Die große, grüne Hoffnung der weltweiten Klimaanstrengungen sind die Wälder. Je mehr CO2 in den Blättern und Nadeln dieser Welt über die sogenannte Dunkelreaktion in Glukose umgewandelt und dort gespeichert wird, desto mehr Zeit kann sich die Gesellschaft mit der Dekarbonisierung lassen – so die Erwartung.

In den deutschen Treibhausgasbilanzen ist man bis letztes Jahr etwa noch davon ausgegangen, dass die Wälder jedes Jahr fleißig irgendwas um die 30 Millionen Tonnen CO2 aus der Luft holen. Vorgesehen ist im Klimaschutzgesetz, dass die Wälder bis 2045 auch noch einen ordentlichen Zahn zulegen und auf 40 Millionen Tonnen aufstocken.

 

Diese Schaumblase ist spätestens mit der Bundeswaldinventur vom letzten Herbst geplatzt. Die deutschen Wälder nehmen unterm Strich gar kein CO2 mehr auf, sondern geben welches ab.

Schuld daran sind die üblichen Verdächtigen, also vor allem Hitze- und Trockenstress, aber auch Schädlinge, Windwurf und eine sich mit Nachhaltigkeitsbestrebungen nicht gerade überschlagende Forstwirtschaft.

Weltweit haben die Wälder in der Vergangenheit stolze 7,8 Milliarden Tonnen CO2 jährlich aufgenommen – über ein Fünftel von dem, was die Menschheit in die Luft pustet. Ihre Fähigkeit, CO2 zu speichern, wird durch den Klimawandel und menschliche Eingriffe wie Abholzung aber zunehmend gefährdet, nicht nur in Deutschland.

Damit die Pariser Klimaziele erreichbar bleiben, müssen Klimastrategien die sinkende CO2-Speicherfunktion berücksichtigen, betont eine jetzt erschienene Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

"Derzeit setzen unsere Klimastrategien darauf, dass Wälder nicht nur erhalten bleiben, sondern ihre Fläche sogar zunimmt", erklärte Michael Windisch, Hauptautor der in Nature Communications veröffentlichten Studie und Gastwissenschaftler am PIK. Angesichts von immer mehr Waldbränden wie in Kalifornien und der anhaltenden Abholzung im Amazonasgebiet sei das ein riskantes Spiel, so Windisch. Zudem seien die enormen CO2-Speicherleistungen der Wälder durch den Klimawandel selbst bedroht.

Eine Untersuchung aus dem vergangenen Jahr warnte etwa, dass bis Mitte des Jahrhunderts zwischen zehn und 50 Prozent des Amazonas-Regenwaldes großen Störungen ausgesetzt sein könnten. Teile des viele Millionen Jahre alten Waldes könnten sich deshalb in eine weitestgehend baumfreie Savanne wandeln.

Modelle überschätzen die CO2-Düngewirkung

In zahlreichen Modell-Simulationen würden die Kohlenstoffspeicher der Wälder überschätzt, schreiben die Autor:innen der PIK-Studie. Besonders problematisch ist das für die sogenannten Integrated-Assessment-Modelle, die zur Simulation von Klimaschutz-Pfaden verwendet werden.

Weder natürliche Störungen noch menschliche Eingriffe würden adäquat abgebildet. Die wachstumsfördernde Wirkung höherer Temperaturen und einer steigenden CO2-Konzentration werde hingegen überbewertet, heißt es in der Studie weiter.

Weltweit geraten Waldökosysteme immer stärker unter Druck. (Bild: Yves Bernardi/Pixabay)

Neuere Daten belegen, dass wärmere Frühlingstemperaturen keineswegs dazu führen, dass die Wälder der gemäßigten Breiten, zum Beispiel in Deutschland, produktiver sind, sprich mehr CO2 aufnehmen.

Wenn ein derart riesiger Kohlenstoffspeicher zum Wackelkandidaten wird, hat das natürlich weitreichende Folgen für die notwendigen Klimastrategien. "Wir müssen frühzeitig handeln, damit der in den Wäldern gespeicherte Kohlenstoff dort verbleibt", sagte Windisch.

