Das Bild zeigt ein Kohlekraftwerk. Im Vordergrund stehen einige Windräder.

Das Kohlekraftwerk Mehrum am Mittellandkanal beliefert einen Großteil des Landkreises Peine und der östlichen Region Hannover mit Energie.

 (Foto:

Crux/Wikimedia Commons)

Union und SPD wollen das Klimaziel für 2020 kippen. Das "kurzfristige" Ziel lasse sich aus heutiger Sicht nicht mehr erreichen, heißt es dazu wörtlich in einem Klimareporter vorliegenden dreiseitigen Papier. Nun werde man "ein Maßnahmenpaket vereinbaren, mit dem die Lücke so weit wie möglich geschlossen und das Ziel am Anfang der 2020er Jahre erreicht wird". Zugleich solle das Minderungsziel 2030 unter Beachtung des "Zieldreiecks Sauberkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit ohne Strukturbrüche" erreicht werden.

Schon seit Monaten hatte sich angedeutet, dass Deutschland sein Klimaziel verfehlen würde. Zusammen mit dem Recherchenetzwerk Correctiv hatte Klimareporter im September die Klimaschutz-Lücke aufgezeigt und nachgezeichnet, warum das Klimaprogramm der Bundesregierung gescheitert ist.

2013 nahm sich die Bundesregierung vor, den jährlichen CO2-Ausstoß bis 2020 um 200 Millionen Tonnen zu reduzieren. Bis heute, nach etwas über der Hälfte der Strecke, sind erst 40 Millionen Tonnen geschafft. Bis 2020 müssten also noch 160 Millionen Tonnen eingespart werden. Das ist kaum noch zu erreichen.

Kohlekommission wird entscheidender Akteur

Entscheidendes Element der Sondierer-Strategie ist offenbar die schon im Klimaschutzplan 2050 angelegte sogenannte Kohlekommission. Das Gremium mit dem offiziellen Namen "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" soll laut dem dreiseitigen Papier bis Ende des Jahres ein "Aktionsprogramm" erarbeiten. Darin sollen enthalten sein:

  • Maßnahmen, um die Lücke zum Erreichen des 40-Prozent-Reduktionsziel bis 2020 so weit wie möglich zu reduzieren,
  • Maßnahmen, die das 2030er Ziel für den Energiesektor zuverlässig erreichen, einschließlich einer umfassenden Folgenabschätzung,
  • ein Plan zur "schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung", einschließlich eines Abschlussdatums und rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer und strukturpolitischer Begleitmaßnahmen, sowie
  • die finanzielle Absicherung des Strukturwandels in betroffenen Regionen und ein Fonds für Strukturwandel aus Mitteln des Bundes.

Auf dieser Grundlage soll dann nach dem Willen der Sondierer im kommenden Jahr ein Gesetz verabschiedet werden, das die Einhaltung des Klimaziels für 2030 sichert. Laut diesem Ziel hat Deutschland 55 Prozent seiner Treibhausgas-Emissionen gegenüber 1990 einzusparen.

Die Opposition reagierte auf das Klimaziel-Ausstiegs-Papier entsetzt: "Mit einer klimapolitischen Bankrotterklärung will die Groko weiterarbeiten", sagte der Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer gegenüber Klimareporter. "Mit der Aufgabe des 2020er Ziels wird das Scheitern der eigenen Klimapolitik offiziell eingestanden."

Darüber hinaus kritisiert Krischer, dass von einer sofortigen Stilllegung der ältesten Kohlekraftwerke keine Rede mehr sei – in den Jamaika-Sondierungen hatte die Union noch den Kompromiss mitgetragen, 7.000 Megawatt Braunkohlekapazität bis 2020 stillzulegen.

Sonderausschreibungen für Wind und Sonne

Stattdessen wollen die Verhandler die Ökoenergie-Ziele anpassen: Sie streben einen Anteil von etwa 65 Prozent Erneuerbaren für 2030 an. Konkret soll es dafür, heißt es in dem Papier, eine Sonderausschreibung geben, mit der bis 2020 acht bis zehn Millionen Tonnen CO2 eingespart werden sollen. Dabei sollen je 4.000 Megawatt Photovoltaik und Windkraft an Land sowie ein sogenannter "Offshore-Windenergiebeitrag" zusätzlich installiert werden, je zur Hälfte in den Jahren 2019 und 2020.

