Sylvia Kotting-Uhl spricht inmitten von Zuhörern sitzend ins Mikro und blickt ernst und konzentriert.
Eine der wichtigsten Umweltpolitiker:innen der Grünen verlässt den Bundestag: Sylvia Kotting-Uhl, hier bei einem Vortrag im Nationalen Begleitgremium zur Endlagersuche. (Foto: Screenshot/​NBG)

Klimareporter°: Frau Kotting-Uhl, anlässlich der Flutkatastrophe fordern die Grünen, dass die Abgeordneten des Bundestages zu Sondersitzungen zusammenkommen. Soll es da nur um die Fluthilfe gehen oder auch darum, wie Deutschland sich besser gegen den Klimawandel wappnet?

Sylvia Kotting-Uhl: Wir fordern Sondersitzungen von Ausschüssen, sodass die unterschiedlichen Themenbereiche ihren Raum bekommen.

Eine Sondersitzung für den Umweltausschuss habe ich beim Präsidenten bereits beantragt. Dort wird es dann um die beiden Strategien gegen den Klimawandel gehen – mitigation und adaptation, also CO2-Verminderung und Anpassung. Über beides wird zu sprechen sein.

Sie haben in Ihrer Zeit als Abgeordnete schon 2013 eine ähnliche Jahrhundertflut in Mitteleuropa erlebt. Hat Deutschland seitdem dazugelernt, was Wetterextreme und Klimapassung angeht, oder diskutieren wir immer noch über die gleichen Fragen: Böden entsiegeln, den Flüssen mehr Raum geben, "Schwammstädte" schaffen und was sonst noch an Schlagworten kursiert?

Leider ist der Faktor des Leidensdrucks ein nicht zu unterschätzender. Der war bisher offenbar nicht groß genug. Nun, nach einem verheerenden Starkregenereignis mit über 170 zu beklagenden Toten, wird der Wille, Klimaschutz zu betreiben, ein anderer sein.

Bei einer grünen Regierungsbeteiligung im Bund nach der Wahl hätte die Vorsitzende des Umweltausschusses nach üblichem Verständnis Zugriffsrecht auf das Umweltministerium. Sie treten dennoch zur Bundestagswahl nicht mehr an. Warum?

Dazu ist mehreres zu sagen. Erstens ist es fraglich, ob bei uns Grünen ich das Zugriffsrecht hätte. Umwelt ist bei uns ja das ganz hochrangige Thema. Auf das Ministerium haben ganz andere schon ein Auge geworfen.

Ich hätte zweitens auch bereits Ministerin werden können, wenn das mein Lebensziel wäre: 2011 in Baden-Württemberg. Ich wollte das damals nicht, weil ich hier im Bundestag die Suche nach einem Atomendlager auf den Weg bringen wollte. Das ist auch gelungen.

Und daraus resultiert der dritte Aspekt: Tatsächlich hatte ich das Erfolgserlebnis des Gestaltenkönnens auch in der Opposition. Ich hatte das Glück, zwei Gesetze maßgeblich mitgestalten zu können. Zum einen, wie erwähnt, das Standortauswahlgesetz und zum anderen die Lex Asse. Beide habe ich im Bundestag initiiert.

Sonst ist es das Los von Opposition, die Regierung höchstens vor sich hertreiben zu können.

In der Tat. Das Gefühl, wenn das Parlament eigene Gesetzesinitiativen beschließt, ist ein gutes. Das durfte ich erleben.

Nicht zuletzt hatte ich schon zu Beginn der Legislaturperiode – als vom Vorsitz des Umweltausschusses noch gar nicht die Rede war – beschlossen und das auch meinem Kreisvorstand gesagt, dass dies meine letzte Wahlperiode sein wird. Damals war ich 64 und dachte: In vier Jahren ist es wirklich gut.

Abgeordnete zu sein beansprucht einen stark. Ich will jetzt noch Zeit zum Leben haben.

Als Sie vor 16 Jahren in den Bundestag gewählt wurden, war an einen Atomausstieg 2022, einen Kohleausstieg 2038 und ein klimaneutrales Deutschland 2045 nicht im Entferntesten zu denken. Inzwischen ist das alles beschlossen. Können Sie da mit Ihrer politischen Bilanz im Bundestag nicht zufrieden sein?

