Michael Müller. (Bild: Martin Sieber)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Müller, als SPD-​Politiker bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, heute Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands.

Klimareporter°: Herr Müller, erneut geistert das Gebäudeenergiegesetz durch die deutschen Medien: Die Union will das Aus des sogenannten Heizungsgesetzes durchsetzen. Steht damit die kaum angelaufene Wärmewende schon wieder vor dem Aus?

Michael Müller: Ohne eine Wärmewende gibt es keinen wirksamen Klimaschutz. Diese Debatte führen wir bereits mehr als 30 Jahre. Das erste Mal sind Hermann Scheer und ich Mitte der 1990er Jahre mit einer Initiative für ein solares Wärmegesetz gescheitert.

Allerdings dürfen wir nicht nur über das jeweilige Ziel reden, der Weg dahin muss in seinen Zusammenhängen klar definiert und sozial verträglich sein. Weil das oftmals nicht der Fall war, ist leider viel Schaden angerichtet worden.

Letzte Woche war ich auf einer Veranstaltung in Bochum-Langendreer. Dort wohnen fast 90 Prozent der Einwohner in Mietwohnungen, oft in einfachen Verhältnissen. Für die Leute dort muss ein Wärmegesetz sozial akzeptabel sein, sonst besteht die Gefahr, dass dem Klimaschutz drastisch geschadet wird und die Falschen von den Konflikten profitieren.

Ich kann nicht sagen, was aus den Koalitionsverhandlungen herauskommen wird. Die Arbeitsgruppen, über die in den Medien berichtet wird, stehen mit ihren Ergebnissen alle unter dem Vorbehalt der Beratungen in der Haupt- oder Leitungsgruppe. Die Erfahrungen nach den letzten Wahlen haben gezeigt, dass sich noch viel ändern kann.

Es gilt also, öffentlich Stimmung zu machen für den Klimaschutz, und zwar für die unabdingbaren Eckpunkte einer umfassenden Reformstrategie, zu der eine ökologisch nachhaltige und sozial verträgliche Wärmewende unbedingt dazugehört.

Auch im Energiesektor stehen die Zeichen auf weniger Klimaschutz. Der Kohleausstieg soll nicht auf 2030 vorgezogen werden, dafür sollen jede Menge neue Erdgaskraftwerke gebaut und die auch von Friedrich Merz schon einmal totgesagte Atomkraft nochmals auf Lebenszeichen überprüft werden. Bleibt die Energiewende auf Kurs oder zeichnen sich neue Umwege ab?

Auch das ist angesichts der Verhandlungsmodalitäten schwer zu beantworten. Richtig ist, dass der für Umwelt- und Klimapolitik in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zuständige Andreas Jung verdächtig ruhig ist.

Ich befürchte auch, dass sich in der Union die Bremser durchgesetzt haben. Noch vor wenigen Jahren wurden Gaskraftwerke als Regelkraftwerke gesehen. Das war auch sinnvoll. Jetzt ist durch den Ukraine-Krieg, aber auch durch den Aufstieg der Erneuerbaren die Situation anders geworden.

Erneut zeigen sich die beträchtlichen Schwierigkeiten, weil es keine umfassende, in sich stimmige Klimaschutzpolitik gibt. Man kann daran verzweifeln. Ich weise auch darauf hin, dass es ein Fehler war, das Umweltministerium in der letzten Legislaturperiode nicht gestärkt und zu einem Nachhaltigkeitsministerium mit erweiterten Rechten gemacht zu haben.

Die Aufteilung auf mehrere Ampel-Ministerien hat den Klimaschutz nicht gestärkt, da sie alle – außer dem Umweltministerium – vor der vierfachen Herausforderung standen, sich erst im Haus, dann gegen die anderen Klimaministerien und schließlich in der Bundesregierung und im Bundestag durchzusetzen.

Ein starkes Umweltministerium mit klarem Arbeitsauftrag und starker Personalausstattung wäre besser gewesen.

Völlig verrückt sind die Ideen zur "Wiederbelebung" der Atomkraft. Nicht nur, weil selbst die Energieunternehmen damit abgeschlossen haben, sondern weil die zeitlichen und finanziellen Voraussetzungen gar nicht gegeben sind.