Der "Rest" des Papiers enthält energiepolitische Allgemeinplätze. Man wolle die "Marktfähigkeit" der Speichertechnologien durch Überprüfung rechtlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen unterstützen. Das von der vormaligen Groko – unter großem Brimborium – verabschiedete Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz soll erneut "umfassend modernisiert werden". Weiterhin soll überprüft  werden, ob eine "Reduzierung des Staatsanteils an den Stromkosten (insbesondere durch Absenkung der Stromsteuer/Stabilisierung der EEG-Umlage durch einen Kappungsfonds)" möglich ist.

Der Klimaexperte der Umweltstiftung WWF, Michael Schäfer, kritisiert, dass das Ergebnis der Sondierungsgruppe "weit" hinter das Wahlversprechen von Angela Merkel zurückfalle. Hier müsse die große Sondierungsrunde nachbessern. Schäfer findet aber positiv, dass die Verhandler "endlich ein Klimaschutzgesetz beschließen wollen und der Kohleausstieg zumindest durch eine Kommission auf die Tagesordnung der deutschen Politik kommt".

Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) zeigt sich überrascht, dass Union und SPD das Klimaziel für 2020 aufgeben, obwohl sie sich im Bundestag-Wahlkampf noch dafür ausgesprochen hatten. Ob das neue 65-Prozent-Ziel für Ökostrom bis 2030 eine reale Verbesserung darstellt, müsse sich erst noch zeigen, sagte BEE-Geschäftsführer Peter Röttgen gegenüber Klimareporter. "Derzeit sieht es so aus, dass die große Koalition auch das verpflichtende Erneuerbare-Energien-Ziel für 2020 verfehlen wird – ohne die Ärmel hochzukrempeln und engagiert Maßnahmen in die Wege zu leiten."

BDI will Klimaziel aufschieben

Parallel zu den beginnenden Sondierungsverhandlungen warnte die Industrie vor einer ambitionierten Klimapolitik in Deutschland und plädierte dafür, das Pariser Klimaabkommen erst später zu erfüllen. Nationale klimapolitische Schritte seien kontraproduktiv, weil dann Produktion ins Ausland verlagert werde und der Strompreis weiter steige, erklärte Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), laut Medienberichten. In der Energie- und Klimapolitik brauche es mehr Realismus und eine sachliche Debatte.

Das deutsche Klimaziel für 2020 sei nur noch schwer zu erreichen, sagte Kempf. Verantwortlich dafür seien auch veränderte Bedingungen wie der anhaltende Wirtschaftsaufschwung und die um zwei Millionen gestiegene Einwohnerzahl im Land. Zudem steige Deutschland, anders als seinerzeit geplant, 2022 aus der Atomkraft aus. 

Der BDI-Chef sprach sich zwar nicht für eine Aufweichung des Ziels aus und wiederholte, die Industrie stehe zum Paris-Abkommen. Dessen Ziele bezögen sich aber auf einen längeren Zeitraum. Für Mitte des Monats kündigte der BDI die Veröffentlichung einer großen Klimastudie an.

Indes können sich energieintensive Unternehmen auch in diesem Jahr über massive Nachlässe bei der EEG-Umlage freuen. Rund 1.900 Unternehmen mit insgesamt mehr als 2.400 Betrieben können in Deutschland damit rechnen, im kommenden Jahr unter die sogenannte "Besondere Ausgleichsregelung" zu fallen und nur eine reduzierte oder gar keine EEG-Umlage zahlen zu müssen, hatte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) kürzlich mitgeteilt.

Die Strommenge, für die die Rabatte beantragt wurden, stieg für 2018 sogar auf 114 Milliarden Kilowattstunden an. Im Vorjahr hatte die entlastete Strommenge bei 112 Milliarden und 2016 bei 113,5 Milliarden Kilowattstunden gelegen.

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