Oliver Hummel. (Bild: Naturstrom AG)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Hummel, der Bundestag soll in der kommenden Woche den "Investitionsbooster" beschließen. Bis dahin müssen sich Bund und Länder noch über Aufteilung der Steuerausfälle von mehr als 30 Milliarden Euro einigen, heißt es. Würden Sie im Bundestag für den "Booster" die Hand heben?

Oliver Hummel: Dass es zusätzliche Investitionsimpulse für die Wirtschaft braucht – das sehe ich durchaus auch so. Im Grundsatz sind die neuen Abschreibungsmöglichkeiten nicht verkehrt. Allerdings hätte ich mir von dem Gesetzespaket mehr Lenkungswirkung erhofft. Investiert werden muss in zukunftsfähige Geschäftsmodelle, Anlagen und Entwicklungen.

Klarere Zeichen, dass es wirklich um einen kraftvollen Aufbruch in Richtung nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung geht, hätte die Regierung auch bei der Gegenfinanzierung setzen können. Etwa, indem gleichzeitig klimaschädliche Subventionen gestrichen oder die Erleichterungen für Unternehmen mit steuerlichen Maßnahmen gegen die wachsende Vermögensungleichheit flankiert worden wären. Diese Chancen wurden leider erstmal verpasst.

Der Strompreis an der Börse kann bis 2030 um fast ein Viertel sinken, wenn die Bundesregierung am geplanten Ausbaupfad für die Erneuerbaren festhält, verglichen mit einer Kappung des Wind- und Solarausbaus um rund 45 Prozent. Das besagt eine neue Analyse des Thinktanks Agora Energiewende. Die normalen Stromkunden fragen sich natürlich, wann und wie dieser sinkende Börsenpreis an der Steckdose ankommt.

Es ist schon seltsam: Die Erneuerbaren helfen in den letzten Jahren regelmäßig, die Preisexplosionen bei Gas und Öl aufgrund von Krisen und Kriegen abzufedern, aber gerade von konservativer Seite wird gern weiter so getan, als wären die Erneuerbaren schuld an hohen Energiepreisen. Die Agora-Studie unterstreicht noch einmal klar, was Prognosen und Analysen vielfach erwiesen haben: Erneuerbare senken die Stromkosten.

Auch in der Energiepreiskrise haben Wind- und Solaranlagen deutlich auf den Preis gedrückt und noch schlimmere Auswirkungen verhindert. Für dauerhaft günstige Energiekosten braucht es deshalb weiter einen ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren.

Von den Kostensenkungen an der Strombörse können heute schon Stromkunden mit dynamischen oder flexiblen Tarifen direkt profitieren. Bei dynamischen Tarifen kann man in einzelnen Stunden des Jahres sogar Geld für den eigenen Stromverbrauch erhalten.

So richtig lohnt sich ein dynamischer Tarif allerdings nur, wenn man große verschiebbare und idealerweise automatisierbare Stromverbraucher hat, also vor allem E‑Autos, Wärmepumpe oder Speicher.

Aber auch beim normalen Haushaltskundentarif machen sich die kostensenkenden Wirkungen der Erneuerbaren längst bemerkbar. Man darf ja nicht vergessen, dass wir immer noch in einer sehr volatilen geopolitischen Lage sind, fossile Energieträger sind weiterhin deutlich teurer als vor der Energiepreiskrise, und dennoch sind die Strompreise ungefähr wieder auf dem Niveau von vor einigen Jahren – trotz zwischenzeitlich erheblicher Inflation und Steigerung der Netzkosten.

Die reinen Produktions- beziehungsweise Beschaffungskosten machen ja nur rund ein Drittel des Haushaltsstrompreises aus. Netzentgelte, Abgaben und Steuern bestimmen den Rest.

Die Bundesregierung will diese Kostenbestandteile aber senken – das begrüßen wir. Das würde nicht nur zu weiter sinkenden Strompreisen führen und so Menschen wie Unternehmen im Land entlasten, sondern auch die Elektrifizierung und damit Dekarbonisierung von Wärme und Verkehr anreizen.

Darüber hinaus würde dann auch bei einer Direktversorgung – von der eigenen Solaranlage auf dem Dach über Mieter- und Quartiersstrommodelle bis hin zum hoffentlich bald kommenden Energy Sharing – der preissenkende Effekt der Erneuerbaren unmittelbar auf der eigenen Stromrechnung sichtbar.

Anstelle der Vorschrift der Ampel, neue Heizungen zu mindestens 65 Prozent erneuerbar zu betreiben, will die schwarz-rote Bundesregierung die Senkung der CO2-Emissionen zum alleinigen Maßstab machen. Eine solche Änderung des "Heizungsgesetzes" könnte auf eine Rettungsaktion für die Gasnetze hinauslaufen, meint der Ökonom Jochen Luhmann in einem Gastbeitrag. Ist das zu weit hergeholt?

