
Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Ralf Schmidt-Pleschka, Koordinator für Energie- und Klimapolitik beim Hamburger Ökostrom-Anbieter Lichtblick.
Klimareporter°: Herr Schmidt-Pleschka, die Autokaufprämie konnte bislang verhindert werden – der jüngste Autogipfel beschloss aber eine Lkw-Abwrackprämie. Sie soll Unternehmen dazu bringen, Nutzfahrzeuge mit dem Abgasstandard Euro III bis V gegen Euro-VI-Fahrzeuge auszutauschen, also quasi alte gegen neue Diesel. Ist das jetzt das Trostpflaster der Koalition für die Autobranche?
Ralf Schmidt-Pleschka: Die Autogipfel im Kanzleramt haben schon häufiger zu dubiosen Ergebnissen geführt, etwa Sigmar Gabriels Abwrackprämie oder das Gemauschel beim Abgasskandal. Das Trostpflaster Nutzfahrzeuge ist da eher leichtgewichtig.
Jetzt besonders alte Stinker gegen emissionsärmere Nutzfahrzeuge auszutauschen, senkt immerhin erst mal den Schadstoffausstoß. Gut ist es trotzdem nicht. Denn Absatzhilfen für Diesel sind ein Hemmschuh für die Entwicklung klimaverträglicher Antriebe.
Ganz ähnlich liegt der Fall bei den Hybridfahrzeugen. Auch die werden gefördert, obwohl sie kaum weniger CO2 freisetzen als konventionelle Verbrenner. Reine Elektroautos fahren dagegen klimaneutral, sofern sie ausschließlich Ökostrom, etwa von Lichtblick, tanken. Allein im letzten Oktober wurden aber fast dreimal so viele Hybride neu zugelassen wie reine Elektroautos.
Hier werden Steuergelder für das Festhalten an einer klimaschädlichen Technologie versenkt.
Mit der EEG-Novelle zerstören CDU und CSU alle Chancen, die Klimaziele noch einzuhalten, meinen Cornelia und Volker Quaschning in ihrem jüngsten Podcast. Doch immer mehr Menschen in der Union würden diese Politik ablehnen. Wie sind denn Ihre Erfahrungen aus den Gesprächen mit Unionspolitikern in Sachen Energiewende?
Die Mühlen in der Union mahlen langsam. Im Grunde wirkt in ihren Reihen bis heute noch nach, dass die Klimaleugner der AfD ihr lange Zeit das Leben schwer gemacht haben.
Die CSU stoppte den Windausbau in Bayern, als die AfD ihr Umfragehoch hatte. Die AfD-Wahlgewinne in Ostdeutschland haben in der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag alle Alarmglocken schrillen lassen. Das war die Stunde der Energiewendegegner in der Union. Und die geben immer noch den Ton an.
Meine Erfahrungen zeigen aber, dass bei vielen in der Union der Machterhalt höher im Kurs steht als Inhalte. Solange die Bürger:innen im Wahljahr vor allem mehr Klimaschutz fordern, sehe ich gute Chancen, dass der Einfluss der Klimafreund:innen in der Union deutlich wächst. Bislang kam von denen noch viel zu wenig.
Die energiebedingten CO2-Emissionen der G20-Staaten sind 2019 erstmals gesunken. Allerdings könnten die Corona-Konjunkturhilfen eine Trendwende zu sinkenden Emissionen verhindern, heißt es im Climate Transparency Report. Nachdem sich die Autoindustrie nun wieder über eine Finanzspritze aus Berlin freuen kann: Braucht die Erneuerbaren-Branche ebenfalls mehr Unterstützung, um die Pandemie durchzustehen?
Konjunkturhilfen für alte, umweltschädliche Technologien werden nicht dadurch besser, dass man auch den neuen, sauberen frisches Geld zuschießt. Geldmangel ist hier nicht wirklich das Problem. Denn überall auf der Welt boomen die Erneuerbaren – auch wenn Corona die Dynamik einbremst.
Die Internationale Energieagentur IEA geht davon aus, dass in vier Jahren weltweit mehr Strom aus Sonne und Wind stammen wird als aus Kohle oder Erdgas. Deutschland hat an diesem rasant wachsenden Erneuerbaren-Markt aber nur noch einen Mini-Anteil von rund zwei Prozent.
Um das zu ändern, müssten aus Sicht von Lichtblick die Ausbauziele für Wind- und Sonnenenergie verdoppelt werden, eine tragfähige Perspektive für Post-EEG-Anlagen und neue Photovoltaikanlagen geschaffen sowie ausreichend neue Flächen für Windparks genehmigt werden.
All das kostet die Steuerzahler so gut wie nichts und würde doch endlich auch die deutsche Erneuerbaren-Branche aus dem Sumpf ziehen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Ich war überrascht, wie klar die dem Bundesverkehrsministerium unterstehende neue "Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur" den eklatanten Mangel an öffentlichen Ladesäulen benannt hat. Bis 2030 fehlen bundesweit bis zu 800.000.
Um die Lücke zu schließen, müsste die Neubaurate von derzeit 50 auf über 1.500 pro Woche steigen, also auf mehr als das 30-Fache. Da frage ich mich, was eigentlich Andreas Scheuer zurzeit so macht?
Fragen: Jörg Staude