Den einen werden keine kritischen Fragen gestellt, die anderen werden gar nicht eingeladen. (Bild: Jiří Héra/​Shutterstock)

Angesichts des Abschottungsdiskurses, dem sich viele große deutsche Medien in den letzten Wochen hingegeben haben, können wir froh sein, dass Geflüchtete in diesem Land nicht jeden Tag acht Menschen töten. Nicht auszudenken, was hier los wäre.

Wie bitte? Was soll dieses absurde Gedankenspiel?

In Deutschland sterben durchschnittlich acht Menschen pro Tag im Straßenverkehr. Es ist nicht auszudenken, was los wäre, wenn das täglich skandalisiert würde, denn so eine Skandalisierung ist unvorstellbar, unrealistisch, nie dagewesen.

Dabei kann die Regierung viel mehr zur Reduzierung der Verkehrstoten tun als zur Verhinderung von Morden. Und da reden wir noch nicht einmal von der hohen Zahl vorzeitiger Todesfälle durch die Luftverschmutzung, die die Bundesregierung mit der Legalisierung eigentlich illegaler Motorenmanipulationen bei den deutschen Autoherstellern noch verschlimmert hat.

Doch große Medien öffnen sich dem Diskurs, der einzelne Gewalttaten zur größten Bedrohung des ganzen Landes hochstilisiert und in dem auch nicht vor offenbar grundrechtswidrigen Vorschlägen in Sachen Einwanderungsregeln und Abschiebungen zurückgeschreckt wird.

Schweigeminuten und Bundespräsidentenauftritte wegen der täglichen Todesopfer von Autoverkehr und Klimawandel, zu deren Verhinderung die Regierung zumindest etwas beitragen könnte, sind nicht bekannt und werden auch nicht gefordert.

Stattdessen können die politisch Verantwortlichen sich als Macher auf einem Feld inszenieren, auf dem sie nicht wirklich viel machen können, und wenn, dann nur um den Preis von menschenfeindlichen Maßnahmen und Grundrechtsabbau. Sie können sich ständig mit sozusagen unsachlichen Wortmeldungen ein breites Publikum verschaffen.

Politikredaktionen, die ihre Arbeit nicht machen

Die Energiewende ist schon immer ein Paradebeispiel für das grundsätzliche journalistische Problem, dass bei Berichten über die herrschende Politik auch deren Themengewichtungen und Herangehensweisen verbreitet werden. Seit Langem ist bekannt, dass es hier fundamental problematische sogenannte Medienlogiken gibt.

Seit Jahren wird von einer "Medienkrise" gesprochen, die die Klimakrise begleite, weil die zugrundeliegende Problemlage "langsam, düster, komplex" sei und somit nicht zu gängigen journalistischen Arbeitsweisen passe. Auch der Autor hatte schon 2017 strukturelle, ideologische Defizite in der Medienlandschaft kritisiert, wenn es um das Megathema Klimakrise geht.

Noch 2021 schrieb Spiegel-Online-Kolumnist Christian Stöcker über "rebellische Meteorologen", die einen "Guerilla-Journalismus im Fernsehen" praktizierten, indem sie in den Wetterberichten kritische Inhalte unterbrachten, die die öffentlich-rechtlichen Politikredaktionen nicht sendeten. Teilweise mussten auch Kulturredaktionen die Lücke füllen.

Während es in dieser Hinsicht Fortschritte gegeben hat, besteht ein Missstand so ziemlich unvermindert weiter: Wenn über Erderhitzung und Energiewende berichtet wird, kommen ständig die üblichen Politdarsteller zu Wort, die keinen sachlichen Beitrag leisten. Es gibt keine sachliche Rechtfertigung dafür, Parteienvertreter zu Energiewendethemen zu befragen, die schon immer gegen die Energiewende waren, außer sie dient gewissen Unternehmen.

Zu diesen Parteien gehört auch mehrheitlich die SPD. Es ist gerade diese Partei, die die Bevölkerung in den Kohleabbaugebieten seit vielen Jahren kirre macht mit ihrer Arbeitsplatzpanik, um sich dann als Beschützerin zu inszenieren, die den Kohleabbau bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag aufrechterhält.

Auch Olaf Scholz hat den Betroffenen im Bundestagswahlkampf 2021 auf diese Weise Sand in die Augen gestreut und behindert seitdem das längst stattfindende marktgetriebene Auslaufen der Kohleverstromung. Kurz gesagt: Das Kapital ist seit etlichen Jahren klima- und energiewendefreundlicher als die SPD.

Medienkritik braucht mehr Tiefe und Schärfe

Was ist zu tun? Die Auswahl der Leute, die in großen Medien zu Energiethemen zu Wort kommen, muss endlich kritisiert werden. Wer zu einer Diskussionsrunde eingeladen wird, in der auch Parteien vertreten sind, die die Energiewende vor allem verhindern wollen, sollte das dort deutlich ansprechen und die Zusammenstellung der Runde kritisieren.