Wir sehen ebenfalls mit Sorge, wie stark die Bundesregierung auf Erdgas-basierte Anwendungen setzt – von den Gaskraftwerks-Ausschreibungen im Strommarkt über die CCS-Öffnung für ebendiese Gaskraftwerke bis hin zum gemäß Koalitionsvertrag angestrebten Erhalt der Gasnetze. Insofern kann ich die Befürchtungen von Jochen Luhmann nachvollziehen und teile sie.

Dabei ist doch längst klar, dass Erdgas im Wärmesektor immer teurer wird, wenn mit dem neuen EU-Emissionshandel ETS 2 ab 2027 endlich die enormen Schadenskosten dieses fossilen Energieträgers zumindest ansatzweise eingepreist werden.

Und mit der Wärmepumpe steht längst eine moderne, hocheffiziente Technologie bereit, die neue wie bestehende Einzelhäuser und auch ganze Quartiere oder gar Stadtviertel sicher und brennstofffrei versorgen kann. Wenn die Bundesregierung Erdgas als dauerhafte Heizoption propagiert, ist das schlicht Verbrauchertäuschung.

Allerdings findet die angestrebte Reform des Gebäudeenergiegesetzes nicht im luftleeren Raum statt. Die Klimaziele Deutschlands sowie die europäische Lastenteilung beim Klimaschutz erfordern auch weiter enorme Anstrengungen bei der Wärmewende. Die nächstes Jahr umzusetzende europäische Gebäuderichtlinie muss eigentlich sogar zu einer Verschärfung des Gebäudeenergiegesetzes führen.

Ich bin überzeugt, dass trotz aller Rückzugsgefechte und Brückentechnologie-Notwendigkeiten der Anfang vom Ende der Erdgas-Ära längst eingeläutet ist.

Der Einsatz großer Wärmepumpen, um Nah- und Fernwärmenetze zu dekarbonisieren, ist in Deutschland noch wenig verbreitet. Der Branchenverband BWP fordert deshalb einfachere Genehmigungsverfahren. Lassen sich mit Wärmepumpen wirklich große Mengen Heizwärme für Tausende Haushalte sicher erzeugen?

Kurze Antwort: Ja.

Wir zeigen selbst in einigen Quartiersprojekten, dass Wärmepumpen eine sichere und klimafreundliche Versorgung für eine Vielzahl von Haushalten stemmen können, beispielsweise in dem gerade entstehenden Kölner Quartier Lück, in dem wir Wärmepumpen mit Abwasserwärme kombinieren.

Bei unseren Versorgungskonzepten geht es zwar erstmal "nur" um ein paar hundert und nicht um Tausende Haushalte, aber grundsätzlich funktioniert das ähnlich. Und das, obwohl die Wärmepumpen in diesen Dimensionen teilweise noch Einzel- oder Pilotanfertigungen sind.

Das Ganze wird mit mehr Erfahrungen und Serienproduktion noch günstiger. Damit diese Lösungen wirklich flächendeckend genutzt werden können, braucht es aber in der Tat Verbesserungen in der Genehmigungspraxis. Gut, dass der Wärmepumpen-Verband und wohl auch die Bundesregierung sich des Themas annehmen.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Negativ überrascht und erschreckt hat mich ein weiterer Beleg für die hohe Gas-Affinität der neuen Bundesregierung. Gemäß dem Haushaltsentwurf 2025 soll die Gasspeicherumlage künftig aus dem KTF, dem Klima- und Transformationsfonds, gezahlt werden. Dabei geht es wohlgemerkt um einen Betrag von zuletzt vier Milliarden Euro jährlich.

Kosten für fossile Versorgung sollen also aus einem Topf kommen, mit dem eigentlich die Abkehr von CO2-Emissionen gestaltet werden sollte.

Erschwerend kommt hinzu, dass der KTF ja gleichzeitig mit Geldern aus dem Sondervermögen zum Klimaschutz gespeist werden soll, vorgesehen sind jährlich zehn Milliarden Euro.

Mehr Geld für Klimaschutz-Investitionen ist grundsätzlich zu begrüßen, gerne auch über den KTF. Doch wenn dieses Geld dann über den Klimafonds-Umweg quasi nicht wie vereinbart für die Modernisierung, sondern für die Bezahlung laufender Kosten aus dem Fossilsystem verwendet wird, läuft etwas grundfalsch.

Bei der bisherigen Höhe der Gasspeicherumlage wären dann bereits 40 Prozent der jährlich neu zugewiesenen Mittel für das weitere Anheizen der Klimakrise verplant statt für den Klimaschutz.

Heißt also: Wir machen neue Finanzschulden, um über einen vorgeblichen Zukunfts-Klimaschutztopf fossiles Gas zu verbilligen und damit zusätzliche Klimaschulden aufzuhäufen. Damit werden die ursprünglichen Ziele von Klimafonds und Sondervermögen in ihr Gegenteil verkehrt – das ist einfach total daneben!

Fragen: Jörg Staude

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