Aufgeworfene Pflastersteine in einer von der Flutkatastrophe betroffenen Stadt
Rheinbach bei Bonn, Aufräumen am Tag drei nach dem Hochwasser. (Foto: Raimond Spekking/​Wikimedia Commons, CC BY‑SA 4.0)

Klimareporter°: Herr Grießhammer, verändert die Flutkatastrophe das Verhältnis der Bürger zum Klimaschutz?

Rainer Grießhammer: Die Flutkatastrophe hat zu einem nationalen Schockzustand geführt: Über 170 Tote, viele im eigenen Haus ertrunken oder erschlagen, zerstörte Dörfer, Brücken, Bahnlinien, Autobahnen – das kennt man sonst nur von Bildern in anderen Ländern.

Ohne drastische Gegenmaßnahmen werden diese und andere Wetterextreme zunehmen. Nach der Sintflut ist vor der Sintflut. Natürlich haben die meisten Bürger das schon länger gewusst oder geahnt, dass die Klimaerhitzung mehr und mehr zuschlägt.

Die schockierenden Bilder der Flutkatastrophe haben sich jetzt unauslöschlich eingeprägt, auch im Bewusstsein, dass die Klimaschutzpolitik schnell und deutlich verschärft werden muss.

Werden die Bürger denn auch selbst reagieren? Wird jetzt weniger geflogen, der Konsum geändert, klimagerechter eingekauft, etwa bei Autos?

Das erwarte ich nicht im großen Ausmaß, weil die Politik dem ja voll entgegenwirkt. Die Bundesregierung fördert mit dem Dienstwagenprivileg den Kauf großer Autos und mit jährlich acht Milliarden Euro Steuervorteil den Kauf von Diesel-Pkw.

Die Bundesregierung wehrt sich gegen Tempolimits, obwohl das die kostengünstigste und schnell realisierbare Klimaschutz-Maßnahme wäre. Und sie verzichtet auch auf die Besteuerung des Flugverkehrs – mit jährlichen Steuerausfällen von zwölf Milliarden Euro. Dadurch ist Fliegen sensationell billig.

Klimagerechtes Verhalten wird dadurch geradezu torpediert.

Aber die Bundesregierung hat doch gerade eine Verschärfung der Klimaschutzziele beschlossen – 65 Prozent weniger CO2 als 1990 bis 2030 und Klimaneutralität bis 2045.

Aber nicht aus eigenem Willen, sondern auf Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Noch schlimmer ist, dass die Bundesregierung zwar die Ziele verschärft, aber dazu gar keine Maßnahmen beschlossen hat.

Dadurch wird der Gerichtsbeschluss unterlaufen und Karlsruhe lächerlich gemacht. Ziele ohne Maßnahmen sind Betrug an den Wählern.

Aber immerhin wollen doch auch die Regierungsparteien eine Erhöhung des CO2-Preises.

Porträtaufnahme von Rainer Grießhammer.
Foto: Patrick Seeger/​DBU

Rainer Grießhammer

ist promovierter Chemiker und war viele Jahre Geschäfts­führer des Öko-Instituts in Freiburg. Er warnte bereits früh vor dem Klimawandel und forderte in viel gelesenen Büchern ("Der Öko-Knigge", "Chemie im Haushalt", "Der Öko-Koch") nachhaltigen Konsum. Letztes Jahr erhielt er das Bundes­verdienst­kreuz. Sein aktuelles Buch heißt "Klimaretten: Jetzt Politik und Leben ändern".

Das habe ich bis vor Kurzem auch geglaubt. Aber an der jüngsten Benzinpreisdebatte wurde deutlich, dass Union und SPD schon wieder von ihrem eigenen Beschluss dazu abrücken.

CDU, CSU, die Grünen, SPD, FDP, aber auch die meisten Wissenschaftler und Unternehmen sagen ja seit Jahren, dass steigende CO2-Preise die wichtigste Maßnahme im Klimaschutz sind. Weil CO2-Preise verursachergerecht sind und weil sie den Unternehmen erlauben, den optimalen Reduktionspfad zu finden.

Umstritten waren eigentlich nur die Höhe des Einstiegspreises und die Steigerung über die nächsten Jahre. In Frankreich liegt der CO2-Preis bei 45 Euro pro Tonne, in der Schweiz bei 90 Euro, in Schweden bei 114 Euro.

Seit einem Jahr steigen auch die Zertifikatspreise im EU-Emissionshandel und liegen derzeit bei 50 Euro. Nach den neuen Vorschlägen der EU-Kommission wetten Hedgefonds-Manager schon auf eine Verdopplung auf 100 Euro in diesem Jahr.