Medien muss die Frage gestellt werden, wie oft sie in Artikeln, Interviews oder Diskussionsrunden Leuten ein Forum geboten haben, die sich glaubwürdig für eine wirksame – und das heißt auch dezentrale – Energiewende eingesetzt haben, zum Beispiel aus den Bürgerenergiegenossenschaften, die hier seit vielen Jahren gemeinwohlorientiert aktiv sind.

Ralf Hutter

ist studierter Soziologe und ausgebildeter Zeitungs­journalist. Er schreibt als freier Journalist für diverse Medien in Berlin.

Die Aufstiegsjahre der AfD wurden in der Medienbranche immer mal wieder mit Debatten begleitet, wie der Journalismus mit dieser Partei umgehen soll. Solch eine Debatte müsste eigentlich auch über die althergebrachten Energiewendegegner geführt werden.

Allerdings ist jetzt keine Zeit mehr für so eine Debatte. Diese Leute müssen aus dem Diskurs ausgeschlossen werden. Sie haben nichts Sinnvolles beizutragen. Ein jüngeres Beispiel ist die Wiederkehr des Themas Atomkraft in den letzten beiden Jahren, obwohl selbst die Kraftwerksbetreiber abwinken.

Die Zeit der bloß konstruktiven Medienkritik muss enden. Schließlich bietet seit 2015 das Netzwerk Weitblick Fortbildungen im Bereich Journalismus und Nachhaltigkeit an, ähnlich betätigt sich das Netzwerk Klimajournalismus, und dessen Mitgründerin Sara Schurmann erreichte 2020 eine gewisse Aufmerksamkeit in der Branche mit ihrem Aufruf: "Journalist:innen, nehmt die Klimakrise endlich ernst!"

Das alles hat wenig genutzt. Gelegentliche Appelle und Hinweise verändern bei den wenigsten den Alltagstrott. Deshalb müssen nun Tiefe und Schärfe der Kritik zunehmen.

Grundsätzliche Kritik nur noch von rechts?

"Die Linke hat das Feld der Medienkritik verlassen", schreibt der Soziologe und Philosoph Lukas Meisner in seinem letztes Jahr erschienenen Buch "Medienkritik ist links". Das stimmt so pauschal nicht, umso triftiger ist aber die Feststellung des Autors: "Die Rechte hat sich das Flair des 'Queren' angeeignet." Denn die Linke sei verbürgerlicht und habe zum Teil die Gegnerschaft zum Kapitalismus aufgegeben – oder zumindest, würde ich hinzufügen, grundlegende Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem nicht mehr so deutlich geäußert.

Meisner konstatiert eine "Krise der demokratischen Öffentlichkeit", die sich unter anderem darin äußere, dass die Berichterstattung sogenannter Qualitätsmedien nicht angemessen hinterfragt werde. Das stehe für einen "Verlust der politischen Urteilskraft", den "die Rechte" nicht selbst erzeuge, sondern der die Grundlage für ihren Erfolg sei: "Urteilsschwäche resultiert aus dem Rückbau (selbst)kritischer demokratischer Öffentlichkeit."

In diesem Sinne ist zu fragen: Wie viel Medienkritik können die Ökos? Wenn sie da weiterhin so enthaltsam sind, tragen sie zu dem in manchen Bevölkerungskreisen verfestigten Bild bei, große Medien – vor allem der staatliche Rundfunk – seien von der Öko-Lobby beherrscht und trieben so das Land in einen wirtschaftlichen Niedergang.

Es sollte dabei nicht um noch mehr der leidigen Faktenchecks gegen schlechte Sendungen und Artikel gehen, sondern um einen politischen und damit grundsätzlicheren Ansatz der Medienkritik. Bekämpft werden muss die mangelnde Abgrenzung zu energiewendekritischen politischen Akteuren bei Medien, die gleichzeitig vorgeben, die Dramatik der Erderhitzung verstanden zu haben.

 

Hier lässt sich eine einfache Parallele ziehen, die auch starrsinnige Redaktionsmitglieder verstehen könnten. Im Bundestagswahlkampf 2021 wiesen diverse Stimmen darauf hin, dass keine der Bundestagsparteien ein Wahlprogramm vorgelegt hatte, das realistisch dazu beitragen würde, die durchschnittliche Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.

Dabei war damals schon klar, welche Katastrophen die Erderhitzung bewirkt und wie unsicher die weitere Entwicklung nach dem Kippen bestimmter weltweit relevanter Zustände und Ökosysteme wie Permafrost oder Regenwald ist.

Gleichzeitig wurden in den meisten großen Medien Menschen, die auf ihren verfassungsmäßigen Grundrechten – oder zumindest denen der Kinder – beharrten, aufgrund einer angeblich wissenschaftlich begründeten Virenpanik zumindest implizit zu Wissenschaftsfeinden erklärt, denen kein Forum geboten werden sollte.

Wenn so ein Maßstab auch beim Thema Klimawandel angewendet wird, ist die Erkenntnis klar: Alle Bundestagsparteien – vielleicht außer der Linken – sind Wissenschaftsleugnerinnen, die nicht ständig mit ihren halbseidenen, oft direkt propagandistischen Aussagen die journalistische Behandlung von Energiewendethemen torpedieren dürfen.

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