deshalb stellt sich die Frage, wie die Menschen mit mehr Wasser in den Küstenregionen leben können.

Küstenschutz mit dem Meer, nicht gegen das Meer

Was tun? Wir brauchen einen Kurswechsel beim Schutz der Küsten, vor allem naturverträglichere Ansätze. Dazu gehören auch natürliche Überflutungsgebiete, die sogar wirtschaftlich genutzt werden können.

Ebenso der Küstenschutz mit Sand, der die vorgelagerten Inseln behutsam und naturverträglich stabilisiert, und ein "Leben mit dem Meer", das Deichsiele öffnet und Nordseewasser auch kontrolliert ins Land hineinlässt. Das sind wichtige Ansätze, um ein neues Gleichgewicht zu schaffen.

Zur Person

Karsten Reise war Professor für Küstenökologie an der Universität Kiel und langjähriger Leiter der Wattenmeerstation des Alfred-Wegener-Instituts auf der Insel Sylt.

Die Küste muss so gestaltet werden, dass über eine längere Zeit keine Umsiedlungen notwendig werden. Das geduckte Friesenhaus ist mit dem Meeresspiegelanstieg nicht vereinbar. Häuser auf Stelzen oder eine Bauweise ähnlich wie bei Wassertürmen wären eine Möglichkeit.

Weitergehend müssen wir über Wege nachdenken, wie wir uns mit dem Meereswasser arrangieren können. Dabei müssen wir uns auch mit neuen Gedanken befassen – schwimmende Gärten, neue Freizeitmöglichkeiten, hydraulische Pfähle, Häuser, die mit dem steigenden Wasser aufschwimmen. Darin liegen auch Chancen, die die Küste bereichern. Nutzen wir sie.

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