Eine "Neubelebung" der Atomkraft müsste den Anforderungen des Atomgesetzes gerecht werden, wie es zuletzt unter Kanzlerin Merkel galt. Danach müssen die Auswirkungen von "Unfällen" auf die Anlage beschränkt bleiben.

Das stand damals im geänderten Atomgesetz aufgrund von Zusagen der Atomwirtschaft an die Bundesregierung, neue AKW seien inhärent sicher. Das war das Versprechen der sogenannten EPR-Reaktoren.

In der Zwischenzeit sind die Einschätzungen realistischer. Und es gibt die konkreten Beispiele, dass der EPR ein Vielfaches mehr kostet als veranschlagt und dass auch die Bauzeiten alle Vorhersagen weit übertroffen haben.

In Frankreich und Großbritannien sind es wahrscheinlich vor allem militärische Gründe, warum an diesen wahnwitzigen Atomplänen festgehalten wird.

Umweltverbände sind besorgt über den Versuch der Union, einen Teil der deutschen Klimaziele über fragwürdige CO2-Gutschriften aus anderen Staaten erreichen zu wollen. Worin liegt dabei die Gefahr?

Auch diese Debatte ist nicht neu, immer wieder wird versucht, sich der eigenen Verantwortung für den Klimaschutz durch eine Verlagerung der Aktivitäten auf kostengünstige Alternativen zu entziehen. Nicht selten sind das fragwürdige Beziehungen.

Alle diese Vorschläge machen es schwerer, Klimaschutz im eigenen Land zu verwirklichen. Der Druck wird geringer.

Deshalb müssen die Anforderungen in allen Staaten in dem notwendigen Umfang selbst geleistet werden, statt sie zu verlagern. Das Abschieben auf Dritte ist ein Angriff auf unsere Klimaschutzstrategie und auf unsere nationale Verantwortung.

Beim Petersberger Klimadialog von 40 Staaten in Berlin gab es wenig Handfestes, aber immerhin starke Bekundungen zur internationalen Zusammenarbeit und den Pariser Klimazielen. War angesichts des Ausstiegs der USA von diesem Treffen ohnehin nicht viel zu erwarten?

Die ganzen Konferenzen und Dialoge müssen prinzipiell in ihrer Wirksamkeit hinterfragt werden.In der Regel haben sie keine nennenswerten Ergebnisse, laufen allerdings immer nach denselben Mechanismen ab, sodass im Schlussdokument wieder große Ankündigungen für das nächste Zusammentreffen gemacht werden.

Wenn sich die Staaten beim Petersberger Klimadialog zu den Pariser Klimazielen bekennen, ohne wirklich zu debattieren, wie sie dort hinkommen wollen, und ohne entsprechende Vorschläge zur Überarbeitung der Regeln zu machen – mit konkreten Zielen und durchsetzungsstarken Strategien –, dann bleibt ein solcher Dialog ein Papiertiger.

Dafür ist das Thema zu ernst. Das wichtigste Pariser Klimaziel, das 1,5-Grad-Ziel, ist schon gerissen. Was bedeutet das? Große Akteure steigen aus oder wollen aussteigen oder bleiben hinter den Vorgaben zurück. Was heißt das für die Weltgemeinschaft?

Drei denkbare Schlussfolgerungen sollten debattiert werden: Erstens, die Ziele gemäß den Anforderungen zu überarbeiten und eine Nichtverfolgung zu sanktionieren.

Zweitens ein zweiter Erdgipfel à la Rio de Janeiro 1992 unter Beteiligung möglichst aller Staats- und Regierungschefs, der eine schonungslose Bestandsaufnahme vornimmt und Vorgaben für Sanktionen verabschiedet, die ein Umsteuern bewirken.

Sowie drittens eine stärkere Verlagerung der Klimastrategien auf geo-regionale Verbünde wie die EU und andere.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Ich bin überrascht, welche Kreativität verschiedene Bundesministerien für die "Aktion Abendsonne" entwickeln, also vor allem der Beförderung kurz vor Schluss. Wer wurde da zuletzt vor Ende der Wahlperiode noch alles befördert, wie wurden die "Freunde" und "Freundinnen" versorgt und wie wurden die Stellenpläne verändert und erweitert?

Unglaublich. Ich bin entsetzt darüber. Warum ist eine solche Kreativität nicht der Standard bei wichtigen politischen Aufgaben statt bei der "Eigenversorgung" oftmals vieler Parteifreunde?

Fragen: David Zauner