Wer Roland Emmerichs Klima-Schocker "The Day After Tomorrow" kennt, der hat die Katastrophen-Szenen noch im Kopf. Ein Klimatologe, Jack Hall genannt, überlebt in dem Film nur knapp eine Antarktis-Expedition, während der sich eine riesige Eisscholle vom Larsen-B-Schelfeis löst.

 

Dann tritt ein, was Hall vorausgesagt hat: Es kommt zu einem schnellen und dramatischen Klimawandel. Eine riesige Flutwelle läuft auf New York zu, Tornados verwüsten Los Angeles, enorm große Hagelkörner prasseln auf Tokio nieder, und Schnee bedeckt indische Städte.

Am Ende versinkt die Erde in eine neue Eiszeit. Die Ursache in Emmerichs Fiktion: ein Kollaps des nördlichen Teils jener weltumspannenden ozeanischen Strömungen, die die Temperaturverteilung auf der Erde maßgeblich mitsteuern.

Das Szenario in dem Film von 2004 war, wissenschaftlich betrachtet, Unfug. Eine neue Eiszeit ist derzeit nicht in Sicht. Die Konzentration von Treibhausgasen ist dazu viel zu hoch, und die Neigung der Erdachse zur Sonne hat sich entscheidend verändert.

Doch die Befürchtung, die weltumspannenden Meereszirkulationen – das sogenannte globale Förderband – könnten massiv gestört werden, hat jüngst neue Nahrung bekommen. Ein Forschungsteam aus Australien und den USA veröffentlichte eine Studie im Fachmagazin Nature zu den Strömungsverhältnissen am Südpol, wo in den letzten Jahren eine stark beschleunigte Eisschmelze festgestellt wurde und dadurch gigantische Mengen Süßwasser ins Meer fließen. Das könnte den dort gelegenen südlichen "Antrieb" für das Förderband bremsen.

Es gebe "besorgniserregende Anzeichen dafür, dass sich diese Strömungen verlangsamen. Sie könnten sogar zusammenbrechen", schreibt das Team. Die Folgen in diesem Fall wären: Die Tiefsee erhält keinen Sauerstoff mehr, die Lieferung von Nährstoffen an die Meeresoberfläche wird eingeschränkt, und es könnte zu einer weiteren Eisschmelze kommen, da sich das Wasser in der Nähe des Schelfeises erwärmt.

"Dies hätte erhebliche globale Auswirkungen auf die Ökosysteme der Ozeane, das Klima und den Anstieg des Meeresspiegels", so Qian Li vom Massachusetts Institute of Technology (USA) und Matthew England von der University of New South Wales (Australien).

Europas Klima hängt vom Golfstrom ab

Das globale Förderband durchzieht die gesamten fünf Ozeane. Die Umwälzbewegung transportiert Wärme, Sauerstoff sowie Nährstoffe rund um den Globus und beeinflusst grundlegend das Klima, den Meeresspiegel und die Produktivität der Meeresökosysteme.

Die Strömungen werden unter anderem durch Temperaturunterschiede in den verschiedenen Meeresregionen angetrieben. So kühlt sich das Wasser in der Nord- und Südpolarregion ab, im Nordatlantik zum Beispiel vor den Küsten Nordeuropas und Grönlands. Seine Dichte nimmt dadurch sowie durch Verdunstungsprozesse zu, die den Salzgehalt an der Meeresoberfläche erhöhen.

Thermohaline Zirkulation ist der Fachbegriff für das "globale Förderband". (Quelle: Rahmstorf 2002)

Die Wassermassen sinken in der Folge ab in Richtung Meeresgrund und durchziehen dann die Weltmeere. Auftrieb in anderen Breitengraden gleicht das Absinken in der Nähe der Arktis und der Antarktis aus. So wird zum Beispiel Wasser, das sich unter der starken Sonneneinstrahlung in Äquator-Regionen erwärmt, in den oberen Meeresschichten nach Norden oder Süden transportiert.

Auf der Nordhalbkugel am bedeutsamsten ist die Atlantische Umwälzzirkulation AMOC, von der der Golfstrom ein Teil ist. Die AMOC ist quasi die "Zentralheizung" Europas. Der Zustrom warmen Wassers aus dem Golf von Mexiko führt dazu, dass es an der Westküste des Kontinents einige Grad wärmer ist als in gleichen Breitengraden Kanadas.

Die Befürchtung, das Förderband könne aufgrund der globalen Erwärmung kollabieren, gibt es seit den 1990er Jahren, seither wird daran geforscht. Der Weltklimarat IPCC hat das Thema in seinen Berichten mehrfach behandelt, die Wahrscheinlichkeit eines kompletten Umkippens der Strömungen bis 2100 wird darin als gering bezeichnet.

"Noch zu unseren Lebzeiten könnte es vorbei sein"

Untersuchungen wie die von Li, England und Co lassen nun aber befürchten, dass die Gefahr doch größer ist. Aufgrund von Beobachtungen und neuen, detaillierteren Modellsimulationen erwartet das Team, dass sich die Tiefenströme am Südpol schon bis zur Mitte des Jahrhunderts um bis zu 40 Prozent verlangsamen könnten: "Physikalische Messungen bestätigen, dass diese Veränderungen bereits in vollem Gange sind."

