Klimareporter°: Herr Hennicke, die künftige Bundesregierung von Union und SPD hat sich 500 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln für die Sanierung der Infrastruktur und den Klimaschutz gesichert. Erlaubt das einen guten Start, um zukunftsfähig zu werden?

Peter Hennicke: Die 500 Milliarden Euro sind vorgesehen für zwölf Jahre, es sind also knapp 42 Milliarden jährlich. Dies ist eine begrüßenswerte Anschubfinanzierung für das notwendige, tatsächlich weit umfassendere Zukunftsinvestitionsprogramm.

Nach allen vorliegenden Studien ist diese Summe nicht ausreichend für einen wirklich großen Sprung in Richtung Klimaneutralität bis 2045 und für den grundsätzlichen sozial-ökologischen Umbau, wie wir ihn zum Beispiel in unserem Buch "Earth for All Deutschland" vorschlagen.

 

Wenn Sie sagen, das Geld ist immer noch knapp – woher können dann die Mittel dafür kommen?

Deutschland braucht erstens eine Reform der Schuldenbremse, nicht nur zur Finanzierung von Verteidigungsausgaben, sondern auch generell für die Abwehr akuter ökologischer und sozialer Risiken und für die sozial-ökologische Transformation hin zu einer "Wohlergehens-Gesellschaft".

Zweitens können und müssen Superreiche weit mehr als bisher zur Finanzierung des Gemeinwohls und des Klima- und Ressourcenschutzes beitragen. Weitsichtige Reiche, organisiert etwa in der NGO Taxmenow, fordern dies schon lange. In einer bedrohlichen Krisenwelt lebt es sich auch als Reicher wenig komfortabel.

Und drittens müssen die jährlich 65 Milliarden Euro an klimaschädlichen Subventionen abgeschafft werden, wie etwa das Dienstwagenprivileg.

Tax the rich? Mit der Union ist das nicht zu machen. Sie hat Steuererhöhungen kategorisch ausgeschlossen.

Das hat die CDU bei der Schuldenbremse auch gesagt, aber gegen geopolitische Realitäten und gegen gesellschaftliche Mehrheiten helfen keine politischen Glaubenssätze. Eine weltweite Meinungsumfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos belegt: In allen G20-Ländern gibt es breite Mehrheiten für Millionärssteuern.

Steuern- und Abgabenentlastung für die, die es wirklich brauchen, und mehr Finanzierungsverantwortung der Superreichen für das Gemeinwohl sind mehrheitsfähig. Und demokratische Parteien halte ich grundsätzlich für lernfähig.

Bild: ​Wuppertal Institut

Peter Hennicke

war bis 2008 Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Der Ökonom war zuvor Professor in Osnabrück und Darmstadt. Er ist Mitglied des Club of Rome und Träger des deutschen und des schwedischen Umwelt­preises. Hennicke ist Koautor des aktuellen Buches "Klima­Gerecht" sowie des Club-of-Rome-Berichts "Earth for All Deutschland" von 2024.

Ist das der Weg, die Besteuerung auf ganz neue Füße zu stellen?

Der übermäßige ökologische Fußabdruck der Superreichen, die massive Vermögensungleichheit und die damit verbundene Sprengkraft für die Demokratie sind so gewaltig angewachsen, dass eine progressive Steuerreform jetzt notwendig ist. Elon Musk ist ja nicht der einzige Systemsprenger.

Eine progressive Vermögens- und Erbschaftssteuer für Hochvermögende zur Förderung gerechter Mobilität, für bezahlbaren Wohnraum und für Bildung, Kranken- und Altenversorgung schafft mehr ausgleichende Gerechtigkeit und immunisiert gegen Demokratieverdrossenheit.

International sind Steueroasen und Anreize für Steuerflucht zu stoppen.

Die Milliardärssteuer, wie sie der G20-Gipfel letztes Jahr in Brasilien empfohlen hat, sollte rasch eingeführt werden. Zwei Prozent Besteuerung des Vermögens von nur 3.000 der weltweit reichsten Milliardäre bringen 250 Milliarden US-Dollar pro Jahr – ein wichtiger Beitrag, um die "Verluste und Schäden" des globalen Südens durch den Klimawandel und Fluchtursachen zumindest etwas einzudämmen.

