Seit dem Beschluss des Koalitionsausschusses zum Klimaschutzprogramm 2030 schlagen die Wogen hoch. Kaum ein Thema weckt mehr Emotionen als der Klimaschutz.
Das ist auch gut und richtig, denn schließlich geht es um die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten.
Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass wir jetzt eine Versachlichung der Debatte brauchen. Denn die Einigung beim Klimaschutzpaket ist nicht das Ende, sondern die Grundlage für einen ökologischen Umbau unserer Gesellschaft.
Und um nicht weniger geht es. Für die SPD hätte es schon jetzt ambitionierter sein können, aber es ist ein guter Anfang für das Klima gemacht.
Ein Klimaschutzgesetz ist lange überfällig. Die SPD hat den ersten Gesetzesvorschlag dafür bereits 2010 vorgelegt. Es wird Zeit, dass der Deutsche Bundestag das Klimaschutzgesetz in den nächsten Wochen intensiv berät und beschließt.
Dabei wird es auch um das Erreichen der verbindlichen Klimaschutzziele der Europäischen Union für Deutschland im Bereich Verkehr, Gebäude, Handel, Dienstleistungen, Abfall, Landwirtschaft und Landnutzung gehen.
Es ist peinlich, dass Deutschland in diesen Sektoren seine Ziele verfehlt und Verschmutzungsrechte bei anderen EU-Staaten kaufen muss. In nächster Konsequenz droht sogar ein Vertragsverletzungsverfahren der EU.
Klaus Mindrup
Der studierte Biologe und SPD-Politiker Klaus Mindrup ist seit 2013 Abgeordneter des Bundestages und Mitglied der Ausschüsse für Bauen und für Umwelt. Er tritt für eine rasche, dezentrale, bürgernahe und gerechte Energiewende ein.
Wir brauchen daher dringend einen guten Kontrollmechanismus, wie er nun im Klimaschutzgesetz verankert werden soll. So können bei drohender Zielverfehlung notwendige korrigierende Maßnahmen eingeleitet werden.
Es ist auch gut, dass der Ausbaudeckel für Photovoltaik endlich fällt und dass erneut das in den Koalitionsverhandlungen von der SPD hart erkämpfte 65-Prozent-Ziel für den Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor fixiert wurde.
Sinkender Stromverbrauch?
Zur Erinnerung: Das Energiekonzept der Bundesregierung war bisher von 50 Prozent ausgegangen. Die entscheidende und spannende Frage ist allerdings: 65 Prozent wovon?
Es geht also um den Stromverbrauch in der Zukunft.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hat dazu eine Szenariorechnung veröffentlicht. Trotz sehr ambitionierter Annahmen, was die Effizienzpotenziale bis 2030 angeht, kommt der BEE zu dem eindeutigen Schluss, dass sich der Gesamtstrombedarf von heute 600 Milliarden Kilowattstunden auf dann 740 Milliarden Kilowattstunden erhöhen wird.
Große Treiber sind dabei die Elektromobilität mit 68 Milliarden Kilowattstunden, die Wärmepumpen mit 33 Milliarden und die Power-to-X-Anwendungen mit 105 Milliarden Kilowattstunden.
Dagegen hält das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie an einem völlig unrealistischen Szenario sinkender Stromverbräuche fest, das in der Konsequenz dazu führen wird, dass der Ausbaubedarf für die erneuerbaren Energien und für Speicher viel zu niedrig angesetzt wird. Damit wird sowohl der Klimaschutz als auch der Industriestandort Deutschland gefährdet.
Der Kampf von Teilen der CDU und der CSU gegen die Windkraft an Land lässt sich vor allem dadurch erklären, dass sie an diese fehlerhaften Annahmen glauben.
Das Paradoxe an der Situation ist, dass CDU und CSU immer betonen, wie wichtig der Markt sei. Bei der entscheidenden Zukunftstechnik Windenergie packen sie dagegen das Ordnungsrecht aus.
Dabei kann die Antwort auf die Kritik am Ausbau der Windenergie nur die Forderung nach einer breiten Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in den Regionen sein, unter anderem durch die im Klimakabinett vereinbarte Beteiligung der Standortgemeinden an den generierten Einnahmen.
Denn wenn die Bürgerinnen und Bürger dadurch in ihrer Gemeinde kostengünstiger den ÖPNV nutzen können, die Kindergärten kostenfrei werden oder die Schule saniert werden kann, akzeptieren sie auch eher die Windkraft.
