Hartmut Graßl (rechts) überreichte 1993 als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen das erste Gutachten an Bundeskanzler Helmut Kohl. (Bild: Julia Faßbender/​Bundesregierung)

Nach so viel Lob ist es schwer, aus dem Danke-Modus herauszukommen. 

Als ich gelesen habe, woher unsere Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (Maryam Blumenthal, d. Red.) kommt, fiel mir ein, dass wir beide etwas Großes gemeinsam haben: Nur in Demokratien, wie hier in der Bundesrepublik Deutschland, kann man sich vom Rande der Gesellschaft kommend entfalten. 

Sie sind Senatorin dieser schönen Stadt geworden. Und ich bin als kleiner Bub auf Empfehlung eines Volksschullehrers – obwohl meine Eltern nicht daran dachten – ins Gymnasium aufgenommen worden. 

Frau Senatorin, Sie stammen aus einer Flüchtlingsfamilie und ich aus der untersten Kaste in unserem Dorf. Und deswegen ist es so extrem wichtig, dass wir in einer Demokratie leben.

Ich habe als kleines Kind noch fünf Jahre unter der Hitler-Diktatur verbracht – am Obersalzberg in unmittelbarer Nähe zum Haus von Adolf Hitler. Und bei dem großen Fliegerangriff auf den Obersalzberg – der ja nicht meiner Familie oder mir galt, sondern nur dem Haus des Tyrannen – bin ich vor dem Bunker von den Erwachsenen überrannt worden. 

Ende April 1945 wurde die Bauernlandschaft um den Obersalzberg herum in einem dreitägigen Flächenbombardement ruiniert. Es sind heute noch die Bombentrichter auf den Wiesen der Bauern zu sehen. Und das Haus, in dem meine Familie lebte, wurde völlig zerstört. 

Ich wurde dann mit Mutter und zwei Geschwistern an den Bergbauernhof, woher mein Vater stammte, zurückevakuiert. Und mein Vater hat – als einer, der das Naziregime nicht verachtete – einen extremen Knick in seinem Lebenslauf bekommen. Davon hat er mir aber nie etwas erzählt. 

Studium: "Dieses Vordiplom schließt auch dasjenige in Physik mit ein"

Ich kam dann ans Gymnasium Berchtesgaden. Ich habe das Abitur – das gestehe ich hier – nur nach einer Ehrenrunde am Gymnasium geschafft. Anders formuliert: Ich bin sitzen geblieben. 

Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich gespürt, dass das Wichtigste an uns eigentlich das Einschalten des Gehirns ist.

Das habe ich an der LMU, der Ludwig-Maximilians-Universität in München, so erlebt. Bei den dortigen Professoren zählte nur, was ich lieferte, nicht, woher ich kam. Und als ich mir dann zutraute, Physik zu studieren, habe ich den ursprünglichen Plan, ein Meteorologe zu werden, aufgegeben. 

Deshalb ging ich zum Prüfungsausschussvorsitzenden Fritz Bopp, einem der Göttinger Achtzehn, der LMU-Professor für Theoretische Physik geworden war, und sagte zu ihm: "Ich möchte Physik studieren." 

Seine Antwort war knapp: "Ja, dann müssen Sie aber noch zwei Prüfungen absolvieren." Eine in Chemie und die andere in theoretischer Mechanik. 

Dann schaute er mich an: "Haben Sie das 'Kochpraktikum' in Chemie mitgemacht?" "Ja", sagte ich.

"Was haben Sie denn bekommen?" Sag ich: "Sehr gut."

"Dann erlasse ich Ihnen diese Prüfung. Aber in theoretischer Mechanik muss ich Sie doch prüfen." 

Schaute mir noch mal tief in die Augen und sagte: "Das können wir doch gleich machen." 

Und ich dachte: Jetzt hast du verloren. Und ich sagte nur kurz: "Wenn Sie berücksichtigen, dass ich mich überhaupt nicht vorbereiten konnte, dann ja."

Dann hat er mich zehn, zwölf Minuten lang etwas aus der theoretischen Mechanik gefragt. 

Dann hat er seinen Füllfederhalter genommen, das Vordiplomzeugnis in Meteorologie genommen und schräg über das Deckblatt geschrieben: "Dieses Vordiplom schließt auch dasjenige in Physik mit ein." – F. Bopp. So wurde ich in alter Ordinarienherrlichkeit zum Studenten der Physik.

Kommunikation: "Lassen wir den überhaupt weiterreden?"

Jetzt zu etwas, was ich vorher mehrfach beim Lob über mich gedacht habe: Warum bin ich eigentlich in die Öffentlichkeit, in die Kommunikation der Wissenschaft geraten?

Das liegt an einem Protestbrief der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft an die Deutsche Physikalische Gesellschaft. Darin hieß es: Wenn ihr euch schon mit Klimathemen auseinandersetzt, dann solltet ihr mindestens zwei Klimatologen in den Arbeitskreis Energie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft einladen. Ich wurde eingeladen. 

Und jetzt kommt eine kleine Anekdote: Beim ersten Auftritt vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 1986 habe ich am Anfang meines Vortrags gesagt, wenn ich gefragt würde, ob ich etwas über die Sicherheit von Atomkraftwerken aussagen könnte, würde ich immer verneinen, weil ich davon zu wenig verstehe. 