Zurück zur künftigen Groko Merz. Vor allem die Union, aber auch die SPD setzt darauf, dass der steigende CO2-Preis die Menschen zum Umstieg auf E‑Autos und Öko-Heizungen sowie zur Sanierung der Häuser animieren wird. Geht diese Rechnung auf?

Ökonomen haben lange nur die Steuerungswirkung steigender CO2-Preise betont. Aber gut 40 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über kein Vermögen, um den Umstieg auf Öko-Heizung oder E‑Auto aus eigener Kraft zu schaffen.

Wer über Energie- oder CO2-Preise steuern möchte, muss daher durch soziale Flankierung und Sicherung von bezahlbaren Mobilitäts- und Wohnalternativen ermöglichen, dass wirklich jeder umsteigen kann.

Rückzahlung eines Teils der CO2-Steuereinnahmen in der Form des Klimageldes an wirklich Bedürftige wäre dafür eine notwendige, aber keineswegs ausreichende Hilfestellung.

Sie fordern einen Sozialcheck für alle Klimagesetze. Wie soll das genau funktionieren?

Klimaschutzgesetze benötigen eine proaktive Steuer-, Sozial- und Bildungspolitik gegen soziale Ungleichheit. Eine sozial-ökologische Transformation zur Klimaneutralität wird am Widerstand und an sozialen Verwerfungen scheitern, wenn sie die bestehenden massiven Ungleichheiten verstärkt.

Der Energie- und Klimapolitik-Mix aus Preisanreizen, Förderprogrammen und Regulierung muss daher auf den Prüfstand nach Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit. Das ist der "Sozialcheck".

Basierend auf Einkommensdaten der Finanzämter können zum Beispiel beim Heizungstausch Haushalte mit sehr hohem Einkommen mit null Prozent, Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen mit 30 Prozent und besonders einkommensschwache Haushalte mit 100 Prozent gefördert werden. Das ist auch der Vorschlag der Stiftung Klimaneutralität.

Luxusgüter wie Megayachten, Privatjets und private Raumfahrt gehen mit einem extrem hohen CO2-Ausstoß einher. (Bild: Pexels/Pixabay)

Wäre es richtig, Habecks Heizungsgesetz und den Vorrang für die Wärmepumpe abzuschaffen, wie es vor allem die Union durchsetzen will?

Es gibt das gesetzliche Ziel der Klimaneutralität im Gebäudesektor. Technikoffenheit ist zwar immer wünschenswert, aber damit für das unbezahlbare Ziel Wasserstoff als Heizenergie oder gar indirekt für die Weiternutzung von Erdgas zu plädieren, verunsichert die Menschen und verursacht Fehlinvestitionen.

Nahwärmenetze oder individuelle Heizungssysteme, die durch Wärmepumpen, Abwärme oder regenerative Energiequellen gespeist werden, sind ökologisch und ökonomisch am sinnvollsten. Gleichzeitig sollten im Gebäudebestand alle Energiesparoptionen ausgeschöpft werden.

Union und SPD halten am Ziel der Klimaneutralität für 2045 fest. Ist das angesichts des schleppenden Umbaus bei Heizung, E‑Mobilität und Wasserstoffnutzung in der Industrie denn überhaupt zu schaffen? Es bleiben ja nur noch 20 Jahre.

Klimaneutralität bis 2045 ist in Deutschland gesetzlich festgelegt. Auch gemäß dem EU-Emissionshandel müssen die Sektoren Industrie, Energiewirtschaft, Gebäude und Verkehr in Europa spätestens 2045 klimaneutral sein.

Das ist ambitioniert, aber dennoch für einen angemessenen Beitrag zum weltweiten 1,5-Grad-Ziel nicht ambitioniert genug. Und: Schafft Deutschland bis 2030 nicht das EU-verbindliche CO2-Reduktionsziel von 65 Prozent, dann werden Milliarden Euro an Ausgleichszahlungen für den Zukauf von CO2-Zertifikaten fällig.

Es liegen zahlreiche Szenarien vor, dass Klimaneutralität bis 2045 nicht nur technisch, sondern auch kosteneffizient möglich ist. Weiter abzuwarten, ist teurer und wirkt gesamtwirtschaftlich rezessiv.

Den Investitions- und Innovationsschub, den Wirtschaft und Gesellschaft jetzt brauchen, kann nur eine entschlossene Klimapolitik auslösen. Szenarien vermitteln bestmögliches Zukunftswissen, in mutigeres Handeln umsetzen müssen es aber Politik, Wirtschaft und wir alle.

