Zukunftsszenarien gehören zur Klimaforschung wie sinkende Grundwasserstände zu Brandenburg. Sie ermöglichen es Wissenschaftler:innen, politische Maßnahmen, verschiedene Technologien und vieles mehr miteinander zu vergleichen.

Dafür werden die Szenarien mit Computermodellen simuliert und schließlich von findigen Forscher:innen anhand von Zielvariablen – Temperaturanstieg, CO2-Konzentration, Wirtschaftsleistung – gegenübergestellt.

 

So weit, so gut. Nun reicht die Betrachtung von Klimaveränderungen aber längst nicht aus. In der Wissenschaft hat sich neben dem Klimawandel deshalb der Begriff "globaler Wandel" etabliert.

Nicht nur die Erderwärmung bedroht die Stabilität unseres Planeten. Auch das Artensterben, die Veränderung von Stoffkreisläufen und einiges mehr könnte das Erdsystem aus den stabilen Holozän-Verhältnissen schubsen. Das Holozän ist die vor knapp 12.000 Jahren und damit vor Beginn der neolithischen Revolution einsetzende erdzeitliche Epoche.

Um diesen globalen Wandel zu konkretisieren und quantifizieren, definierte im Jahr 2009 eine 29-köpfige Arbeitsgruppe um den schwedischen Forscher und heutigen Co-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström, neun sogenannte planetare Belastungsgrenzen.

In ihrer im Wissenschaftsjournal Nature erschienenen Studie beschreiben die Autor:innen für jedes dieser neun biophysikalischen Systeme Schwellenwerte, unterhalb derer der "sichere Handlungsraum der Menschheit" liege.

Als Anzeiger für den Zustand des jeweiligen Systems legten die Wissenschaftler:innen Kontrollvariablen fest. Für den Klimawandel ist das unter anderem die CO2-Konzentration. Für die Ozeanversauerung wird die Aragonit-Konzentration im Oberflächenwasser herangezogen.

Mithilfe dieses Konzepts vermaßen Forschende den Gesundheitszustand unseres Planeten inzwischen schon einige Male. In der letzten Bestandsaufnahme 2023 warnten sie: Sechs der neun Grenzen seien überschritten.

Weiter-so bringt Klima und Stickstoff in den Hochrisikobereich

"Bislang dienten die planetaren Grenzen vor allem dazu, die Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Zustands zu verdeutlichen", heißt es nun in einer am Mittwoch ebenfalls im renommierten Nature-Journal veröffentlichten Modelluntersuchung.

Die Studienautor:innen gehen darin einen Schritt weiter und kombinieren das Konzept der planetaren Grenzen mit Zukunftsszenarien, wie wir sie aus der Klimaforschung kennen. Das an der Analyse beteiligte PIK spricht von einer "bahnbrechenden Szenarien-Studie".

Eine Welt und Zivilisation, wie wir sie kennen, kann nur unter Holozän-Bedingungen garantiert werden. (Bild: NASA/​Flickr)

Für Koautor Rockström ist es die bislang umfassendste Verknüpfung der Belastungsgrenzen mit Zukunftsszenarien. "Das Ergebnis ist ein wertvolles Navigationssystem für die Politik", so der Forscher. "Wir können klar beziffern, wie gefährlich ein Weiter-so ist, und zeigen, dass sich ambitioniertes Umsteuern auszahlt."

Ohne zusätzliche politische Maßnahmen wird sich die Lage laut Studie in sieben der neun Bereiche bis Ende des Jahrhunderts verschlechtern. Einzige Ausnahmen sind die Ozonschicht und die Luftverschmutzung.

Nachdem alle UN-Mitgliedsstaaten ein Verbot von ozonabbauenden Stoffen wie FCKW im Rahmen des Montreal-Protokolls beschlossen hatten, erholt sich das Ozonloch langsam wieder. In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts soll es sich Prognosen zufolge vollständig schließen.

Bei der Luftverschmutzung gibt sich global ein gemischtes Bild. Während in Europa und Nordamerika die Feinstaubbelastung abgenommen hat, ist sie in einigen anderen Regionen etwa in Asien nach wie vor sehr hoch.

Allerdings haben das Ozonloch und die Luftverschmutzung eines gemeinsam: Die dafür nötigen Lösungsstrategien – Verbot von FCKW beziehungsweise Abgasnormen und Partikelfilter – bedrohen keinen Wirtschaftszweig grundlegend. Die fossile Industrie genauso wie der Chemie- oder Agrarsektor kann sich darauf einstellen, ohne ihr Geschäftsmodell aufgeben zu müssen.

