Monteure laden Rohre für die Nord-Stream-Pipeline ab.
Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen bedeutet auch den Erdgasausstieg. Wer investiert da noch in Pipelines? (Foto: Nord Stream)

Ganz up to date ist die Website der Nord Stream 2 AG im Moment nicht. Wird Strom aus Erdgas statt aus Kohle erzeugt, entstehe bis zu 50 Prozent weniger CO2, heißt es dort, dann aber liest man: Der Wechsel von Kohle zu Gas könne der EU helfen, die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent zu senken.

Nun, aus der 40-prozentigen EU-Reduktion ist inzwischen eine um 50 bis 55 Prozent geworden. Ob und wie Deutschland da bei den eigenen Zielen aufstocken will oder muss, ist noch nicht klar. So oder so aber wird Erdgas beim Kohleausstieg eine große Rolle spielen, so sieht es jedenfalls das Kohleausstiegsgesetz vor.

In dem Gesetzentwurf, der kommende Woche endlich ins Kabinett soll, kommen zwar Windkraft und Solarstrom immer noch nicht vor – dafür aber Millionen-Zuschüsse, mit deren Hilfe bisher kohlegefeuerte Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) vor allem auf Erdgas umgestellt werden soll.

Laut Gesetzesvorlage erhalten Betreiber, die in einer KWK-Anlage Strom aus Braunkohle- oder Steinkohleverbrennung erzeugen und diese auf Abfall, Abwärme, Biomasse oder gasförmige oder flüssige Brennstoffe umstellen, eine Einmalzahlung von 180 Euro je Kilowatt Leistung, den sogenannten Kohleersatzbonus.

Für den Erdgasfall rechnet der Gesetzentwurf vor, dass der Betreiber einer Gas-KWK, die eine Kohle-KWK mit einer elektrischen Leistung von 100 Megawatt ersetzt, zusätzlich zur KWK-Grundförderung einen Kohleersatzbonus von einmalig 18 Millionen Euro überwiesen bekommt.

"Südbonus" für Bayern und Baden-Württemberg

Erdgas scheint das Mittel der Wahl zu sein, um die Energiewende gerade auch den beiden Südländern Baden-Württemberg und Bayern schmackhaft zu machen. Diese befürchten nämlich, mit dem Atomausstieg und ihrem schwachen Ausbau der erneuerbaren Energien von den Nordländern energetisch abhängig zu werden.

Dann doch lieber aufs Erdgas setzen. Deswegen ist im Kohleausstiegsgesetz ein spezieller Südbonus enthalten. Mit diesem soll, heißt es im Gesetz, ein Anreiz für mehr KWK-Leistung in Süddeutschland geschaffen werden – und zwar beim Strom.

Der Südbonus soll demnach den Aufwand kompensieren, der dem Betreiber entsteht, wenn er den Stromteil der KWK-Anlage überdimensioniert. Normalerweise wird KWK, um effizient zu sein, nämlich wärmegeführt, das heißt: Es wird nur so viel Strom erzeugt, wie die Wärme hergibt.

Gewünscht vom Gesetzgeber ist aber, dass der Stromteil um zehn bis 20 Prozent über dem Wärmeteil liegt, also "überdimensioniert" wird. Weitere Bedingung für den Südbonus ist, dass der zusätzliche Strom ins öffentliche Netz eingespeist wird. Und der Standort der KWK-Anlage muss südlich einer gedachten Linie sein, die im Wesentlichen den Landesgrenzen von Baden-Württemberg und Bayern folgt.

Wirkung schwer abschätzbar

Inwieweit die Bonusse zu einem schnelleren Umstieg von Kohle auf Gas führen, lässt sich schwer abschätzen. Nach Angaben verschiedener, meist etwas älterer Untersuchungen, so einer Studie der DBI Gas- und Umwelttechnik Leipzig im Auftrag des Shell-Konzerns von 2017, liegen die Kosten der Umrüstung von Steinkohle-Heizkraftwerken auf Erdgas zwischen 400 und 2.000 Euro je Kilowatt.

Der Neubau eines Gaskraftwerks schlägt nach laut einer Vergleichsstudie der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) mit 420 bis 1.000 Euro je Kilowatt zu Buche.

Aus den Zahlen lässt sich schließen, dass die Bonusse bei KWK-Anlagen in südlichen Gefilden die Umstiegskosten bis etwa maximal zur Hälfte ersetzen können.

Die DBI-Shell-Studie schätzt auch, dass es erst bei einem CO2-Preis von 70 Euro je Tonne einen Anreiz gibt, von Braunkohle-KWK auf Erdgas umzusteigen, bei Steinkohle-KWK soll dieser Wert schon bei 30 Euro liegen.

Der hohe Wert bei der Braunkohle erklärt sich sicher auch daraus, dass Erdgas ebenfalls Emissionen verursacht, für die die Betreiber CO2-Zertifikate einkaufen müssen. Im Unterschied zu den Erneuerbaren besitzt Erdgas hier nur einen relativen Preisvorteil. Dennoch ging 2019 im Vergleich zu 2018 der Anteil der Kohleverstromung am deutschen Strommix um acht Prozentpunkte zurück, während Erdgas um zwei Prozentpunkte zulegte – ein Indiz, dass der CO2-Preis auch hier zu wirken beginnt.

Erdgaswirtschaft sieht sich im Aufwind

Der Lobbyverband Zukunft Erdgas begrüßt jedenfalls die Bonus-Regelungen. Diese gäben den Unternehmen einen "Anreiz, in emissionsarme, gasbetriebene KWK-Anlagen zu investieren". Angesichts des Kohle- und Atomausstiegs benötige Deutschland künftig deutlich mehr solcher Anlagen.

Kurz nach dem Kohlekompromiss hatte der Lobbyverein schon mal ausrechnen lassen, dass ein vollständiger Ersatz allein der bis 2022 anstehenden Stilllegungen von Kohlekraftwerken den deutschen Gasbedarf um bis zu acht Prozent ansteigen lassen würde.

Zuletzt verbrauchte Deutschland nahezu 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr. Ein Mehrverbrauch von acht Prozent entspricht etwas über sieben Milliarden Kubikmetern. Nord Stream 2 soll maximal 55 Milliarden Kubikmeter Gas transportieren können, das reicht für die deutschen Erdgasträume auf jeden Fall hin – wenn die Pipeline denn einmal wirklich in Betrieb geht.

Anzeige