Jüngst hat ein Kommentator im Berliner Tagesspiegel vorgeschlagen, in der Hauptstadt alle Privatautos abzuschaffen und durch halb so viele Carsharing-Wagen zu ersetzen. Ein radikaler Ansatz. Hat so etwas eine Chance?

In dieser zugespitzten Form nur dann, wenn gleichzeitig zusätzliche bezahlbare Mobilitätsalternativen – Busse, Bahnen, Fahrrad – für alle ermöglicht werden. Studien und unzählige Beispiele in reformbereiten Städten und Kommunen zeigen: Lebens-, Natur- und Stadtqualität leiden durch das Übermaß an privater Automobilität. Aber das ist änderbar.

Die Vision ist: Eine Halbierung der Autoflotte bis 2045 und gleichzeitig bezahlbarer Zugang und gerechte Mobilität für alle in Stadt und Land. Es gibt zahlreiche Beispiele, was europaweit etwa in Paris, Barcelona, Kopenhagen oder Freiburg schon umgesetzt wird.

Das Buch

Peter Hennicke, Benjamin Best, Anja Bierwirth, Dieter Seifried: KlimaGerecht. Warum wir ökologische und soziale Fragen konsequent verbinden müssen. Oekom Verlag, München 2025. 378 Seiten, 29 Euro.

Sie sagen generell, ohne Suffizienz, also Genügsamkeit, geht es nicht. Was heißt das konkret?

Mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind zwei unverzichtbare technische Pfeiler für Klimaneutralität. Sie reichen aber nicht. Denn Wachstums- und Wohlstandseffekte haben die erwünschte CO2-Minderung gebremst und teilweise sogar ins Gegenteil verkehrt. Effizienzgewinne bei Autos oder bei Gebäuden werden durch PS-Hochrüstung und steigende Wohnfläche neutralisiert.

Daher muss ein gesellschaftlicher Dialog über diese Fragen geführt werden: Wie viel ist genug für wen und wer braucht mehr für ein würdiges Leben? In unseren Büchern "Earth for All Deutschland" und "KlimaGerecht" zeigen wir für Mobilität und Wohnen, wie durch Suffizienzpolitik ein Gewinn an Lebensqualität für alle möglich wird und wie die Einhaltung der planetaren Grenzen durch den Abbau von Ungleichheit erreicht werden kann.

Aber wie kann man die Menschen davon überzeugen? Bisher geht es doch in die Gegenrichtung: Mehr ist besser als weniger.

Das Narrativ und die Anreize müssen sich ändern. Es muss heißen: Anders ist besser. Denn das "Immer mehr" – besonders für Superreiche – ist riskant und teuer für uns alle. Damit sind wir mitten in der Verteilungsproblematik.

Spätestens jetzt, wo die Multikrisen sich häufen, kann den Fragen nach hauptsächlicher Krisenverursachung, Schadensbelastung und Lösungsverantwortung nicht mehr ausgewichen werden. Die relativ Wenigen, die zu viel haben, können teilen für das Gemeinwohl. Wirtschaftswachstum, das nicht mehr das Lebensglück aller steigert, brauchen wir nicht.

Mit anderen Worten: Unsere Art des Wirtschaftens auf Kosten von Um-, Mit- und Nachwelt muss sich ändern. Wir brauchen einen Dialog über das gesellschaftspolitische Ziel der Transformation und die Wege zu einer Wohlergehensgesellschaft.

 

Gibt es Ansätze, wie die Transformation gelingen könnte?

Es existieren weltweit buchstäblich Tausende guter Praxisbeispiele. Das Hauptproblem ist aber, dass die heutigen nicht nachhaltigen Eigentums-, Produktions- und Konsumverhältnisse eine Hochskalierung zu einer Wohlergehensgesellschaft derzeit nicht erlauben.

Deswegen plädieren wir für einen großen gesellschaftlichen Dialog über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und über Vergesellschaftung, wie im Grundgesetz angelegt.

Wenn die – noch – bestehende Gleichheit vor dem Recht und die Demokratie zunehmend durch ausufernde ökonomische Ungleichheit und Macht ausgehebelt werden, dann helfen keine politischen Trippelschritte. Wir brauchen neue Visionen für das Land, in dem wir leben wollen.