Sebastian Sladek. (Bild: Bernd Schumacher)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).

Klimareporter°: Herr Sladek, Ende des Jahres will Wirtschaftsministerin Reiche erste neue Gaskraftwerke ausschreiben. Die öffentliche Finanzierung von Bau und Betrieb solcher Anlagen verstößt allerdings gegen das EU-Beihilferecht, stellt ein Gutachten der Kanzlei K&L Gates fest. Kann uns Europa wirklich vor der Gaslobby retten?

Sebastian Sladek: Das wird sich zeigen. Europa kann eine wichtige Kontrollinstanz sein, wie die Vergangenheit schon öfter gezeigt hat. Aber es wird auch nicht alle Fehler nationaler Energiepolitik ausgleichen können.

Das Gutachten der Kanzlei K&L Gates bestätigt, was viele vermutet hatten: Die von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche geplanten Subventionen für neue fossile Gaskraftwerke verstoßen in weiten Teilen gegen das EU-Beihilferecht.

Zur Erinnerung: Die EU-Kommission hatte bereits letztes Jahr 12.500 Megawatt neuer Kraftwerksleistung genehmigt, die noch unter Wirtschaftsminister Habeck beantragt worden waren, davon 5.000 Megawatt als reine Erdgasanlagen – mit Genehmigungsgrund Versorgungssicherheit – und 7.500 Megawatt wasserstofffähige oder reine Wasserstoffkraftwerke sowie Langzeitspeicher. Die 7.500 Megawatt stufte die EU-Kommission im Genehmigungsverfahren dabei ausdrücklich als Klimaschutzmaßnahme ein.

Das entsprechende Kraftwerkssicherheitsgesetz der Ampel konnte jedoch aufgrund des Regierungsbruchs nicht mehr verabschiedet werden.

Die neue Bundesregierung geht jetzt deutlich weiter. Im Koalitionsvertrag wurde die Ausschreibung von bis zu 20.000 Megawatt Gaskraftwerken festgelegt.

Das Wirtschaftsministerium will diese anscheinend ohne harte, verbindliche Vorgaben zur Wasserstoff-Umrüstung oder zum Bau von Langzeitspeichern ausschreiben. Genau das ist laut Gutachten das Problem. Denn sobald Klimaschutz als Genehmigungsgrund entfällt, bleibt gegenüber der EU-Kommission nur noch die Versorgungssicherheit als Rechtfertigung.

Laut Gutachten wären die 20.000 Megawatt sogar genehmigungsfähig, sofern die Förderung wegen Marktversagens erforderlich und zudem technologieoffen, angemessen und transparent ausgestaltet wäre.

Doch ein Marktversagen in Deutschland wurde laut Gutachten bislang nicht ausreichend belegt. Deutschland ist Teil eines eng vernetzten europäischen Strommarkts, in dem Überkapazitäten in Nachbarländern bestehen. Ein nationales Marktversagen, das staatliche Beihilfen rechtfertigen würde, ließe sich so kaum begründen.

Zudem weist das Gutachten auf erhebliche Wettbewerbsverzerrungen hin: Reine Gaskraftwerke würden durch staatliche Förderung gegenüber klimafreundlicheren Technologien wie Großbatteriespeichern oder flexiblen Verbrauchern massiv bevorzugt. Die Folge wäre eine weitere Schwächung des Wettbewerbs und eine unnötige Bindung öffentlicher Mittel an fossile Infrastrukturen, die – unter anderem wegen steigender CO2-Preise – in wenigen Jahren nicht mehr wirtschaftlich sein werden.

Europa könnte hier also tatsächlich zur letzten Instanz werden, die einer fossilen Schieflage Einhalt gebietet. Aber wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass Brüssel uns beisteht.

Die Verantwortung, eine zukunftsfähige Energiepolitik zu gestalten, liegt hier bei uns in Deutschland. Was wir brauchen, ist eine verlässliche, technologieoffene und bürgernahe Energiewende, die auf Dezentralität, Speicher und Flexibilisierung setzt statt auf neue fossile Abhängigkeiten.

Wenn wir Versorgungssicherheit ernst meinen, müssen wir alle infrage kommenden Technologien betrachten, was gerade auch Speicher und nachfrageseitige Flexibilität einschließt, und auch stärker das Gesamtsystem in den Blick nehmen.

