Im Kern ist wohl SPD-Generalsekretär Matthias Miersch schuld. Die Einigung auf das 500-Milliarden-Sondervermögen sei "ein starkes Zeichen für die Zukunft unseres Landes". Ohne moderne Infrastruktur und eine starke Wirtschaft werde Deutschland weder sicher noch klimaneutral, sagte Miersch der Süddeutschen Zeitung.

"Erstmals steht unser Ziel der Klimaneutralität 2045 im Grundgesetz", zitierte ihn das Blatt weiter. Mit den 100 Milliarden Euro, die in den Klima- und Transformationsfonds fließen sollen, werde der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft gestärkt.

 

So weit, zu behaupten, das Ziel Klimaneutralität mit konkreter Jahreszahl stehe nun im Grundgesetz, war Katharina Dröge nicht gegangen, die Fraktionsvorsitzende und Chefverhandlerin der Grünen. Beim Sondervermögen sei der Haushalts-Titel so geändert worden, dass nicht nur die Finanzierung von Infrastruktur, sondern auch die Finanzierung von Investitionen in Klimaschutz klar verabredet sei, fasste Dröge die Einigung mit Union und SPD zusammen.

"Wir haben im Grundgesetz verankert, dass diese Investitionen dem Ziel der Klimaneutralität 2045 dienen sollen", wiederholte die grüne Spitzenpolitikerin nahezu wortgleich die Formulierung im entsprechenden Antrag.

Der sieht vor, in den Artikel 143 des Grundgesetzes noch einen Absatz 143h einzufügen. In dem soll künftig stehen: Der Bund kann ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für "zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045" mit bis zu 500 Milliarden Euro errichten. Zusätzlichkeit liege dabei vor, wenn im jeweiligen Haushaltsjahr eine angemessene Investitionsquote im Bundeshaushalt erreicht werde.

Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ist bereits Staatsziel

Welcher rechtliche Stellenwert sich daraus für das Klimaneutralitätsziel ableitet – genau darum dreht sich die Debatte. Für CSU-Chef Markus Söder ist Klimaneutralität 2045 "definitiv" kein Staatsziel, wie der bayerische Ministerpräsident am Sonntagabend im ZDF erklärte. Auf Nachfrage verwies Söder darauf, dass Klimaneutralität 2045 bereits gesetzliches Ziel der Bundesrepublik ist und daher nicht als Staatsziel in der Verfassung zu definieren sei.

Tatsächlich legt das geltende Klimaschutzgesetz fest, dass die Treibhausgasemissionen so weit zu mindern sind, dass 2045 Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird. Netto-Treibhausgasneutralität muss nicht bedeuten, dass gar keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden, vielmehr müssen sich weitere menschengemachte Emissionen die Waage halten mit entsprechenden natürlichen oder technischen CO2-Senken.

Als Staatsziel leitet sich aus dem Grundgesetz nach allgemeiner juristischer Auffassung unter anderem der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ab (Artikel 20a). Gleiches gilt für die Verwirklichung eines vereinten Europas sowie die Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit und zur Völkerverständigung.

Ohne Klimaschutz sind die natürlichen Lebensgrundlagen nicht zu erhalten. Das leuchtet ein. Im deutschen Verfassungsrecht sei der Klimaschutz deswegen in Artikel 20a des Grundgesetzes als Staatsziel verankert, betont auch ein heute veröffentlichtes Gutachten mit dem Titel "Rote Linien des Rechts im Klimaschutz", das im Auftrag der Klima-Union erstellt wurde, eines Zusammenschlusses von Umweltpolitikern aus CDU und CSU.

Die Zeitvorgabe resultiert aus dem Paris-Abkommen

Diese Norm im Artikel 20a verpflichte den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen "im Bewusstsein der Verantwortung für künftige Generationen" zu schützen, heißt im Gutachten.

