Das großflächige Absterben von Korallenriffen zeigt laut einem neuen Report, dass ein erster Kipppunkt des weltweiten Klimasystems vermutlich bereits erreicht wurde. Der "Global Tipping Points Report 2025" benennt die wachsenden Risiken für zentrale Systeme der Erde, neben den Warmwasser-Korallen geht es dabei unter anderem um Gletscher und Eisfelder, Eisschilde, Meeresströmungen und Regenwälder.
Die Universität Exeter veröffentlichte den Bericht unter Mitwirkung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und 85 weiterer Institutionen. Insgesamt waren 160 Forschende daran beteiligt.
Der Report beleuchtet die Risiken, Folgen und politischen Herausforderungen durch das Auslösen von Kippelementen in Systemen unterschiedlicher Größe – von lokal wirkenden wie Gletschern und kleinen Eisfeldern bis hin zu kontinental und global bedeutenden.
Zu letzteren gehören neben den Warmwasser-Korallen die großräumigen Meeresströmungen, die polaren Eisschilde und der Regenwald am Amazonas. Eine Reihe kritischer Komponenten des Erdsystems, darunter der Permafrostboden, der Grönländische und der Westantarktische Eisschild sowie der subpolare Wirbel, könnten ihre Kipppunkte bereits erreichen, wenn die globale Erwärmung die 1,5-Grad-Marke-Marke knapp überschreitet.
Derzeit wird die Erderwärmung von der Klimaforschung mit 1,3 bis 1,4 Grad angegeben. Im Jahr 2024 wurde zwar bereits die 1,5-Gerad-Marke gerissen, doch es können wegen natürlicher Schwankungen auch wieder etwas kältere Jahre folgen.
Für die Korallenriffe ist die derzeitige globale Erwärmung jedoch schon zu hoch, sie haben den geschätzten Kipppunkt damit bereits überschritten, heißt es in dem neuen Bericht. Damit ist ein großflächiger Ausfall dieser wichtigen Ökosysteme wahrscheinlich, die nicht nur wegen ihrer Farbenpracht beeindrucken, sondern auch als "Kinderstube" für viele Meerestiere und Ernährungsgrundlage für viele Menschen gelten.
"Immer mehr Hinweise auf mögliche Kipppunkte"
In der Fachwelt gibt es allerdings auch Stimmen, die die Lage nicht ganz so katastrophal einschätzen. So wies der australische Korallenforscher Peter Mumby laut dem britischen Guardian darauf hin, dass Korallen trotz ihrer starken Gefährdung in gewissen Bereichen noch über eine gewisse Anpassungsfähigkeit an höhere Temperaturen verfügten.
Zudem versuchen andere Forschungsgruppen, relativ wärmetolerante Korallen gezielt zu züchten, um dann damit Korallenbänke zu "reparieren" oder neue aufzubauen.
Zum generellen Stand der Kipppunkt-Forschung sagte der PIK-Physiker Sina Loriani, einer der Leitautoren des Reports: "Wir sehen immer mehr Hinweise auf mögliche Kipppunkte in all diesen unterschiedlichen Systemen." Damit steige das Risiko, Rückkopplungs-Effekte in Gang zu setzen, die Veränderungen im Erdsystem verstärken und beschleunigen.
Laut dem Bericht könnte der Amazonas-Regenwald bereits bei geringeren Temperaturen als bislang angenommen stark geschädigt werden – aufgrund des Zusammenspiels von Klimawandel und Abholzung. Die Untergrenze des geschätzten Anstiegs liegt laut PIK nun bei 1,5 Grad. Das verdeutliche, "wie eng das verbleibende Zeitfenster geworden ist".
Nico Wunderling, Forscher an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und am PIK, ergänzte: "Wir müssen sowohl das Ausmaß als auch die Dauer einer möglichen Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze so gering wie möglich halten. Jedes Zehntelgrad und jedes zusätzliche Jahr über dieser Schwelle erhöhen das Risiko, unumkehrbare Veränderungen auszulösen."
Eine Fallstudie zum Mendenhall-Gletscher bei Juneau im US-Bundesstaat Alaska zeigt laut PIK die erheblichen Risiken, die mit dem Überschreiten von Kipppunkten selbst in vergleichsweise kleinen Systemen wie Gletschern und kleinen Eisfeldern verbunden sind.
Dort entstanden seit 2023 immer größere Gletscherseen, die ausbrachen und Schäden im zweistelligen Millionenbereich verursachten. Dies habe die Region vor große Herausforderungen in Bezug auf Anpassung und politisches Handeln gestellt, so die neue Studie.
"Enorme Auswirkungen auf Städte und Gemeinschaften"
"Die Entwicklungen in Juneau unterstreichen die enormen Auswirkungen, die das Überschreiten von Kipppunkten auf Städte, lokale Gemeinschaften und indigene Völker überall haben wird, da sie die Last der Anpassung tragen müssen", sagte PIK-Forscher Donovan Dennis, der die Fallstudie leitete. Wichtig seien schnelle, anpassungsfähige und inklusive Reaktionen – von temporärem Hochwasserschutz über nachbarschaftliche Hilfe bis hin zu langfristiger Planung.
Die 160 Autorinnen und Autoren des Reports argumentieren, dass Kipppunkte im Erdsystem durch ihre abrupte und potenziell irreversible Natur ein besonderes Risiko darstellen, das sie von anderen Umweltgefahren unterscheidet – und dass die bisherigen politischen Reaktionen und Entscheidungsprozesse dem nicht gerecht werden.
Zugleich seien aber auch positive Veränderungen zu beobachten, etwa durch Fortschritte bei der Solar- und Windenergie weltweit, bei der Einführung von Elektrofahrzeugen, Batteriespeichern und Wärmepumpen in führenden Märkten. Diese Technologien veränderten bereits jetzt die Energiesysteme spürbar.
Diese Entwicklung müsse aber deutlich beschleunigt werden, um die globale Erwärmung rechtzeitig zu stoppen und zu vermeiden, dass weitere Klima-Kipppunkte erreicht werden.
Auch Umweltorganisationen unterstreichen die Dringlichkeit der neuen Befunde. Die Zoological Society of London weist darauf hin, dass sich der Kipppunkt für Warmwasser-Korallenriffe nach aktuellem Stand im Bereich von 1,0 bis 1,5 Grad Erwärmung befindet, mit einem mittleren Schätzwert von 1,2 Grad.
Ob sich ein unumkehrbarer Zusammenbruch dieser Ökosysteme noch vermeiden lässt, hänge nun entscheidend davon ab, "wie ernsthaft wir uns sowohl dem Klimaschutz als auch konkreten Schutzmaßnahmen für die Riffe verpflichten".

Schöner denken hilft wahrscheinlich, länger eine mehr oder weniger angenehme Zeit zu verbringen, ändern am schliesslichen Debakel tuts nichts.
Was ist in den letzten Jahrzehnten passiert - und warum sollte sich das jetzt ändern?
"Positive tipping points can rapidly restore nature and biodiversity. Ecosystem restoration can tip degraded systems back to health, and shifts to more sustainable patterns of consumption and production can lead to tipping points in food and fibre supply chains that end deforestation and ecosystem conversion."
Wenn wir anfangen uns mit der Ernährung zu beschäftigen können wir sehr schnell positive Kipppunkte erreichen.