Deutschlands Flüsse und Bäche brauchen eine Kur. Zwar hat sich die Wasserqualität in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Doch 90 Prozent der Fließgewässer sind laut Umweltbundesamt (UBA) in keinem guten ökologischen Zustand, so die verfügbaren Zahlen von 2022.
Aber es gibt Möglichkeiten, die Situation zu verbessern und damit die europäischen Gewässer-Ziele zu erreichen, was nicht nur den Hochwasserschutz, sondern auch die Biodiversität und die Anpassung an den Klimawandel verbessern würde.
Den Bächen und Flüssen müssten dazu zwei Prozent der Landesfläche zurückgegeben werden. Das zeigen Berechnungen, die im UBA-Auftrag durchgeführt wurden. Den deutschen Gewässern fehlen laut der Untersuchung heute etwa 7.000 Quadratkilometer, die früher naturnah waren.
Bäche und Flüsse durchziehen ganz Deutschland mit einem dichten Netz. Die Länge aller Fließgewässer zusammen beträgt etwa 590.000 Kilometer.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde dieses Gewässernetz zugunsten von Siedlungen, Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung weitreichend umgestaltet. Flüsse wurden begradigt, von ihren Auen durch Deiche getrennt, Ufervegetation entfernt, Gewässerbetten tiefer gelegt und mit Steinen oder Beton befestigt.
Beispielhaft dafür steht der Ingenieur Johann Gottfried Tulla, der mit der Rheinbegradigung im frühen 19. Jahrhundert durch Baden entscheidend dazu beitrug, dass der Oberrhein von einem weit verzweigten, mäandrierenden Flusssystem zu einem eingeengten Kanal wurde.
Die Folge: Heute beträgt der Verlust an Flächen, die bundesweit für die Ausbreitung von Bächen und Flüssen etwa bei Hochwasser zur Verfügung stehen, etwa 80 Prozent.
Auf früheren Auenflächen wird oft Landwirtschaft betrieben
Die Europäische Union hat sich im Jahr 2000 mit ihrer Wasserrahmenrichtlinie das Ziel gesetzt, einen guten ökologischen Zustand der Fließgewässer herzustellen. Eigentlich sollte das schon 2015 erreicht sein, mit Nachfrist 2027.
Doch das Ziel ist auch heute in Deutschland noch lange nicht erreicht. Noch 2022 erreichten 90 Prozent der Bäche und Flüsse keinen guten ökologischen Zustand.
Bekommen die Fließgewässer ihre verlorenen Flächen zurück, können sie laut UBA ihre typischen Strukturen wieder ausbilden und wieder Lebensraum für zahlreiche Organismen werden. Zu diesen Strukturen zählen beispielsweise Sand- und Kiesbänke, Inseln oder umgestürzte Bäume.
Die Umweltbehörde räumt ein, dass die Rückgabe von zwei Prozent der Landesfläche für naturnahe Gewässer "eine große Herausforderung" darstellt, besonders in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland.
Tatsächlich wurden seit Inkrafttreten der EU-Wasserrahmenrichtlinie vor 25 Jahren sogar mehr als 4.500 Quadratkilometer neu für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen, was die Probleme verschärfte. Dem stehen nur wiederhergestellte Überschwemmungsflächen von 71 Quadratkilometern gegenüber, und das seit 1983.
Die zurückzugewinnenden Auenflächen liegen häufig auf landwirtschaftlich genutztem Terrain, was Widerstand provoziert. "Diese Diskrepanz zeigt: Trotz einzelner Erfolge klaffen Anspruch und Wirklichkeit im Gewässerschutz noch weit auseinander", kritisiert das UBA.
Naturnahe Fließgewässer schützen Klima und Trinkwasser
Ökologisch intakte Fluss- und Bachsysteme würden sich gut in die Ziele des European Green Deal einfügen, mit dem neben Klimaschutz auch eine Wiederherstellung der Natur verfolgt wird. Gemäß dem 2024 verabschiedeten "EU Nature Restoration Law" sollen bis 2030 mindestens 20 Prozent und bis 2050 100 Prozent aller Land- und Meeresflächen wiederhergestellt werden.
Das EU-Gesetz ist allerdings auf erheblichen Widerstand, unter anderem aus der Landwirtschaft, gestoßen. Mehrere Mitgliedsstaaten, darunter Italien, die Niederlande und Ungarn, hatten den Gesetzgebungsprozess verzögert.
Die UBA-Fachleute betonen, dass die Renaturierung kein isoliertes, abstraktes Ziel darstelle. Sie stehe im Einklang mit vielen anderen Umwelt-, Natur- und Klimaschutzanforderungen. Mehr Fläche für Gewässer schaffe nämlich nicht nur die nötigen Bedingungen für einen nachhaltigen Gewässerschutz.
Naturnahe Fluss- und Auenlandschaften könnten über 40 verschiedene Funktionen erfüllen. "Sie stellen beispielsweise Trinkwasser und Nahrung bereit, speichern Kohlenstoff für den Klimaschutz und sind attraktive Räume für Freizeit und Erholung", so das UBA.
Wie wichtig der Umbau ist, zeigt sich am Klimawandel, der Wetterextreme wie Starkregen, Hochwasser und Dürreperioden verstärkt. Auch hier helfe es, mehr Flächen zur Verfügung zu stellen: "Eine längere Fließstrecke verlangsamt den Abfluss des Wassers. Es verweilt dadurch länger in der Landschaft. Hochwasser, das sich in angrenzenden Auen ausbreiten kann, wird dort wie in einem Schwamm zwischengespeichert. Bei trockener Witterung wird das Wasser langsam wieder abgegeben, was die Umgebung kühlt und Dürren vorbeugt."
Hier geht es also um einen Paradigmenwechsel: Statt Wasser möglichst schnell aus der Landschaft abzuleiten, soll es künftig das Ziel sein, es länger vor Ort zu halten. Davon können laut dem Bundesamt Böden, Vegetation und Grundwasserreserven profitieren – ein wichtiger Schritt für Klimaresilienz und nachhaltiges Wassermanagement.
UBA-Präsident Dirk Messner sagte dazu: "Die Ausweitung der Fläche von Flüssen und Bächen ist kein Selbstzweck. Ein Mehr an Gewässern bedeutet immer auch ein Mehr an Schutz vor Klimaextremen."