Es müsse nun schnell und vorausschauend gehandelt werden, sonst werde es "immer teurer – und möglicherweise unmöglich", den Verlust durch entsprechend größere Klimaanstrengungen etwa im Energiesektor auszugleichen.

Die Forschenden verwendeten das Modellierungssystem Remind-Magpie, bei dem Simulationen der Land- und Wassernutzung mit Wirtschafts- und Energiesimulationen kombiniert werden können. Sie untersuchten damit, wie sich das 1,5-Grad-Ziel einhalten lasst, wenn Wälder weniger CO2 speichern.

Um die geringere Speicherwirkung darzustellen, gingen die Autor:innen von einem klassischen 1,5-Grad-Szenario aus und fügten eine einfache Störungsrate von 0,4 Prozent aller Bäume pro Jahr hinzu.

Außerdem verglichen sie unter diesen Bedingungen eine vorausschauende mit einer zögerlichen Klimapolitik.

2023 nahmen alle natürlichen Senken netto null CO2 auf

Schon eine Verzögerung um nur wenige Jahre würde eine so große Lücke aufreißen, dass sich die Kosten für Klimaschutzmaßnahmen verdoppeln würden, schließt die Forschungsgruppe aus den Ergebnissen.

Wenn erst nach fünf Jahren gegengesteuert wird, muss sich in der Folge der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas massiv beschleunigen und die Erneuerbaren müssen dreimal so schnell ausgebaut werden. Auch in allen anderen Sektoren müssen die Emissionen schneller gesenkt werden, im Gebäudebereich etwa doppelt so schnell.

Gegenwärtig gehen 1,5-Grad-Szenarien davon aus, dass der globale CO2-Preis bis 2030 im Schnitt auf 115 US-Dollar ansteigen muss, bis 2050 auf 330 Dollar. Bei einer geringeren Speicherfunktion der Wälder und einer vorausschauenden Politik erhöht sich der nötige Preis auf 140 beziehungsweise 400 Dollar, bei einer zögerlichen Politik auf 170 beziehungsweise 490 Dollar.

Auch der Landbedarf für sogenannte negative Emissionen würde massiv ansteigen, zeigt die Studie. 224 Millionen Hektar sind bereits laut Basis-1,5-Grad-Szenario zum Beispiel für BECCS-Plantagen nötig. Schon hier fragt sich, ob eine Fläche der Größe Grönlands für neue Klima-Plantagen mit schnell wachsenden Pflanzen überhaupt ökologisch und sozial vertretbar sein kann.

Mit den zusätzlichen vier pro 1.000 gestörten Bäumen – etwa durch Abholzung, Stürme oder Vertrocknen – müssten bei vorausschauender Politik knapp 70 Millionen Hektar dazukommen, bei Fünf-Jahre-Nichtstun-Politik gar 150 Millionen.

Alle diese Beispiele verdeutlichen vor allem: Nichtstun kostet. Und zwar nicht nur Geld, sondern auch Energie, Land, Material und letzten Endes womöglich die Pariser Klimaziele.

 

Es sei wichtig, frühzeitig zu erkennen, wenn die Speicherfähigkeit der Wälder nachlässt, erklärte Florian Humpenöder, PIK-Forscher und Mitautor der Studie. Ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt diese Mahnung. Schließlich verdichten sich weltweit die Hinweise darauf, dass es längst so weit ist. Und das gilt nicht nur für die Wälder.

Gemeinsam mit den Ozeanen, Böden, Mooren und Graslandschaften nehmen die Baumriesen die Hälfte aller menschlichen CO2-Emissionen auf. Oder vielmehr, sie nahmen die Hälfte auf.

2023 haben all die natürlichen Senken zusammen unterm Strich so gut wie kein CO2 aus der Atmosphäre geholt, ergab eine Studie im vergangenen Jahr. Das kann natürlich ein Ausreißer sein, aber nicht nur für Deutschland belegen Regionalstudien diesen besorgniserregenden Trend.

Die Frage ist also vielleicht gar nicht: Können wir uns fünf Jahre Verzögerung leisten? Sondern: Wie viele dieser fünf Jahre sind bereits vergangen?