Klimareporter°: Herr Blankenburg, Hand aufs Herz: Glauben Sie, dass Deutschland seine Klimaziele in den wichtigen Bereichen Gebäude und Verkehr noch erreichen kann, ohne die die Klimaneutralität bis 2045 nicht erreichbar ist? Der Expertenrat für Klimafragen hat jüngst kritisiert, dass in diesen Sektoren gewaltig nachgesteuert werden muss.
Jakob Blankenburg: Erstmal stelle ich fest: Der Expertenrat attestiert, Deutschland hat 2024 sein im Klimaschutzgesetz fixiertes Emissionsbudget eingehalten. Wir sind bisher also auf gutem Kurs. Aber, richtig, die Sektoren Gebäude und Verkehr haben zum wiederholten Mal die Emissionsmengen überschritten.
Das muss uns in der Tat alarmieren. Ich glaube aber, wenn wir jetzt konsequent nachsteuern, können wir die Klimaziele in diesen Sektoren noch erreichen.
Aber Ihre Koalition will das Heizungsgesetz abschaffen, das die SPD in der Ampel-Regierung mitbeschlossen hat. Wie wollen Sie dann erreichen, dass die Hauseigentümer auf Öko-Heizungen umsteigen?
Das Gebäudegesetz wurde ursprünglich bereits 2020, also noch unter CDU-Kanzlerin Merkel, beschlossen, und wir haben es in der Ampel nur novelliert. Diese Neufassung soll abgeschafft werden, weil die Union das so im Wahlkampf versprochen hat.
Allerdings wird ein neues Gesetz auf den Weg gebracht werden, das de facto ähnliche Ziele beinhaltet – allerdings einfacher und flexibler gestaltet. Zu Deutsch: Wir reformieren das Gesetz und machen es sogar noch besser.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche von der CDU hat aber angekündigt, dass sogar Gasheizungen, die noch älter als 30 Jahre sind, künftig weiterlaufen dürfen. Ist das denn der richtige Weg?
Nein. Das ist eine interessante Privatmeinung der Ministerin. Dass wir die nächsten Jahrzehnte noch sehr alte Gasheizungen weiter betreiben, halte ich für ausgeschlossen – schon, um die Menschen vor der Falle steigender CO2-Preise zu schützen.
Wir müssen eine Perspektive eröffnen, die fossilfrei ist. Es geht darum, die kommunale Wärmeplanung weiter zu stärken, damit wir den Menschen ganz klar sagen können, hier, bei euch in der Straße, kommt ein Wärmenetz, oder aber ihr könnt auf eine bezuschusste Wärmepumpe umstellen.
Aktuell gibt es bis zu 70 Prozent Zuschuss bei der Heizungsumstellung, so bei Wärmepumpen. Fällt das nun weg?
Wir halten grundsätzlich daran fest, den Heizungsumstieg, etwa auf Wärmepumpen, zu fördern. Die zuständigen Ministerien werden dazu bald einen Vorschlag machen. Der wird nicht hinter den bisherigen Stand der Förderung zurückfallen können. Änderungen wird es allerdings geben, um ärmere Haushalte besser zu unterstützen.

Ist denn überhaupt genug Geld da für die Förderung? Wollen Sie dafür das neue Sondervermögen für die Infrastruktur anzapfen?
Es ist genug Geld da. Wir haben im Koalitionsvertrag fest verankert, dass die Mittel aus der Bepreisung von CO2 auch in solche Förderinstrumente fließen.
Wichtig: Die CO2-Bepreisung ist keine versteckte Steuer, das Geld fließt wieder an die Bürgerinnen und Bürger zurück, etwa durch sozial gestaffelte Entlastungen und Fördermaßnahmen.
Zum Thema E‑Mobilität. Was ist Ihr Konzept, um dem E‑Auto zum Durchbruch zu verhelfen? Es wird ja aktuell wieder besser verkauft, aber das reicht bei Weitem noch nicht, um die 15 Millionen E‑Autos zu erreichen, die für 2030 angepeilt waren.
Beim Hochlauf der E‑Mobilität setzen wir auf zwei Dinge.
Erstens: starke Kaufanreize setzen. Es braucht neben den E‑Auto-Sonderabschreibungen für Unternehmen, die Finanzminister Klingbeil vorgestellt hat, Lösungen für Privatleute, die sich eben kein E‑Auto für 100.000 Euro leisten können. Ich plädiere für ein Social-Leasing-Programm für einkommensschwächere Gruppen wie in Frankreich – gerade für kleinere, kompakte E‑Autos. Hier müssen aber auch die deutschen Hersteller liefern, die bisher vor allem auf große Wagen gesetzt haben.