Wir sehen die aktuellen Entwicklungen kritisch, wonach sich das Wirtschaftsministerium anscheinend für die Einführung eines zentralen Kapazitätsmechanismus entschieden hat. Dieses Instrument setzt im Kern einseitig auf neue Gaskraftwerke, die nur von wenigen Großkonzernen bereitgestellt werden können, dem Klimaschutz abträglich sind und bei Verbraucherinnen und Verbrauchern die Strompreise steigen lassen, weil der Mechanismus teils über eine neue Umlage finanziert werden soll.

Gemeinsam mit anderen Akteuren kämpft EWS deshalb seit geraumer Zeit gegen einen zentralen Kapazitätsmechanismus und für dezentrale, marktliche Konzepte zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit.

Die soziale Spaltung bei der Energiewende spiegelt sich im aktuellen Energiewendebarometer der KfW wider. Danach werden Technologien wie Solarenergie, Speicher, E‑Auto, Wärmepumpe und Pelletheizung schon von 50 Prozent der wohlhabenden Haushalte genutzt, aber nur von 16 Prozent der einkommensschwachen. Wie lässt sich das Wohlstandsgefälle schließen?

Dieses Gefälle ist real und es ist ein Problem. Die Energiewende ist in einer Phase, in der es darum gehen muss, die Vorteile erneuerbarer Energien in die Breite zu tragen.

Viele wohlhabende Haushalte sind schon auf die klimafreundlichen und langfristig günstigen Optionen – Solaranlage, Wärmepumpe und Co – umgestiegen, weil sie über das Investitionskapital und die Handlungsmöglichkeiten verfügen, beispielsweise im Eigenheim.

Währenddessen laufen die einkommensschwachen Haushalte Gefahr, in der fossilen Kostenfalle zu verharren. Über die Hälfte der Bevölkerung wohnt hierzulande zur Miete und hat nur wenig Einfluss darauf, wie die eigenen vier Wände beheizt werden. 

Wir müssen also bei den Investitionen ansetzen und einkommensschwachen Haushalten viel gezielter Zugang zu den Vorteilen erneuerbarer Energien und zu klimafreundlichen Alternativen verschaffen.

Der größte Hebel liegt in den richtigen politischen Rahmenbedingungen. Da gibt es mittlerweile sehr gute Vorschläge für eine gerechte Verteilung von Kosten und Nutzen in der Energiewende.

Richtigerweise sieht der Bundesumweltminister Carsten Schneider in einer breiten Teilhabe der Menschen durch Bürgerenergie, in gemeinschaftlichen Lösungen wie Nahwärme und im öffentlichen Nahverkehr die Lösung.

Auch dass es nach dem Autogipfel in dieser Woche nun eine gezielte Förderung für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen für die Anschaffung von Elektroautos geben soll, ist ein Fortschritt gegenüber dem alten "Umweltbonus" für E‑Autos. Von dem haben vor allem die Wohlhabenden profitiert, während sich die deutsche Autoindustrie mit dem Verbrenner munter in die Krise manövriert hat.

Wichtig finde ich, dass die soziale Förderung, die letztlich aus der europäischen CO2-Bepreisung kommt und für einkommensschwache Haushalte vorgesehen ist, nicht nur in E‑Autos, sondern auch in besseren Zugang zum öffentlichen Nahverkehr – etwa durch ein Deutschland-Sozial-Ticket – oder in Energiesparmaßnahmen fließt.

Um das Wohlstandgefälle in Zeiten knapper Mittel zu schließen, müssen wir auch wegkommen von der Verteilung nach dem Prinzip Gießkanne.

Aus diesem Grund haben wir auch vor Kurzem unser eigenes EWS-Förderprogramm "Sonnencent" umgekrempelt. Nachdem wir über zwei Jahrzehnte den Ausbau individueller Solarstromanlagen und Speicher gefördert haben, unterstützen wir jetzt bewusst nur noch gemeinschaftlich genutzte Erzeugungs- und Speicheranlagen.

Damit erzielen wir mehr Wirkung für die soziale Seite der Energiewende. Denn es ist klar: In diesen Zeiten brauchen wir mehr Solidarität und mehr Gemeinschaft.

