Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz hinter Pulten stehend in der TV-Diskussion.
Statt ein paar oberflächlicher Fragen wie hier bei RTL braucht es ein "Klima-Triell", meint Claudia Kemfert. (Foto: Jörg Carstensen/​n‑tv)

Stell dir vor, es ist Klimawahl, aber keiner stellt die entscheidenden Fragen. Es gäbe viele, aber zwei sind unausweichlich.

Die erste: Ist Ihnen bewusst, dass Deutschland sich schon 2015 in Paris verpflichtet hat, seine Treibhausgasemissionen bis 2035 auf null zu senken?

Und die zweite: Was werden Sie in den nächsten vier Jahren tun, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten?

Denn wer diese beiden Fragen nicht klar und entschlossen beantwortet, macht alle anderen Fragen hinfällig. Leider wurden sie in der gerade beginnenden heißen Schlussphase des Wahlkampfes noch nirgends gestellt.

Zwar geht es glücklicherweise endlich auch um wichtige Sachthemen. Doch schon die erste große TV-Debatte mit den drei Spitzenkandidat:innen – neudeutsch "Triell" – offenbarte schonungslos, dass noch immer rückwärts statt vorwärts gedacht und gestritten wird.

Das Thema Klimaschutz reduzierte sich auf zwei Fragen: Was wollen Sie verbieten? Was müssen wir den Menschen zumuten? Ein strenger Lehrer alter Schule würde dazu sagen: "Thema verfehlt, setzen, sechs." Denn solche Fragen sind unzureichend und irreführend.

Nein, Klimaschutz tut nicht weh. Sondern das Unterlassen von Klimaschutz tut weh, wie die Menschen im überfluteten Ahrtal oder in den brennenden Regionen Südeuropas gerade sehr brutal lernen müssen. Und vernünftige und demokratisch ausgehandelte staatliche Ordnungspolitik ist keine Diktatur, sondern das A und O des Rechtsstaates.

Es geht ums Ermöglichen, nicht ums Verbieten

Die fehlenden oder falschen Fragen sind Teil des Problems, warum wir in den letzten 15 Jahre wider besseres Wissen derart unzureichenden Klimaschutz betrieben haben. Routiniert antworteten beim "Triell" beide Kandidaten der jetzigen Regierungsparteien, verbieten und zumuten wolle man selbstverständlich gar nichts.

Die Angst vor dem nölenden Wähler führt zur Tatenlosigkeit. Doch Nichtstun ist kein Regierungsauftrag. So blieb es der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vorbehalten, dem Publikum zu erklären, wie zukunftsorientierte Politik aussehen kann und muss.

Porträtaufnahme von Claudia Kemfert.
Foto: Oliver Betke

Claudia Kemfert

leitet den Energie- und Umwelt­bereich am Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung (DIW). Seit 2016 ist sie Mitglied im Sach­verständigen­rat für Umwelt­fragen, der die Bundes­regierung berät. In Beiräten und Kommissionen ist sie unter anderem für die EU-Kommission und für Forschungs­institute tätig. Sie ist Heraus­geber­rats­mitglied von Klimareporter°.

Wer es wissen will, weiß: Es geht nicht ums Verbieten, es geht ums Ermöglichen. Um die Möglichkeiten, auch in der Zukunft auf einem bewohnbaren Planeten zu wohnen, nachhaltigen Wohlstand zu schaffen und den Frieden der Gesellschaften zu sichern. Kluger Klimaschutz kann das.

Klimawandel kostet Geld, Klimaschutz spart Geld. Es ist das Einmaleins politischen Unternehmertums: Jeder Euro, den wir jetzt investieren, spart 15 Euro Klimaschäden ein. Klimaschutz zahlt sich aus. Es sind Investitionen in enorme wirtschaftliche Chancen.

Leider steht für manche Medien der einschläfernde Unterhaltungswert alter Schlager offenbar über dem aufregenden Thrill neuer Ideen. Oder haben sie wirklich nicht verstanden, wie ernst die Lage ist? Es sind nicht die Energie-, Gebäude- und Verkehrswende, die uns Verzicht und Verbote abverlangen werden, sondern die immer teurere Anpassung an den ungebremsten Klimawandel.

Doch die Verdrängung von Problemen funktioniert nicht mehr. Die kommenden Krisen sind hausgemacht. Die Welt heizt sich kontinuierlich auf. Politik muss handeln. Es ist nicht mehr die Frage, ob, sondern nur noch, wie wir den menschengemachten Klimawandel endlich bremsen.

Einige garantiert gesprächsanregende Fragen

In den USA mussten sich in der Vorwahlzeit alle Kandidat:innen zur besten Sendezeit zwei Stunden zu einem spezifischen Thema grillen lassen. Wir haben noch zwei deutsche Wahl-"Trielle" vor uns. Wie wär's mit einer Spezialrunde zum Thema Klimaschutz? Sie hätte nicht nur Aufklärungs-, sondern auch höchsten Unterhaltungswert.

Hier ein paar Ideen für den garantiert gesprächsanregenden Fragenkatalog:

Die Einhaltung der Pariser Klimabeschlüsse erfordert laut Wissenschaft einen Kohleausstieg bis 2030 und eine Verdreifachung des Ausbautempos erneuerbarer Energien. Wie werden Sie dies umsetzen?

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrates in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Warum wurden bisher die Klimaziele verfehlt? Warum ist es unter der jetzigen Regierung nicht gelungen, die Emissionen ausreichend zu senken?

Warum investieren Sie in neue fossile Infrastrukturen wie die Erdgas-Pipeline nach Russland?

Um nach dem reinen Marktprinzip ausreichend Emissionen zu senken, müsste – wie Studien belegen – der CO2-Preis statt bei 25 Euro bei mindestens 150 Euro pro Tonne CO2 liegen. Werden Sie diesen Preis einführen? Wenn nein, warum nicht?

Wie und in welchen Teilschritten wollen Sie die Emissionen im Verkehrssektor reduzieren? Wann berufen Sie statt des nächsten Autogipfels den ersten Mobilitätsgipfel ein?

Was sind Ihre Ideen für die Emissionsminderung im Gebäudesektor? Welche sektorenübergreifenden Klimaschutz-Maßnahmen planen Sie? Was werden Sie in den ersten 100 Tagen tun, um endlich die entscheidenden Weichen zu stellen?

"Wer nicht fragt, bleibt dumm", lernt jedes Kind singend mit der Sesamstraße. "Tausend tolle Sachen gibt es überall zu sehen. Manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen." Das gilt auch für den Klimaschutz. Es ist höchste Zeit, die richtigen Fragen zu stellen. Man muss sich nur trauen.

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