Zudem müssen wir die Lade-Infrastruktur noch deutlich verbessern. Ich bin selbst E‑Auto-Fahrer, ich weiß, das nutzerfreundliche Schnellladenetz ist noch nicht überall so weit ausgebaut, wie es nötig ist. Und der Strom dort muss auch billiger werden.
Wie steht es mit den E‑Fuels, die Ihre Koalition weiter im Rennen halten will?
E‑Fuels werden im Pkw-Verkehr keine große Rolle spielen. Sie werden gebraucht, wo mittelfristig keine anderen Alternativen bestehen, vor allem im Flug- und im Lkw-Verkehr.
Die Pkw-Hersteller haben sich auf E‑Autos ausgerichtet, sie haben dafür viele Milliarden investiert. Sie brauchen Sicherheit und sind wohl kaum begeistert, wenn wir sagen, sie sollen jetzt vier Produktionsstraßen fahren – eine für Verbrenner, eine für E‑Autos, eine für E‑Fuels und eine für Wasserstoff. Das macht keinen Sinn. Wir brauchen Klarheit, und das bedeutet: Im Individualverkehr ist es das E‑Auto.
Also ist es Unsinn, das Verbrennerverbot der EU zu kippen, wie es die Union will?
Das ist eine ideologisch aufgeladene Debatte. Wir müssen uns das nüchtern anschauen. Dann stellen wir fest: Es macht keinen Sinn, den Pfad Richtung E‑Autos wieder zu verlassen, den wir eingeschlagen haben.
Die Verkehrswende ist mehr als nur E‑Autos. Was sind da Ihre Ambitionen?
Alle Menschen in Deutschland sollen die Möglichkeit bekommen, auf klimaneutrale Mobilität umzusteigen. Die Verkehrswende ist auch eine große Teilhabechance. Wir brauchen dazu einen attraktiven Nahverkehr mit mehr Investitionen in neue Strecken und einen Ausbau des Schienennetzes. Mittel dafür stellen wir auf Bundesebene zur Verfügung, aber hier sind insbesondere die Bundesländer in der Pflicht.
Jakob Blankenburg
ist direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter für Lüchow-Dannenberg und Lüneburg. Politisch aktiv wurde er durch sein Engagement in einer Bürgerinitiative gegen Fracking in seiner Heimat. Er war von 2017 bis 2021 Landesvorsitzender der Jusos in Niedersachsen. Seit 2021 gehört er dem Bundestag an, seit 2025 ist er umwelt- und klimapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
Beim Radverkehr wiederum müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam dafür sorgen, dass eine sichere Infrastruktur gebaut wird. Dabei geht es nicht nur um Radwege, sondern auch um Fahrrad-Parkhäuser oder die Verknüpfung mit Bahn und Bus. Man muss bequem mit dem Rad zum Bahnhof oder zur Busstation fahren können, das Rad dort sicher abstellen und umsteigen können.
Mobilität ist für viele auch eine Geldfrage ...
Deswegen müssen wir vor allen Dingen einen attraktiven Preis für das Deutschlandticket erhalten, am besten sozial gestaffelt. Die 58 Euro, die es heute im Monat kostet, sind nicht für alle bezahlbar. Preiswertere Sozial- und Seniorentickets, wie es sie bereits in einigen Bundesländern gibt, müssen bundesweit eingeführt werden.
Herr Blankenburg, während Ihrer Regierungszeit wird der CO2-Preis für Sprit und Heizenergie vermutlich stark ansteigen, weil er sich ab 2027 im Rahmen des EU-Emissionshandels frei bilden wird. Haben Sie keine Angst vor einer neuen "Benzinwut"?
Wir müssen erst einmal sehen, wie hoch der Preis überhaupt steigen wird. Ich habe die Horrorszenarien dazu gelesen, die gerne von der Bild-Zeitung und anderen Medien verbreitet werden. Es gibt auch andere Statistiken, wonach der CO2-Preis für Deutschland sogar etwas sinken kann.
An dem Plan zur Einführung eines einheitlichen Preises für CO2 in Europa für Sprit und Heizenergie sollten wir festhalten, weil es sonst ein Wettbewerbsnachteil für uns ist. Allerdings kann der CO2-Preis auch nicht die alleinige Lösung sein, er muss flankiert werden mit einem sozialen Ausgleich und klaren Regeln.
