Für den renommieren Permafrostforscher Christophe Lambiel war die Sache schnell klar: Der beschleunigte Absturz des Birchgletschers, der am letzten Mittwoch die Verschüttung des Ortes Blatten im Schweizer Kanton Wallis mit Eis, Schlamm und Geröll auslöste, hängt mit dem Klimawandel zusammen.

Andere Fachleute betonen, in den Alpen seien Erdrutsche und Murgänge durchaus natürliche Phänomene, mit denen zu rechnen ist. Tatsächlich mussten bereits mehrere Alpendörfer wegen solcher Naturgefahren aufgegeben werden.

 

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erwärmung die Gefahren erhöht, ist jedoch groß. Grund ist das zunehmende Auftauen des Permafrostbodens, auch "Leim der Alpen" genannt.

Lambiel zufolge liegt die 500 Meter hohe Felswand über dem Birchgletscher in der Permafrost-Zone, die in den Alpen bei Nordhängen in rund 3.000 Metern Höhe beginnt.

Die dauerhaft gefrorenen Böden hätten sich in den letzten zehn Jahren stark erwärmt, vor allem seit 2022, erläuterte der Professor von der Universität Lausanne in einem Interview mit der Zeitung Le Nouvelliste. Dadurch werde das Gestein instabil und breche zunehmend aus dem Berg heraus. Herausgebrochene Teile hätten den Gletscher zusätzlich belastet.

Er kenne in den Alpen keinen ähnlichen Bergsturz wie den von Blatten, sagte der Experte für Permafrost und die Entwicklung alpiner Landschaften. Nach Schätzungen stürzten drei Millionen Kubikmeter Gestein auf den Gletscher im Lötschental und dann auch auf das Dorf.

Der ohnehin auf dem steilen Hang bereits schnell ins Tal fließende Birchgletscher habe durch die Gesteinslast beim Tempo noch zugelegt, so Lambiel. Es habe sich um eine tiefe Rutschung gehandelt, "die sich in den letzten Tagen brutal beschleunigt hat". Der Gletscher sei schließlich zusammengebrochen. Eine solche Abfolge habe es noch nie gegeben.

"Ich zögere, hier von direkten Klimawandel-Folgen zu sprechen"

Der Bergexperte Robert Kenner von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf bei Zürich stellt hingegen fest, im Hochgebirge seien Berg- und Felsstürze "ein normaler Prozess, mit dem man eigentlich immer rechnen muss".

Die Berge seien von Schwächezonen durchzogen. In bestimmten Konstellationen seien Stürze möglich, und dann werde es irgendwann auch zu Abbrüchen kommen, erläuterte Kenner im Schweizer Radio. Die Destabilisierung von Felswänden sei das Ergebnis eines Prozesses, der Tausende von Jahren dauern kann. Er betonte aber: "Unsere Berge stürzen nicht reihenweise ein."

Alpental bei St. Moritz, gegen die Sonne aufgenommen.
Von der Erwärmung des Bodens und der Luft sind alle Orte in den Alpen betroffen. Wie groß die Gefahren für Menschen sind, hängt von vielen weiteren Faktoren ab. (Bild: Sonja Pieper/​Yashima/​Flickr)

Allerdings misst der Experte der globalen Erwärmung durchaus Einfluss zu. Kenner zufolge ist bereits die Hälfte des Permafrosts in den Alpen aufgetaut, was vermehrt Wasser in die Berge eindringen und den Druck dort ansteigen lässt. Es herrsche "ein erhöhter Stress im Berg".

Witterungseinflüsse oder das Klima könnten so den Zeitpunkt eines Ereignisses beeinflussen. Das Schmelzwasser eines Gletschers könne beim Gefrieren in Rissen im Gestein expandieren und so zur Auflösung des Gesteins führen.