2005 kam ich in den Bundestag, als die Grünen gerade aus der Regierung fielen und auf die Oppositionsbänke verbannt wurden. Es sah da wirklich nicht so aus, als könnte umweltpolitisch einiges erreicht werden.

Sylvia Kotting-Uhl

ist seit 1989 Mitglied der Grünen, kam 2005 in den Bundestag, war umwelt- und atom­politische Sprecherin ihrer Fraktion und wurde unter anderem mit dem Gesetz zur Standort­suche für ein Atom­endlager bundesweit bekannt. Seit 2018 ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Natur­schutz und nukleare Sicherheit. Nach der Wahl schließt die gebürtige Karlsruherin mit dem Lebens­kapitel Bundestag ab.

Aus Umweltsicht ist das Erreichte natürlich viel zu wenig und es geht viel zu langsam voran. Das ist klar.

Aber jetzt sind dennoch ganz entscheidende Wege geöffnet: dass wir ein Kohleausstiegsgesetz haben, das so heißt, auch wenn es nicht reicht; dass wir ein Klimaschutzgesetz haben, das so heißt, auch wenn es nicht reicht – das sind erste Schritte, die damals nicht absehbar waren.

Das war auch geprägt von der Situation, dass man an der Notwendigkeit von Klimaschutz nun nicht mehr vorbeischauen kann. Im Rückblick war es ja weniger so, dass wir durch das ständige Wiederholen der Argumente überzeugt haben, sondern es war die reale Situation, die überzeugt hat. Und die Jugend auf der Straße hat überzeugt.

Es ist beruhigend zu wissen, dass jetzt ein Bewusstsein da ist, was getan werden muss. Ich bin schon ein paar Mal gefragt worden, ob es nicht schade ist jetzt zu gehen, wo die Grünen erfolgreich sind und wahrscheinlich in die Regierung gehen.

Ja, ich frage das auch.

Nein, es ist viel leichter und schöner, in dem Moment zu gehen, wo der Laden gut dasteht und ich das Gefühl habe, mein Beitrag war auch ein Puzzleteilchen in dem Gefüge.

Vielleicht ist jetzt wirklich der schönste Moment. Deutschland muss in den nächsten Jahren seine jährliche CO2-Reduktion in etwa verdoppeln. Ohne einen Kohleausstieg bis 2030 und ein Verbrennerverbot ist das nicht zu schaffen, sagen viele Experten. Die klimapolitische Auseinandersetzung wird sich in den nächsten Jahren doch deutlich verschärfen?

Das ist so, aber kluge Politik kann das auch weitgehend abmildern. Ich sehe vor allem zwei Stränge, wo Politik handeln muss: Der eine sind die Auseinandersetzungen mit der Wirtschaft, der andere sind die sozialen Verwerfungen, die entstehen können.

Gegenüber der Wirtschaft ist viele Jahre absolut falsch gehandelt worden. Mit den Ausnahmen bei der EEG-Umlage und aktuell bei der CO2-Bepreisung sind gerade große Konzerne immer bevorteilt worden, viel mehr als der Mittelstand oder gar Selbstständige.

Den Großen wurde immer signalisiert: "Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, ihr müsst euch nicht umstellen" – aber gerade die müssen sich umstellen: die Autokonzerne, die Chemie- und die Stahlindustrie. Das sind die großen CO2-Emittenten.

Das wird schmerzhaft und an bestimmten Stellen Arbeitsplätze kosten. Das ist auch schmerzhaft für die Menschen, die diese Arbeitsplätze innehaben. Deshalb muss man rechtzeitig dafür sorgen, dass Alternativen entstehen. Das ist viel zu lange versäumt worden.

Einem Autokonzern ist auch ehrlicherweise klarzumachen: Ihr werdet auf Dauer nicht damit rechnen können, dass auf unseren Straßen 40 Millionen private Autos fahren – auch nicht, wenn das 40 Millionen E-Fahrzeuge sind.

Das hält das Klima, das hält die Umwelt nicht aus. Das wird nicht so weitergehen. Da muss man ehrlich sein.