Die EU erlaubt Ausnahmen bei den Ausschreibungen
Aus meiner Sicht muss es aber auch heißen, dass Deutschland die EU-weit geltenden Regelungen für Ausnahmen bei den Ausschreibungen nutzt.
Die EU erlaubt, dass für bis zu sechs Windkraftanlagen mit drei Megawatt keine Ausschreibungen notwendig sind.
Der ehemalige grüne Staatssekretär Rainer Baake, ein klarer Gegner der Bürgerenergie und wesentlich verantwortlich dafür, dass diese Ausnahme nicht genutzt wurde, befindet sich lange im Ruhestand. Es ist daher unverständlich, warum Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hier nicht tätig wird.
Die SPD hält pauschale Abstandsregeln selbstverständlich nicht für notwendig. Daher begrüße ich die Kritik aus zahlreichen Bundesländern mit CDU-Regierungsbeteiligung an dem von Teilen der CDU und der CSU erzwungenen Kompromiss.
Es kommt nun darauf an, im Gesetzgebungsverfahren dafür zu sorgen, dass das sinnvolle und notwendige Ausbauziel bis 2050 von 35.000 Anlagen mit 200.000 Megawatt Nennleistung auf zwei Prozent der Landesfläche nicht gefährdet wird.
Wichtig ist auch, dass laufende planungsrechtliche Verfahren zum Ausbau der Windenergie, wie zum Beispiel in Schleswig-Holstein, zum Abschluss gebracht werden können.
Keine Regelungen für die Höhe von Windkraftanlagen
Daher ist es gut, dass die im Klimaschutzpaket genannten 1.000 Meter eben keine pauschale, überall in Deutschland geltende Abstandsregel werden sollen, sondern dass Länder und Gemeinden nach unten abweichen können und die Standortgemeinden dafür sogar Anreize erhalten.
Zu begrüßen ist, dass – anders als in Bayern und im Koalitionsvertrag von Schleswig-Holstein – keine Regelungen getroffen wurden, die sich auf die Höhe der Windkraftanlagen beziehen. Moderne Windkraftanlagen haben heute eine Nabenhöhe von fast 200 Metern plus rund 70 Meter lange Flügel.
Sie haben den Vorteil, dass sie höhere und gleichmäßigere Erträge liefern. Außerdem wird der Konflikt mit dem Artenschutz deutlich reduziert, da jagende und dadurch abgelenkte Vögel und Fledermäuse in der Regel unterhalb des unteren Scheitelpunktes jagen.
Die völlig unsinnige 10-H-Regelung in Bayern (verkürzt: Windanlagen müssen zu Wohngebäuden einen Mindestabstand vom Zehnfachen ihrer Höhe aufweisen) war nicht zu überwinden, weil die gegenwärtige Landesregierung daran festhält.
Hier können wohl nur ein Regierungswechsel in Bayern, eine eigene Strompreiszone oder ein Aufstand der bayerischen stromintensiven Industrie den notwendigen Wandel auslösen.
Auch ein erhöhter Druck der Umweltverbände auf die wirklichen Blockierer wäre sinnvoll, die in Bayern nicht nur Windkraftanlagen verhindern, sondern auch noch völlig veraltete Dieselzüge auf die Strecke schicken. Modern und ökologisch ist das nicht.
Notwendig ist weiterhin, dass Deutschland endlich und schnell die neuen Regeln der EU für dezentrale Bürgerenergie umsetzt. Das gilt nicht nur für Mieterstrom, sondern auch für die gewerbliche Wirtschaft. Die Zukunft gehört den Prosumern, auch in Erzeugergemeinschaften.
Deutschland hat zwar bis Ende 2020 Zeit, die neuen Regeln in eigenes Recht umzusetzen, aber für Wirtschaft und Umwelt sollte es schneller gehen. Der Beschluss des Klimakabinetts, serielle Sanierungen mit der Erzeugung von erneuerbarem Strom, in diesem Fall Photovoltaik, zu verbinden, weist in die richtige Richtung.
Nur mit einem klaren Ausbaupfad für die erneuerbaren Energien ergibt die im Klimakabinett vereinbarte Wasserstoff-Strategie Sinn. Wir brauchen Wasserstoff als Langzeitspeicher, in der Industrie sowie beim Transport und in den Gebäuden als klimaschonende molekulare Alternative zu den fossilen Brennstoffen.