Wollen Sie den CO2-Preis deckeln, wenn er doch stark steigt?
Eine Deckelung müsste man auf der EU-Ebene einführen. Sonst heißt es wieder, das reiche Deutschland federt die CO2-Bepreisung ab, während das andere Länder nicht tun können. Das wäre der Sargnagel für dieses gesamteuropäische Projekt.
Für Deutschland haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir CO2-Preissprünge abfedern wollen und die Einnahmen über sozial gestaffelte Entlastungen zurückgeben wollen.
Ihre Koalition will aber kein Klimageld einführen, sondern den Strompreis heruntersubventionieren. Das nutzt vor allem gut situierten Menschen mit hohem Verbrauch. Wo bleibt da der soziale Ausgleich für die breite Bevölkerung?
Der Strompreis ist ein Instrument, um schnell zu agieren. Zudem sind ja auch Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen von hohen Strompreisen betroffen. Sie können ihren Verbrauch nicht einfach senken, etwa durch Kauf sparsamer Haushaltsgeräte, und geraten daher schnell in finanzielle Schwierigkeiten.
Und die Stromverbilligung ist ja auch nicht das einzige Instrument. Wir haben, wie gesagt, einen ganzen Koffer an Werkzeugen, um die Menschen beim Umstieg auf emissionsfreies Heizen und Mobilität zu unterstützen. Wenn wir das tun, hilft es viel mehr, als wenn wir jetzt mit der Gießkanne Geld verteilen und am Ende die Kosten, die mit der Transformation verbunden sind, dann doch nicht komplett abgefedert werden.
Aber die Strompreis-Verbilligung wirkt ja gerade wie eine Gießkanne. Wer seine Heimsauna mit Strom betreibt, bekommt auch Unterstützung. Das ist ja nicht im Sinn des Erfinders, oder?
Deshalb ist es ja nur ein Werkzeug von vielen. Die Koalition hat verabredet, in weiteren Schritten auf die soziale Entlastung zu achten. Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch hinbekommen.
Viel öffentliches Geld wird nach den Plänen von Ministerin Reiche in den Neubau von bis zu 20.000 Megawatt an Gaskraftwerken fließen, die bei wenig Solar- und Windstrom helfen sollen. Viele Fachleute sagen, das ist völlig überdimensioniert. Könnte die Regierung hier nicht viel einsparen und das Geld sinnvoller für die Transformation einsetzen, wie von Ihnen eben beschrieben?
Die 20.000 Megawatt sind die Obergrenze. Das ist kein Blankoscheck, mit einer solchen Vorgabe voranzupreschen. Die tatsächliche Menge muss gut begründet sein. Es ist wichtig, dass es keine Lock‑in-Effekte gibt, und dass wir Erdgas nicht länger als notwendig nutzen. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, zumal die EU-Kommission auch Bedenken angemeldet hat.
Die Bundesregierung will auch die Entwicklung von Kernfusionskraftwerken stark fördern. Ist das eine realistische Perspektive für die Energiewende? Oder ein milliardenteures Luftschloss?
Deutschland ist ein Land von Forschung und Innovation, und so verschließen wir uns keiner Technologie. Aber wenn wir unsere aktuellen energiepolitischen Herausforderungen lösen wollen, müssen wir das mit heute verfügbaren Technologien tun. Wir können nicht darauf setzen, dass irgendwann einmal der Eisbrecher kommt, der alle Probleme wegräumt.
Letzte Frage. Viele Bürger haben das Gefühl, dass Klimaschutz vor allem Belastung bedeutet. Was ist Ihre Vision eines klimaneutralen Deutschlands, bei der die Menschen sagen: Das ist es wert?
Viele Menschen denken beim Thema Klimaschutz erst mal an Verbote, an steigende Preise und an persönliche Einschränkungen. Für mich heißt Klimaneutralität aber mehr Lebensqualität und wirtschaftliche Sicherheit.
Ein klimaneutrales Deutschland im Jahr 2045 bedeutet für mich, ich wohne in einer Wohnung, die dank grüner Fernwärme oder einer Wärmepumpe bezahlbar beheizt wird. Und der Arbeitsweg, ob in der Stadt oder auf dem Land, ist einfach zu absolvieren. Entweder per Fahrrad auf sicheren Radwegen, mit einem bezahlbaren Deutschlandticket im Bus oder in der Bahn oder mit einem günstigen Elektroauto, das an der öffentlichen Ladesäule Ökostrom lädt.