Klimareporter°: Frau Otto, vor mehr als zehn Jahren haben Sie die Forschungsinitiative World Weather Attribution (WWA) mitgegründet. Mittlerweile spielt WWA eine prägende Rolle im Diskurs um Klimawandel und Extremwetter. Was gab damals die Motivation zur Gründung?
Friederike Otto: Wir wollen verstehen, wie der Klimawandel das Wetter beeinflusst. Dazu müssen wir wissenschaftliche Evidenz, also verlässliche Nachweise, in die Diskussion einbringen und anhand konkreter Messungen zeigen, wie stark der Einfluss des Klimawandels ist.
Aber so schnell, wie sich Extremwetterereignisse abspielen, lässt sich keine Studie peer-reviewen.
... also die Studien vor der Veröffentlichung durch andere Wissenschaftler:innen prüfen lassen.
Genau. Das kann dauern.
Und wie haben Sie das Problem gelöst?
Wir haben stattdessen unsere Forschungsmethoden peer-reviewen lassen. Diese geprüften und anerkannten Methoden wenden wir jetzt auf die aktuellen Extremwetterereignisse an. So können wir unsere Studien extrem schnell durchführen.
Extrem schnelle Studien zu Extremwetter – klingt wie eine gute Idee. Wie hat die Wissenschaftscommunity das aufgenommen?
Am Anfang gab es viel Gegenwind. Viele dachten, ohne die komplette wissenschaftliche Prüfung kann man keine Ergebnisse veröffentlichen.
Ist das immer noch so?
Nein. Nicht nur die Methoden, sondern auch etwa ein Drittel unserer schnellen Studien wurde nachträglich peer-reviewt. Nie haben sich die Ergebnisse geändert. So konnten wir zeigen, dass unser Prozess robust ist, und die Einstellung der Wissenschaftscommunity ins Positive wenden.
Ein weiterer wichtiger Schritt war der sechste IPCC-Sachstandsbericht 2021. Die damals noch neue Attribution von Extremwetter wurde dort zum ersten Mal gründlich überprüft. Viele der WWA-Studien sind danach auch als verlässliche Daten in den Report eingeflossen.
Friederike Otto
ist Klimaforscherin am Grantham Institute des Imperial College London und Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°. Die Physikerin und promovierte Philosophin ist Mitbegründerin der Zuordnungsforschung (attribution science), die den Anteil des Klimawandels an Extremwetterereignissen berechnet. Sie leitet die Forschungsgruppe World Weather Attribution (WWA).
Seitdem hat WWA zahlreiche Attributionsstudien veröffentlicht. Wie viele sind es bislang insgesamt?
111.
Wow! Hat sich diese Forschung inzwischen verändert oder weiterentwickelt?
Am Anfang haben wir uns auf die Wetterereignisse an sich fokussiert. Doch oft klang es dann in den Medienberichten so, als wäre allein der Klimawandel für die hohen Todeszahlen bei Extremwettern verantwortlich. Dabei beeinflussen politische Entscheidungen dies viel stärker, etwa die Frage, ob Frühwarnsysteme existieren.
An dem Punkt habe ich gesagt: Diesen Aspekt müssen wir zukünftig unbedingt miteinbeziehen.
Wie werden die Extremwetterereignisse eigentlich ausgesucht?
Auch das hat sich weiterentwickelt. Es gibt ja wahnsinnig viel Extremwetter. Am Anfang haben wir besonders die Ereignisse untersucht, die die Presse, die Wissenschaftscommunity oder Nichtregierungsorganisationen interessierten.
Vor etwa fünf Jahren begannen wir dann, für jeden Typ von Extremwetterereignis konkrete Kriterien zu entwickeln. Bei Überschwemmungen sind das: Entweder gibt es 100 oder mehr Todesfälle, oder mehr als eine Million Menschen oder über die Hälfte der Bevölkerung eines Landes sind betroffen.
Ist eine der Bedingungen erfüllt, ziehen wir das Extremwetterereignis in Betracht.
Lassen Ihre Forschungsergebnisse auch Metastudien zu?
Bestimmt, wir haben die Daten ja alle da. Da ließe sich einiges analysieren.
Hat der Anteil des Klimawandels am Extremwetter über die Jahre zugenommen?
Auf jeden Fall. Die Ergebnisse zeigen das sehr deutlich.
Bei Überschwemmungen etwa: Vor zehn Jahren war das Signal des Klimawandels im Verhältnis zum noise, also zur natürlichen Klimavariabilität, noch kaum erkennbar. Heute ist das Signal deutlich zu sehen.
Auch bei Waldbränden ist das Klimasignal heute ausgeprägter als noch vor fünf Jahren.
Trotzdem sagen Sie, dass wir den Klimawandel rein physikalisch noch aufhalten können.
So ist es auch. Denn Extremwetterereignisse hängen linear mit der globalen Erwärmung zusammen. Steigen die Temperaturen, ereignen sich fast proportional mehr Hitzewellen, Überschwemmungen und Co. Und die Temperatur steigt wiederum linear mit der atmosphärischen Treibhausgaskonzentration.
Das heißt: Emittieren wir keine zusätzlichen Treibhausgase, stoppen wir die weitere Eskalation von Extremwetterereignissen. Physikalisch ist das nicht schwierig.
Wie spielen dabei Klimakipppunkte mit hinein?
Es wurde lange diskutiert, ob dann etwa der Permafrost auch ohne menschliches Zutun weiter auftaut und dadurch die Temperaturen erhöht. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt keinen positiven Feedbackmechanismus im Klimasystem, der andauert, wenn wir keine fossilen Brennstoffe mehr verbrennen.
Es folgt Teil zwei: "Wir müssen die Ärmsten ins Zentrum der Politik stellen"

Habe ich da etwas falsch verstanden, ist das nicht gerade das Wesen eines Kipppunktes?
Z. B. wenn das arktische Meereis schmilzt, dass dann mehr Sonnenstrahlung absorbiert wird - was dann zu einer erhöhten Schmelzrate führt.
Oder wenn der Permafrostboden auftaut, dass dann CO2 und Methan freigesetzt werden und den Treibhauseffekt befeuern, ohne dass wir fossile Brennstoffe verbrennen.
Aber ich bin auch drüber gestolpert, dass es keine solchen Loops gäbe...