Dann schrie einer der Physikprofessoren in diesem Hörsaal – das war in Bad Honnef, wo die Physiker ihr Domizil haben: "Lassen wir den überhaupt weiterreden?!" So angespannt war die Situation.

Dann sagte Professor Heinloth von der Universität Bonn, ein Physiker: "Der ist nicht so, der ist aus Bayern." Und dann durfte ich weiterreden. 

Und am Ende dieses Tages kam Joachim Trümper, ein Professor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in München-Garching, zu mir und sagte: "Herr Graßl, können Sie den Klimateil für unser Memorandum nochmal schreiben?"

Ich habe "Ja" gesagt, habe das innerhalb weniger Tage erledigt und dann wieder an die Deutsche Physikalische Gesellschaft und an die Deutsche Meteorologische Gesellschaft zurückgegeben. 

Daraus wurde das Memorandum "Warnung vor weltweiten Klimaänderungen durch den Menschen"

Der innere Teil über die Klimatologie war von mir und von Christian Schönwiese von der Universität Frankfurt geschrieben worden.

Klima: "Keiner kam auf die Idee, dass das Moment aus Bayern kam"

Eingedenk dessen, was lange vorher bei der Veröffentlichung durch die Atomwissenschaftler passiert ist – die ja zur Gründung der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler geführt hat –, dachten wir: "Jetzt gibt es eine Reaktion aus der hohen Politik."

Wenn ich später in Vorträgen gefragt habe: "Wen, glaubt ihr, hat dieses Memorandum zu Aktivitäten veranlasst?" Dann hieß es: "Helmut Kohl." Ich verneinte. "Klaus Töpfer." Ich sagte wieder nein. 

"Angela Merkel." Nein, sagte ich nochmal, die war ja noch in ihrer Nische in der DDR zu dieser Zeit, ich rede jetzt von Ende 1986. 

Und keiner kam auf die Idee, dass das eigentliche Aktionsmoment aus Bayern kam. Denn Franz Josef Strauß, damals Ministerpräsident in Bayern, schickte einen Abteilungsleiter aus der Staatskanzlei in München zu einer Sitzung des Deutschen Bundesrates.

Und dieser Mann hatte einen wunderbaren Namen, der für Bayern gut spricht: Ministerialdirigent Dr. Vorndran. Und der hat im deutschen Bundesrat die Einrichtung eines wissenschaftlichen Klimabeirates der deutschen Bundesregierung gefordert.

Dieser wurde dann relativ schnell eingerichtet. Und ich wurde zum Vorsitzenden dieses Beirates, weil ich damals den sogenannten Sachverständigenkreis Klimatologische Grundlagenforschung am Bundesforschungsministerium geleitet habe. 

Weil wegen des Memorandums natürlich Journalisten bei den Präsidenten der Gesellschaften nachgefragt haben, sind viele Anfragen an mich weitergereicht worden.  

Von da an habe ich dann eigentlich fast jede Woche ein Interview geben müssen. Auch Fernsehauftritte kamen hinzu.

Gestern Abend hat zum Beispiel noch ein deutsches großes Magazin mit mir ein Interview vereinbart – ohne dass die Journalistin wusste, dass heute diese Veranstaltung hier stattfindet.

Von den Alpen bis zum Watt: "Danke schön"

Es wurde ja heute schon angesprochen: Das habe ich nur geschafft, weil ich seit jetzt fast genau 59 Jahren mit Renate Schwarz, jetzt Renate Graßl, verheiratet bin. 

(Applaus)

Nach diesem Applaus, muss ich sagen – und da schaue ich jetzt Maria Reinisch an: "I kriag nasse Augn." Und das bringt mich zum Schluss. Ich könnte ja noch viele Anekdoten erzählen. 

Zu dem letzten Dank: Frau Reinisch, als Sie zum ersten Mal darüber sprachen – von den Alpen bis zum Watt –, hätte ich nie gedacht, dass daraus eine so große Veranstaltung wird. Und dass es eine Senatorin gibt, die den Weg hier rein findet ...

Also, ich möchte nochmal allen danken. 

Und ich freue mich, dass es jetzt – so habe ich gelesen, Frau Reinisch – einen Sektempfang gibt. Denn ich habe den ganzen Tag nichts gegessen und fast nichts getrunken. 

Danke schön!

Die Rede wurde von Hartmut Graßl nochmals durchgesehen und zur Veröffentlichung freigegeben.

 

Umweltkrise und Demokratie

Hartmut Graßl ist einer der bedeutendsten Klimaforscher unserer Zeit. Zu seinem 85. Geburtstag veranstaltet die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) am 25. September 2025 in Hamburg das interdisziplinäre und intergenerationelle Symposium "Von den Alpen bis zum Watt". Es geht um Themen, die Hartmut Graßl besonders bewegen: Ursachen und Folgen der Klimakrise, Verlust von Biodiversität – und wie eine gerechte sozial-ökologische Transformation gelingen kann. Klimareporter°, zu dessen Herausgeberrat Graßl gehört, ist Medienpartner und begleitet das Symposium mit einer Beitragsserie.