In Baden-Württemberg entsteht in Gundelsheim bei Heilbronn ein sogenannter Hybridpark, der Photovoltaik, Windkraft und Batteriespeicher an einem Standort vereint. Ist so eine kombinierte, flexible Lösung die Zukunft der Erneuerbaren?

Die Projektierer erneuerbarer Energien wollen die Energiewende aktiv mitgestalten. Der aktuelle Flaschenhals ist dabei nicht ihr mangelnder Gestaltungswille, sondern der schwerfällige Netzausbau und die restriktive Regulatorik.

Die Nutzung verschiedener Erneuerbaren-Anlagen in Kombination mit Speichern und Sektorkopplungs-Technologien kann dazu beitragen, dass vorhandene Netzverknüpfungspunkte besser ausgenutzt werden. Die dafür in der Regel benötigten Umspannwerke bauen die Projektierer dabei selbst.

Also: Ja, solche Projekte sind ein wichtiger Baustein zum Gelingen der Energiewende. Deswegen unterstützen wir beispielsweise auch den guten Vorschlag des Bundesverbands Erneuerbare Energie zur Überbauung von Netzverknüpfungspunkten.

Er zielt im Kern darauf ab, dass an einem Netzverknüpfungspunkt mehr Leistung angeschlossen wird, als der Punkt eigentlich transportieren kann. Die Auslastung der einzelnen Netzverknüpfungspunkte lässt sich damit teilweise um ein Vielfaches steigern und reizt den Ausbau von Flexibilitäten an, also beispielsweise von Speichern.

Das sollte zukünftig verpflichtend werden. Dadurch kann die vorhandene Netzinfrastruktur besser ausgelastet und mehr erneuerbarer Strom in die Netze integriert werden.

Neben der verpflichtenden Möglichkeit zur Überbauung von Netzverknüpfungspunkten muss regulatorisch aber noch an weiteren Stellschrauben gedreht werden. Die Bundesnetzagentur hat erst kürzlich einen Prozess angestoßen, um solche Hybridkraftwerke zu ermöglichen.

Nach den Vorschlägen der Netzagentur sollen Erneuerbaren-Anlagen in Kombination mit Speichern weiter eine Förderung erhalten können, auch wenn über den Speicher Graustrom aus dem Netz bezogen wird.

Wir unterstützen diesen Prozess im Grundsatz und wünschen uns eine schnelle Umsetzung, damit mehr solcher Projekte realisiert werden.

Dabei dürfen wir die bürgernahe Energiewende nicht vernachlässigen, denn es braucht auch künftig einen Zubau von Photovoltaik-Anlagen auf Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie auf Gewerbedächern. Daher sehen wir die Entscheidung der Netzagentur grundsätzlich positiv, in den genannten Prozess auch Solaranlagen mit Speichern oder Ladepunkten bis 30 Kilowatt installierter Leistung mit einem eigenen Modell zu integrieren.

An anderen Stellen gerät die bürgernahe Energiewende leider immer stärker unter Druck: Das Wirtschaftsministerium wünscht sich das Ende der Einspeisevergütung für kleine Photovoltaik. Größere Mieterstromprojekte wurden nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vorerst auf Eis gelegt.

Wir werden auch diese herausfordernden Entwicklungen konstruktiv-kritisch begleiten und uns dafür einsetzen, dass hier das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird.

Ich bin der Überzeugung, dass es viele verschiedene Bausteine braucht, damit die Energiewende gelingen kann. Dazu zähle ich alle Projekte von kleineren Photovoltaik-Anlagen auf Ein- und Mehrfamilienhäusern bis hin zu großen Hybridkraftwerken.

Wir brauchen endlich eine Politik, die nicht das eine oder das andere bevorzugt, sondern gute Rahmenbedingungen für alle energiewendetauglichen Modelle schafft.

Beim Autogipfel wurde auch wieder über das Verbrenner-Aus diskutiert. Die Zukunft des Verkehrs wird so oder so elektrisch sein – ist es da klimapolitisch so entscheidend, ob für Neuwagen mit Verbrenner nun wirklich 2035 Schluss ist oder ein paar Jahre später?