Die Bundesregierung dagegen wollte 2019 mit einem CO2-Preis von nur zehn Euro pro Tonne für Benzin, Heizöl und Gas starten, also quasi einem Placebo-Preis, damit es niemand merkt. Die Grünen haben über den Bundesrat wenigstens noch eine Erhöhung auf 25 Euro und eine Steigerung auf 55 Euro bis 2025 heraushandeln können.

Aber jetzt wollen die Grünen einen noch höheren CO2-Preis.

Eigentlich nicht. Sie haben nur vorgeschlagen, den für 2025 bereits festgelegten CO2-Preis um zwei Jahre vorzuziehen – auf 2023. Und die Einnahmen sollten über ein sogenanntes Energiegeld pro Kopf an die Bürger zurückverteilt werden – so wie in der Schweiz mit der Klimaprämie.

Davon profitieren vor allem Haushalte mit geringem Einkommen und energiesparende Konsumenten. Insgesamt ein sehr moderater Vorschlag.

Trotzdem sind CDU und SPD über die Grünen hergefallen. Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken sprach von einem "Bärendienst für die Umwelt", Beschlüssen aus dem "Elfenbeinturm" und besonderer Belastung der Haushalte mit geringem Einkommen.

So eine verlogene Debatte habe ich noch nie erlebt.

Aber die Flutkatastrophe könnte nun doch zum Gamechanger der Bundestagswahl werden.

Das müsste eigentlich so sein, aber auch hier zweifle ich zunehmend. Unionskandidat Armin Laschet verfolgt offensichtlich die Strategie, die bis jetzt schon lasche Klimaschutzpolitik noch lascher erscheinen zu lassen, vermeidet jegliche konkrete Ankündigung.

Zur Höhe der CO2-Preise sagt er konkret: nichts. Zum Ausbau der erneuerbaren Energien sagt er konkret: nichts.

Auf die 19 Klimaschutzvorschläge der überparteilichen Initiative "Wählbar 2021" haben viele Abgeordnete und Kandidaten von SPD, Grünen und FDP geantwortet, die von der CDU dagegen überwiegend nicht.

Kann die CDU das bis zur Wahl durchhalten? Wird es nicht zumindest in den von der Flutkatastrophe betroffenen Regionen einen Politikwandel geben?

Schwer zu sagen. Die Flutkatastrophe schreit ja geradezu nach einer Verschärfung des Klimaschutzes.

Andererseits sind es nur noch wenige Wochen bis zur Bundestagswahl, und die vielen Betroffenen der Flutkatastrophe müssen jetzt Verwandte oder Freunde beerdigen und betrauern, Wohnung suchen, Häuser wiederaufbauen oder renovieren, mit der kaputten Infrastruktur fertig werden, für eine schnelle Wiederherstellung der Wasserversorgung und Abwasserreinigung kämpfen.

Und da ist verständlicherweise wenig Zeit für detailliertes Hinterfragen von CO2-Tricksereien.

Aber es kommt ja auf alle Wähler an.

Natürlich, und da ist doch überraschend, dass die Bürger zwar mehrheitlich höhere CO2-Preis fordern, aber die damit verbundene Preiserhöhung für Benzin und Diesel ablehnen.

Eine Erhöhung um 16 Cent pro Liter klingt nach viel. Aber zwischen 2012 und 2016 schwankten die Dieselpreise am Markt beispielsweise um 53 Cent, ohne großes Aufsehen zu erregen.

Im Übrigen können viele die 16 Cent locker wegsparen. Wenn man beispielsweise moderat fährt, wie es auch der ADAC empfiehlt, spart man im Schnitt einen Liter Sprit pro 100 Kilometer.

Vor zwei Jahren sah es so aus, als würde Fridays for Future die Wahl entscheiden. Und nun?

Die Bewegung ist durch Corona quasi auf Eis gelegt worden. Sie wird jetzt wieder initiativ, zum Beispiel mit den großen Raddemonstrationen an Freitagen.

Letztlich hängt es von Fridays for Future und den Umwelt- und Sozialorganisationen ab, ob sie es in den nächsten Wochen schaffen, dass die Parteien sich zu Klimaschutz und CO2-Preise ehrlich und konkret äußern.

Die Bundestagswahl am Sonntag, dem 26. September, wird auf jeden Fall zur Schicksalswahl im Klimaschutz. Ich hoffe auf einen Sunday for Future.

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