Laboruntersuchungen ergaben, dass Fels bei Erwärmung bis zu 40 Prozent an Druck- und Zugfestigkeit verliert, wie der Leiter des Lehrstuhls für Hangbewegung an der TU München, Michael Krautblatter, ergänzte. Das heißt also unter dem Strich: Ein Felssturz, der sich ohne Klimakrise eventuell erst in 100 Jahren ereignet hätte, geschieht nun vielleicht schon früher.

Im aktuellen Fall Blatten gab sich WSL-Forscher Kenner zurückhaltend. "In Summe ist es immer ein Mischmasch aus ganz vielen verschiedenen Faktoren", der zu einem Bergsturz führen könne.

Vorsichtig äußerte sich auch der Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern. Es sei klar, dass der Permafrost auf der Höhe auftaut, wo der Bergsturz war, sagte er dem Spiegel. Dadurch könnten kleinere Felder abbrechen und Steinschläge zunehmen. "Aber in diesen Dimensionen?"

Im Fall Blatten sei die Gleitfläche Hunderte Meter in den Berg hinein gegangen. Dort unten gebe es keinen Permafrost mehr. "Deshalb zögere ich, hier von einer direkten Folge des Klimawandels zu sprechen", meinte er.

"Es geht darum, in Zukunft Menschenleben zu retten"

Eine Studie der WSL-Forschungsanstalt von 2024 bestätigt grundsätzlich, dass die globale Erwärmung das Risiko von Naturkatastrophen in den Alpen erhöht. "In hochalpinen Regionen mit Permafrost drohen in Zukunft häufiger Fels- und Bergstürze, was für Bergsportler ebenso gefährlich ist wie für Siedlungen und Infrastruktur", heißt es bei der WSL.

Tatsächlich ist die Schweiz laut den Daten vom Klimawandel besonders betroffen. Die Alpen gehören zu den Regionen, die sich mit am schnellsten erwärmen, im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten ist die Durchschnittstemperatur um fast drei Grad Celsius angestiegen, während derzeit weltweit im Mittel etwa 1,5 Grad gemessen werden.

Allerdings gibt es der WSL zufolge noch viele Unsicherheiten bezüglich der genauen Ursachen von großen Bergstürzen.

Bei kleinen Erdrutschen mit bis zu 1.000 Kubikmetern Material sei der Zusammenhang mit dem Klimawandel bereits nachgewiesen. "Sie treten immer häufiger auf, vor allem in höheren Lagen", sagte Mylène Jacquemart, eine Hauptautorin der WSL-Studie, gegenüber der Plattform Swissinfo. Solche Erdrutsche könnten Gebäude beschädigen, Wanderwege blockieren und eine Gefahr für Menschen und Tiere darstellen.

Für eine Bewertung von größeren Ereignissen wie jetzt in Blatten oder 2017 in Bondo im Schweizer Kanton Graubünden, fehlen laut WSL jedoch noch ausreichende Daten. Jacquemart: "Unsere systematischen Beobachtungen erstrecken sich über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren. Das ist zu wenig, um zu sagen, ob es sich um außergewöhnliche Ereignisse handelt oder ob es eine statistisch signifikante Veränderung gibt."

Bei der Katastrophe von Bondo starben acht Menschen, als von der Nordflanke des 3.369 Meter hohen Piz Cengalo nahe der italienischen Grenze drei Millionen Kubikmeter Gestein abbrachen. Auch damals wiesen Fachleute auf einen möglichen Zusammenhang mit dem tauenden Permafrostboden hin.

 

Klar ist, dass die weitere Forschung auf diesem Sektor intensiv weitergeführt werden muss. Dabei gehe es darum, "in Zukunft Menschenleben zu retten", sagte der Münchner Experte Krautblatter.

Und Blatten dürfte nicht der letzte Katastrophen-Fall bewiesen sein. Das Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos hat bereits vor einigen Jahren Standorte in den Bergen aufgelistet, in denen weitere Felsstürze drohen. Allein für das Schweizer Wallis umfasste die Liste über 50 Orte. Auch Blatten war darunter.