Die Frage ist allerdings, wie konkret sich aus der Norm auch zeitliche Vorgaben für künftige Klimapolitik ableiten lassen. Solange sich die Erderwärmung und insoweit auch die maßgeblichen wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Möglichkeiten nicht ändern, sei der Staat verpflichtet, einen effektiven rechtlichen Klimaschutz zu errichten und durchzusetzen, schreiben die Gutachter.

Der Bundestag entscheidet heute über eine Änderung des Grundgesetzes, die den Weg zum 500-Milliarden-Paket freimachen soll. (Bild: Brian Bukowski/Flickr)

Diese Pflicht ist Deutschland spätestens mit der Ratifizierung der 1992 beschlossenen UN-Klimarahmenkonvention eingegangen. Deren Ziel ist es, die Treibhausgaskonzentration auf einem Niveau zu stabilisieren, das eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert.

Daraus leitet sich noch nicht das Ziel der Klimaneutralität und noch weniger ein Zieljahr 2045 ab. Beides ergab sich erst mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Mit Blick auf dieses Abkommen müsse das nationale Recht einen bis zur Mitte des Jahrhunderts reichenden Pfad zur Treibhausgasneutralität definieren, betont das Gutachten der Klima-Union entsprechend.

Der Pfad zur Mitte des Jahrhunderts fußt letztlich auf Erkenntnissen der Klimawissenschaft. Sie fordert netto null Emissionen um 2050, um deutlich unter zwei Grad und möglichst bei 1,5 Grad globaler Erwärmung zu bleiben.

Darauf aufbauend hat die EU in ihrem Green Deal 2050 als Zieljahr für die Klimaneutralität festgeschrieben. Dass Deutschland sich auf 2045 orientiert, ist insofern tatsächlich eine Art Sonderverpflichtung. Diese resultiert aus der Klimaentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2021, die wiederum auf ein Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen Bezug nimmt.

Deutschland von Klimaneutralität 2045 weit entfernt

Die FDP wollte den Fünf-Jahres-Spielraum mit dem Verweis auf die europarechtliche Lage nutzen und das Klimaneutralitätsziel wieder auf 2050 verschieben. Diese Möglichkeit wird die neue Regierung vielleicht nicht mehr haben, wenn jetzt die Klimaneutralität zusammen mit der Jahreszahl 2045 in der Verfassung steht.

Für Emmanuel Schlichter ist es ein bedeutender Schritt, dass Klimaneutralität erstmals explizit mit einer konkreten Jahreszahl verknüpft wird. "Dennoch wird das Zieljahr 2045 nicht als verbindliches Verfassungsziel festgeschrieben, sondern bleibt auf einfachgesetzlicher Ebene durch das Klimaschutzgesetz verankert", betont der Klimafinanzierungs-Experte der Klimaorganisation German Zero gegenüber Klimareporter°.

Die Festschreibung des Zieljahres ist aus Sicht des Juristen Schlichter auch nicht zwingend erforderlich, da sich aus Artikel 20a des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Klimabeschluss des Verfassungsgerichts bereits eine entsprechende Verpflichtung ableite.

 

Die Verletzung der gesetzlichen Klimapflicht ist derzeit allerdings programmiert. Stand heute wird Deutschland das Ziel Klimaneutralität 2045 um Längen reißen. Die Debatte um das Staatsziel erscheint auch angesichts der Größe der zusätzlichen Klimagelder leicht müßig.

Die 100 Milliarden Euro sollen bekanntlich über zwölf Jahre in den Klima- und Transformationsfonds fließen. Das sind pro Jahr nur etwas mehr als acht Milliarden. Die würden nicht einmal reichen, um die Stromkosten um etwa fünf Cent pro Kilowattstunde abzusenken, wie im Sondierungspapier von Union und SPD vereinbart, und so die Dekarbonisierung der Industrie und – per E‑Auto – des Verkehrs zu fördern. Allein das kostet laut Berechnungen jährlich zehn bis elf Milliarden Euro – und das über mehrere Jahre.