Trotz Optimierung und Ausbau der Stromnetze brauchen wir dezentrale Wasserstofferzeugung an den Netzknoten. Je schneller sich Deutschland von der Illusion einer zu schaffenden "Kupferplatte" verabschiedet, desto besser. Diese ist schlicht nicht sinnvoll und auch nicht bezahlbar.
Es kommt nicht allein auf den CO2-Preis an
Damit komme ich zur Frage der CO2-Bepreisung. Auch hier werden die wichtigsten Fragen nicht gestellt: Wie unterstützt Deutschland die Bürgerinnen und Bürger bei der Realisierung klimafreundlicher Alternativen?
Steuerliche Anreize für Elektrofahrzeuge sind sicher richtig. Aber wo kommt der Strom dafür her?
Wir müssen den selbst erzeugten Strom, der für E-Mobilität genutzt wird, weitgehend von Abgaben freistellen und die bürokratischen und steuerlichen Blockaden für die dezentrale Stromerzeugung und -speicherung endlich abschaffen. Dies würde gerade im ländlichen Raum die Akzeptanz für Klimaschutz deutlich erhöhen, denn so würde Mobilität klimafreundlich und bezahlbar.
Das gilt auch für den Einsatz von Wärmepumpen, die möglichst mit Photovoltaik und Speichern verbunden werden müssen. Es kommt also nicht allein auf den CO2-Preis an, sondern auf die Kosten und die "Bequemlichkeit" der Alternativen.
Ohnehin nimmt die Bepreisung von CO2 in der Debatte eine viel zu große Rolle ein. Was wäre denn ein wirkungsvoller CO2-Preis, der eine Lenkungswirkung hat? Und welche Konsequenzen hätte er für diejenigen, die sich nicht sofort ein neues Auto oder eine neue Heizung kaufen können?
Ich finde es zielführender, wenn wir die nächsten Jahre Anreize für sinnvolle Investitionen schaffen und somit den Bürgerinnen und Bürgern direkt helfen, sich klimaverträglich zu verhalten.
Dies kann man auch noch an einem anderen Beispiel beleuchten: Es ergibt keinen Sinn, relativ neue fossile Verbrenner vor Ablauf ihrer Lebenszeit zu verschrotten. Denn auch für ihre Herstellung wurde viel Energie aufgewendet.
Neben einem umweltfreundlicheren Fahrverhalten können die Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind, wenig für den Klimaschutz tun, wenn es keine gute Alternative im öffentlichen Personennahverkehr gibt.
Deswegen ist es notwendig, den Anteil erneuerbarer Bestandteile in Benzin und Diesel zu fördern. Hierbei darf es aber nicht um Biomasse gehen, weil deren Potenzial begrenzt ist.
Es geht also um Kraftstoffe, die mittelbar aus erneuerbarem Strom und unmittelbar aus Wasserstoff hergestellt werden. Die entscheidende Frage für den Markthochlauf ist, wie diese versteuert werden. Eine bloße Befreiung von der zukünftigen CO2-Abgabe reicht hier mit Sicherheit nicht aus.
Nicht zehn, sondern 250 Euro
Umgerechnet auf den CO2-Ausstoß beträgt die Besteuerung von Benzin derzeit rund 240 Euro pro Tonne. Wahrscheinlich muss für strombasierte Kraftstoffe diese Steuer völlig entfallen, die Preisdifferenz zur umweltfreundlichen Alternative sind also nicht zehn Euro pro Tonne CO2, sondern 250 Euro. Dann bleibt allerdings noch die Frage zu klären, wie die Straßeninfrastruktur zu finanzieren ist.
Die Diskussion hat gerade erst begonnen. Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, das Klimaschutzziel der EU für 2030 von 40 Prozent auf 50 bis 55 Prozent im Jahr 2030 erhöhen zu wollen.
Dies würde für Deutschland eine Erhöhung der Effort-Sharing-Ziele von 38 Prozent auf 48 Prozent bedeuten.
Es gibt also noch viel zu tun. Und es ist gut, wenn wir dann ein Klimaschutzgesetz mit klaren Mechanismen haben, das uns hilft, schnell die entsprechenden Maßnahmen auf den Weg zu bringen.