Schon allein wegen des Signals, das mit einer Verschiebung gesendet würde, bin ich strikt für die Beibehaltung der bisher festgesetzten Timeline.

Die Rahmenbedingen sind unverändert – die Klimakrise ist immer noch da, und sie beschleunigt sich sogar. Jedes Zehntelgrad globaler Erwärmung zieht katastrophale Folgen nach sich.

Angesicht dessen, dass das Erdklima sich als noch sensibler gegenüber menschlichen Einflüssen zeigt als bisher angenommen, zählt grundsätzlich jedes vermiedene Kilogramm CO2. 2015 hat sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad bis Ende des Jahrhunderts zu begrenzen.

Die bestehenden Maßnahmen, die bislang diesem Ziel nicht genügen, nun auch noch abzuschwächen, bedeutet eine Kapitulation vor den Gewinninteressen der fossilen Industrie. Gegenüber den kommenden Generationen ist das schlicht unverantwortlich.

Die notwendige ökologische Transformation ist eine große Aufgabe, darum funktioniert sie nur über langfristige Planbarkeit. Wenn die Zielmarken immer wieder verschoben werden, entfällt jede Motivation, sie zu erreichen.

Die Automobilindustrie hat – wie andere Branchen auch – lange genug Zeit gehabt, die Dekarbonisierung ihres Angebots anzugehen und bis 2035 vorauszuplanen. Und wer sagt denn, dass die Hersteller nach der nächsten Vertagung bereit sind?

Wenn die Politik das Zeichen setzt, dass Klimaschutzvorgaben bereitwillig beiseite geräumt werden, wenn die Industrie nur genug jammert, kann sie keine Mitwirkung beim Klimaschutz erwarten, sondern nur noch mehr Jammern.

Dieses Signal wird dann auch an andere Branchen gesendet, an energieintensive Player wie die Stahlindustrie oder an die Banken – die inzwischen auf jeglichen grünen Anstrich verzichten und wieder munter in fossile Projekte investieren. Die Öl- und Gasindustrie hat ja schon genug Zeichen erhalten, dass sie um ihr Geschäftsmodell nicht allzu sehr bangen muss.

Währenddessen bauen diejenigen, die bei klimafreundlichen Technologien vorangehen, trotzdem ihren Vorsprung aus. Unsere Autoindustrie will ihr Pferd Verbrennungsmotor noch richtig totreiten – doch irgendwann wird sie auf dem toten Gaul sitzen bleiben, während die Konkurrenz auf dem jungen Pferd E‑Mobilität davonprescht.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Bei Donald Trump an sich sollte einen nichts mehr überraschen – wohl aber, dass einige Medien, auch deutsche, ihn tatsächlich als validen Kandidaten für den Friedensnobelpreis gesehen haben.

Er, der in seinem eigenen Land an allen Pfeilern der Demokratie sägt und inzwischen mit seiner Terrormiliz ICE einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt. Ich habe einige Videos aus den besetzten Städten wie Chicago und Portland gesehen, wie die vermummten, nicht gekennzeichneten Agenten wahllos Menschen von der Straße pflücken, offensichtlich nur, weil sie eine dunklere Hautfarbe haben.

Das hat nichts mehr mit einem Rechtsstaat zu tun, zu sehen ist ein Terrorstaat. Das einzig Hoffnungsvolle, das in diesen Videos auch immer wieder auftaucht, ist die Bevölkerung selbst: Menschen, die zusammenhalten, sich gewaltfrei und kreativ wehren.

Die Bilder von Protestierenden in Tierkostümen, die sich den bewaffneten Agenten mutig gegenüberstellen, zeigen einmal mehr, dass die Impulse für Veränderung und Verbesserung von unten gesetzt werden, durch Menschen, die sich zusammentun, organisieren und für die gerechte Sache kämpfen.

Dass der Friedensnobelpreis dann trotz allem Genöle von Trump am Ende an die venezolanische Politikerin María Corina Machado ging, die sich gegen alle Widerstände für Demokratie und Menschenrechte einsetzt, war entsprechend eher eine Erleichterung als eine Überraschung. Anscheinend ist in unserer Realität noch nicht alles kaputt.

Fragen: Jörg Staude