Das wären die Folgen für die Antarktis

Die Folgen einer Verlangsamung der antarktischen Umwälzung wären gravierend:

  • Nährstoffreiches Meerwasser strömt nicht mehr an die Oberfläche, was der Fischerei schadet.
  • Die Tiefsee wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, mit gravierenden Auswirkungen auf alle dortigen Lebewesen.
  • Dem Eis der Antarktis wird mehr Wärme zugeführt, vor allem in der Westantarktis, dem Gebiet mit dem größten Eismassenverlust in den letzten Jahrzehnten. Dies würde den globalen Meeresspiegelanstieg beschleunigen.
  • Die Fähigkeit der Ozeane, CO2 aufzunehmen, nimmt ab, sodass sich mehr davon in der Atmosphäre ansammelt. Das verstärkt die globale Erwärmung.
  • Tropische Niederschlagsgebiete könnten um etwa tausend Kilometer nach Norden verschoben werden.

Für den gleichen Zeitraum sagen die Modelle auch eine Abschwächung der AMOC und damit des Golfstroms um bis zu 20 Prozent voraus. "Beide Veränderungen würden die Erneuerung und Umwälzung des Ozean-Inneren drastisch reduzieren", so das Team.

Angetrieben werden die Veränderungen durch das Schmelzen der riesigen Eispanzer der Antarktis, denn das Süßwasser, das von ihnen abfließt, verdünnt das Salzwasser. Ein weiterer Faktor ist, dass sich das Wasser an der Meeresoberfläche zunehmend erwärmt, wodurch sich ein weiterer Antrieb für das Absinken abschwächt.

Li und England verweisen darauf, dass ihre Modellrechnungen 2050 enden. Das Klima werde sich danach aber weiter erwärmen, wenn sich die Treibhausgasemissionen nicht stark verringern, verbunden mit einem weiteren Abschmelzen der Eisschilde und so einer fortgesetzten Verlangsamung des Förderbandes.

Normalerweise sei es dessen Funktion, vom Südpol her "die weiten Bereiche des tiefen Indischen, Pazifischen und Atlantischen Ozeans zu belüften", erläutern sie. "Doch damit könnte es bald vorbei sein. Noch zu unseren Lebzeiten."

Weitere Untersuchungen speziell zur nordatlantischen Zirkulation vertieften in jüngster Zeit das Verständnis dieses Teils des Förderbandes. Sie vermittelten eine gewisse Entwarnung, allerdings nur auf den ersten Blick.

Wann übernimmt der Klimawandel die Kontrolle?

2022 führte die Studie eines Forschungsteams um Mojib Latif von der Universität Kiel die festgestellte Verlangsamung der AMOC in den letzten Jahrzehnten, die mit einer Abkühlung von Teilen des Nordatlantiks verbunden ist, in erster Linie auf natürliche Schwankungen zurück.

Das Team verwies allerdings auch darauf, dass die aktuellen Klimamodelle alle eine deutliche Abschwächung der Strömung bis 2100 um bis zu 45 Prozent voraussagen, falls die Menschheit die Erwärmung weiter vorantreibt. Das sei dann nach heutigem Wissensstand schon nahe an dem Kipppunkt, an dem AMOC und Golfstrom instabil werden.

Es bleibe die Frage, "wann der Klimawandel die Kontrolle über die AMOC übernimmt", sagte Jing Sun, Mitautorin der Studie. "Dann verliefe die Entwicklung nur noch in Richtung Abschwächung und Risiken könnten deutlich zunehmen."

Nicht wirklich beruhigend ist in diesem Zusammenhang auch eine an der Universität Bern durchgeführte Studie, die kürzlich in Nature Geoscience erschien. Zentrale Aussage: Die AMOC reagierte in der Vergangenheit weniger empfindlich auf Klimaveränderungen als gedacht.

So sei es am Ende der letzten Eiszeit nicht, wie bisher angenommen, zu einem vollständigen Kollaps der Ströme im Atlantik gekommen. Die Berner Untersuchung deutet also darauf hin, dass das aktuelle Abschmelzen von Grönlandeis die atlantische Zirkulation in der näheren Zukunft nicht so stark beeinflussen könnte wie befürchtet.

Andererseits, so Studien-Hauptautor Frerk Pöppelmeier, könnten weitere Faktoren, die zu einem großen Eintrag von Süßwasser in den Atlantik führen und die Zirkulation beeinträchtigen, eine wichtige Rolle spielen – so etwa das gleichzeitig stark schmelzende Meereis, sich verändernde Winde und ein intensiverer Wasserkreislauf.

Pöppelmeier betonte: Noch seien die Prozesse, die zu einem Kipppunkt der nordatlantischen Zirkulation führen, nicht vollständig verstanden. Klar sei jedoch, dass sich die aktuellen Verhältnisse grundlegend von jenen am Ende der letzten Eiszeit unterscheiden. Vor allem laufe die gegenwärtige, menschengemachte Veränderung viel schneller ab.

"Die Einflüsse des Menschen haben die Erde in einen Zustand versetzt, der in der bekannten Vergangenheit noch nie existiert hat", so der Geowissenschaftler. Die Hinweise zur Abschwächung der AMOC seit vorindustrieller Zeit müssten ernst genommen werden, sie könne sich einem Kipppunkt nähern.

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