Klimaschutz ist nicht gleich Klimaschutz

Ganz anders verhält es sich mit dem Klimawandel, dem Stickstoffkreislauf oder der Umwandlung von Natur- in Nutzfläche. Um diese Systeme nicht an den Rand ihrer Belastung zu führen, ist eine fundamentale Transformation notwendig.

Schon 2050 überschreiten in einem Weiter-so-Szenario die Klima- und die Stickstoffbelastung die Schwelle zum Hochrisikobereich.

Der Hochrisikobereich beginnt, wenn nicht nur das Risiko für eine Veränderung zunimmt, sondern "die Folgen bekanntermaßen schwerwiegend sind", wie es in der Studie heißt.

Damit zum Ende des Jahrhunderts keines der neun Systeme im Hochrisikobereich liegt, reicht laut den Forschenden selbst eine Klimapolitik, die im Einklang mit dem 1,5-Grad-Limit wäre, nicht. Zwar stehen all die Belastungsgrenzen in komplexer Wechselwirkung und Klimaschutz hat vielfältige und positive Nebenwirkungen, aber nicht nur.

Die Abkehr von Kohle und Verbrennungsmotoren zum Beispiel schützt nicht nur das Klima, sondern verbessert auch die Luftqualität. Genauso ist der Schutz von natürlichen Ökosystemen sowohl dem Klima als auch der Artenvielfalt förderlich.

Doch Klimaschutz ist nicht gleich Klimaschutz. So lassen sich mit großflächigen Klima-Plantagen in der Theorie große Mengen an sogenannten Negativemissionen kreieren – wobei allerdings zahlreiche natürliche Ökosysteme zerstört werden.

Eine PIK-Studie vom Februar gab die maximale Fläche für Klima-Plantagen, ohne andere Belastungsgrenzen zu überschreiten, mit nur 70.000 Quadratkilometern an. Damit ließen sich nicht einmal die jährlichen Emissionen Nordrhein-Westfalens kompensieren.

Wie sieht also eine anspruchsvolle Klimapolitik aus, die im Einklang mit allen planetaren Grenzen ist? Auch dieser Frage sind die Forschenden nachgegangen.

Studie hilft Zielkonflikte zu finden

Die typischen Stellschrauben eines ehrgeizigen Klimaschutz-Szenarios – schnelle Abkehr von fossilen Energien, geringe Stickoxid-Emissionen und großräumige Aufforstung – ergänzen die Autor:innen mit vier "ambitionierten, aber technisch machbaren" Maßnahmen.

Der Schlüssel ist laut Studie eine Ernährung mit wenig Fleisch und sonstigen Tierprodukten, die Halbierung aller Lebensmittelabfälle und ein effizienter Umgang mit Wasser und Stickstoff.

"Selbst in diesem Szenario sind im Jahr 2100 immer noch planetare Belastungsgrenzen überschritten", betonte Leitautor Detlef van Vuuren, Professor für globalen Wandel an der Universität Utrecht. Das gilt für Klima, Phosphor- und Stickstoffkreislauf sowie den Zustand der Biosphäre.

Van Vuuren: "Die Suche nach noch besseren Politik-Maßnahmen bleibt also auf der Tagesordnung. Und um abzuschätzen, was sie bringen, dafür liefert unsere Studie einen tragfähigen wissenschaftlichen Ansatz."

Immerhin aber stünde der Planet nach diesem Szenario 2050 mindestens so gut da wie noch 2015. Und bis Ende des Jahrhunderts würden sich alle neun Systeme weiter erholen.

 

Für diesen "tragfähigen wissenschaftlichen Ansatz", sprich die Kopplung des Konzepts der planetaren Belastung mit Zukunftsszenarien, greift das Forschungsteam auf das Bewertungsmodell "Image" zurück. Der Vorteil von Bewertungsmodellen oder Integrated Assessment Models (IAM) ist, dass verschiedene Modelle, zum Beispiel Klima-, Wirtschafts- und Landnutzungsmodelle, miteinander verknüpft werden.

Das erlaubt eine möglichst ganzheitliche Betrachtung komplexer Systeme, was gerade hinsichtlich der Belastungsgrenzen eine Grundvoraussetzung ist. Wie jedes Modell basiert auch ein IAM auf Vereinfachungen und Annahmen und weist deshalb Unsicherheiten auf.

Mit der neuen Studie macht die Erdsystemforschung einen weiteren Schritt hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Umweltveränderungen durch den Menschen. Nur wenn alle planetaren Grenzen und ihre komplexen Rückkopplungen betrachtet werden, lassen sich Zielkonflikte aufspüren, bevor sie entstehen.