Größtenteils eisbeckter, sehr karg bewachsenes Fjordufer mit einigen Vögeln und kleinen Wasserläufen.
In arktischen Permafrostregionen wirken möglicherweise schon Rückkopplungseffekte. (Foto: Florence Dambricourt/​Pixabay)

In der Arktis brennen seit Wochen, wie Satellitenbilder zeigen, Torfschichten über dem Permafrostboden auf mehr als 100.000 Hektar. Bis zu 50 Millionen Tonnen CO2 sollen damit allein im Juni zusätzlich in die Atmosphäre gelangt sein, schreibt die FAZ. Darüber hinaus legen sich die Rußpartikel auf Eis und Schnee, absorbieren Sonnenenergie und befördern das sich ohnehin beschleunigende Schmelzen.

Solche Vorgänge wie auch stark steigende Methanemissionen und schwindende Grönland-Gletscher entfachen die Frage neu, wie groß das verbleibende CO2-Budget überhaupt noch ist, dass die Menschheit emittieren kann – will sie die Erderwärmung auf 1,5 Grad oder wenigstens deutlich unter zwei Grad begrenzen.

Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) gehen in einer soeben in der Zeitschrift Nature veröffentlichten Studie vom 1,5-Grad-Sonderbericht des Weltklimarats aus. Der IPCC-Bericht schätzt das verbleibende CO2-Budget ab 2018 auf 420 Milliarden Tonnen, wenn die Erderwärmung mit einer 66-prozentigen Wahrscheinlichkeit auf 1,5 Grad begrenzt werden soll. Noch 580 Milliarden Tonnen bleiben für eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit. Die Annahmen über die künftigen Emissionen anderer Treibhausgase als CO2 können diese Schätzungen um 250 Milliarden Tonnen nach oben und unten verändern.

Ein Ergebnis der PIK-Studie ist, dass Rückkopplungen im Erdsystem – wie das Tauen des Permafrosts und die damit verbundene Freisetzung von Methan – bisher in ihrer Wirkung auf das verbleibende CO2-Budget unterschätzt worden sein könnten.

"Unser Spielraum könnte kleiner sein als gedacht"

"Vorliegende Schätzungen des Kohlenstoffbudgets vernachlässigen oft das Tauen des Permafrostes und andere langsame Rückkopplungen, die zu einer weiteren Erwärmung des Planeten führen könnten", erklärt PIK-Forscher und Mitautor Elmar Kriegler. "Das bedeutet, dass unser Spielraum noch kleiner sein könnte, als wir dachten." Die Studie veranschlagt die CO2-Menge, die deswegen vorläufig vom Budget abzuziehen wäre, auf mindestens 100 Milliarden Tonnen.

Ein weiterer Grund für die Unsicherheiten beim Abschätzen des Budgets ist laut PIK die Art der Temperaturmessung. Einige Schätzungen bezögen sich auf die Lufttemperatur an der Erdoberfläche, anderthalb Meter über dem Boden gemessen. Andere berücksichtigten aber auch die Temperaturen der Meeresoberfläche, so die PIK-Forscher. Da sich Meeresoberflächen langsamer erwärmen als die Luft, scheine es so, als könne mehr CO2 ausgestoßen werden, bevor die 1,5-Grad-Grenze überschritten wird.

Die mit Meerestemperaturen berechneten Budgets haben in den Augen der Wissenschaftler am Ende auch Klimafolgen – eine "verhältnismäßig heißere Erde", wie das PIK schreibt. Die Experten empfehlen deswegen, ausschließlich die Oberflächenlufttemperatur zu wählen, um das CO2-Budget abzuschätzen.

Dennoch verbleibt noch immer eine enorme Spannbreite bei den Schätzungen. "Wie groß das Budget am Ende ist, können wir nicht genau sagen, weil es auch von künftigen Entscheidungen über andere Treibhausgase als CO2 und von Unsicherheiten in natürlichen Systemen abhängt. Aber wir wissen genug, um sicher zu sein, dass keine Zeit mehr zu verlieren ist, um die Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren", betont Elmar Kriegler.

"Mehr Unsicherheit heißt mehr Handlungsdruck"

Klimaforscher Hartmut Graßl begrüßt an der PIK-Studie den Versuch, die Unsicherheiten stärker zu berücksichtigen, die sich speziell aus den Methanemissionen bei schwindendem Permafrost ergeben. Es habe in den letzten Wochen mehrfach Hinweise auf ein erhöhtes Risiko gegeben, weil die Methankonzentration seit einigen Jahren wieder rascher ansteige, nachdem der Anstieg in den Jahrzehnten zuvor flacher gewesen war.

Um das besser zu verstehen, sind nach Ansicht von Graßl aber auch Messungen nötig, um die Anteile der anthropogenen und der auf Rückkopplungen im Klimasystem beruhenden Quellen abschätzen zu können. 

Dass die Abschätzungen des CO2-Budgets noch mit Unsicherheiten behaftet sind, hält Graßl klimapolitisch nicht für nachteilig. Im Sinne des Vorsorgeprinzips müsste eine höhere Unsicherheit die Politik eigentlich zu stärkerem Handeln bewegen, sagte er.

Redaktioneller Hinweis: Hartmut Graßl gehört dem Kuratorium von Klimareporter° an.

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