In dem Zusammenhang entdecken Ihre politischen Gegner gerade ihr Herz für die Mobilität der kleinen Leute. Die Linke entdeckt, wahlpolitisch zu ihr passend, die alleinstehende Krankenschwester mit Ölheizung auf dem flachen Land in Mecklenburg, die auf ihren alten Diesel nicht verzichten kann.

Die SPD entdeckt, wahlpolitisch wiederum zu ihr passend, das Doppelverdiener-Paar mit ölgeheiztem Haus nahe einer Metropole, die beide zu verschiedenen Zeiten pendeln müssen und jeder also ein Diesel-Auto braucht. So viel platten Populismus hatte ich nicht erwartet.

Dass Dinge populistisch instrumentalisiert werden, damit ist leider immer zu rechnen. Auch die FDP entdeckt als Objekt ihrer Politik auf einmal die Menschen mit den kleinen Einkommen und die Hartz-IV-Empfänger. Das ist dann schon ein Treppenwitz.

So funktioniert Politik oft: Wo findet sich ein Argument, dass das entkräftet, was ich nicht möchte, oder das stärkt, was ich möchte? Woher das Argument kommt, ist oft ziemlich egal.

Das ist eine Art von Politik, die mich schon immer sehr gestört hat. Auch wir Grünen sind nicht frei davon.

In Reinkultur wird diese Politik von der AfD vorgeführt. Denen ist ganz egal, ob das, was sie vortragen und verlangen, zusammenpasst und ein stimmiges Bild gibt. Ihr Ziel ist immer der populistische Höchstwert.

Aber auch nach der Lesart von Parteien des demokratischen Spektrums zahlen beim Klimaschutz der Grünen die Menschen drauf.

Uns Grünen wird ja oft vorgehalten, der soziale Aspekt sei uns egal und den Klimaschutz würden die Leute mit den kleinen Einkommen bezahlen. Das ist falsch.

Die Einzigen, die ein Konzept mit Lenkungswirkung und sozialem Ausgleich vorgelegt haben, sind die Grünen. Das geht mit Rückgabe der CO2-Abgabe, und zwar pro Kopf. Davon profitieren die mit geringem Einkommen, die zwangsläufig auch den geringeren CO2-Fußabdruck haben.

Sicher kann man fragen: Was sind 75 Euro im Jahr schon? Aber für eine vierköpfige Familie sind es dann schon 280 Euro. Das ist garantiert mehr, als die Familie beim CO2-Preis bezahlt.

Bezahlen werden diejenigen, die einen Lebensstil mit sehr großem CO2-Ausstoß haben. Das ist auch richtig so. Wir müssen mit dem CO2-Preis doch irgendwie lenken und nicht per Pendlerpauschale und Ähnlichem allen alles zurückgeben.

Der CO2-Preis steckt tatsächlich in einem Dilemma. Über eine Rückgabe der Einnahmen kann die Belastung gemindert werden und Familien haben sogar ein Plus – am Ende soll aber eine Lenkungswirkung stehen. Ein Weiter-so in Grün hat eben auch keine Zukunft. Es muss überall weniger werden – weniger Mobilität, weniger Konsum, weniger betonierte Landschaft. Wie bekommt man diese soziale Gratwanderung hin?

Das Problem ist richtig beschrieben. Der darin mitschwingende Anspruch, dass der Klimaschutz eine verfehlte Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ausgleichen soll, ist aber falsch. Das kann der Klimaschutz nicht leisten.

Klimaschutz ist notwendig. Den kann man abfedern, zum Beispiel durch eine Rückgabe der CO2-Einnahmen und durch eine Förderung klimagerechten Verhaltens. Diese Vorschläge gibt es auch schon. All das kann aber nötige bessere Politik im sozialen Bereich nicht ersetzen.

 

Wir brauchen einen höheren Mindestlohn und müssen wegkommen von prekärer Beschäftigung. Die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt wird ja immer größer zwischen denen, die finanziell nicht auskommen mit ihrer Arbeit, und anderen, die so viel verdienen, wie man mit anständiger Arbeit gar nicht verdienen kann.

Wir müssen generell umsteuern, im Sozialen, im Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft. Das kann nicht dem Klimaschutz aufgebürdet werden.

Lesen Sie hier Teil 2: "Bei Gabriel und Altmaier war der Umweltgedanke weg, als sie Wirtschaftsminister wurden"

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