Porträtaufnahme von Ralf Schmidt-Pleschka.
Ralf Schmidt-Pleschka. (Foto: Lichtblick)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Ralf Schmidt-Pleschka, Koordinator für Energie- und Klimapolitik beim Hamburger Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Schmidt-Pleschka, seit Wochen debattiert gefühlt die ganze Republik, ob die deutschen AKW nicht doch länger laufen sollen – während in Frankreich die Hälfte der überalterten Atomflotte stillsteht und Großbritannien sich gegen Laufzeitverlängerungen entscheidet. Nun zeigt sich auch Kanzler Scholz offen für eine längere Nutzung der Atomkraftwerke. Setzt sich die FDP mal wieder in der Ampel durch? 

Ralf Schmidt-Pleschka: Na ja, die "ganze Republik", das sind hier vor allem FDP und Union. Das sind genau die Parteien, die vor gut zehn Jahren mit ihrer Laufzeitverlängerung die Energieversorgung in eine Krise gestürzt haben. Merkwürdig, dass sie daraus offenbar nichts gelernt haben.

Der Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke verlängert das Risiko eines Atomunfalls, schafft neuen Atommüll und reißt den alten Gesellschaftskonflikt wieder auf. Alle Kosten und Risiken müssten die Steuerzahler:innen tragen. Auf der Habenseite würde eine marginale Verringerung des Gasverbrauchs um weniger als ein Prozent stehen. So was nennt man wohl ein dickes Verlustgeschäft.

Im Unterschied zur FDP wartet der Bundeskanzler zumindest die Ergebnisse des Stresstests für die Stromversorgung unter verschärften Bedingungen ab. Christian Lindner weiß dagegen offenbar schon lange, wie es geht – dafür braucht er keine Faktenbasis.

Das Verkehrsministerium hat ein Problem: Laut Klimaschutzgesetz werden die CO2-Einsparungen von E-Autos der Energiewirtschaft gutgeschrieben – nicht dem Verkehrssektor mit seinen viel zu hohen Emissionen. Nun drängt die FDP darauf, das Klimagesetz zu ändern, damit ihr Ressort besser dasteht. Was sagt jemand wie Sie aus der Energiewirtschaft dazu?

So ganz verstehe ich das Problem nicht. Privathaushalten wird im Klimaschutzgesetz auch nicht ihre über den Stromverbrauch freigesetzte CO2-Last zugerechnet. Diese Emissionen landen bei der Energiewirtschaft, ebenso wie die Emissionsminderung durch den Ausbau erneuerbarer Energien. Warum das bei der E-Mobilität anders sein soll, erschließt sich mir nicht.

Verkehrsminister Wissing muss beim Klimaschutz nachlegen – das erscheint mir zielführender, als wenn er seine Klimabilanz mit Maßnahmen schönrechnet, für die er nichts kann und die seine FDP bis vor Kurzem noch abgelehnt hat. Vielleicht denkt er ja dann auch noch einmal über ein Tempolimit nach.

Namhafte Klimaforscher:innen um Hans Joachim Schellnhuber warnen vor den katastrophalen Risiken der Klimakrise, die bis zum Zusammenbruch der Zivilisation führen kann. Sie fordern mehr Forschung zu den schlimmstmöglichen Folgen der Erderwärmung. Haben sie recht?

In den Berichten des Weltklimarates stehen extreme Klimaszenarien in der Tat nicht im Mittelpunkt. Ein derart vielfältig zusammengesetztes Gremium neigt halt zu Kompromissen.

Auf der anderen Seite ist das aber auch genau die Stärke. Unter den IPCC-Berichten stehen nicht nur einzelne Wissenschaftler:innen, sondern die gesamte Wissenschaft. Ich finde die Berichte deshalb aber nicht verharmlosend. Mich hat der letzte IPCC-Bericht jedenfalls extrem aufgeschreckt.

Ich halte es aber für völlig richtig, sich intensiv mit den sich abzeichnenden Extremen der Klimakrise auseinanderzusetzen. Wir laufen möglicherweise auf eine Erhitzung von über drei Grad Celsius zu. Darauf müssen wir uns vorbereiten.

In dieser Hitze-Welt ist es nicht getan mit dem Aufstellen von Solar- und Windanlagen, sondern es wird ein Überlebenskampf stattfinden, der Politik und Gesellschaft weltweit vor noch nie gekannte Herausforderungen stellt. Ich bin sicher, dass die Klimawissenschaft hier Lösungswege aufzeigen kann. Dafür sollte sie die notwendige Unterstützung unbedingt erhalten.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Dass es kurz vor knapp doch noch einen aussichtsreichen Vorschlag für eine Anschlussregelung zum Neun-Euro-Ticket gibt. Überraschend ist dabei, dass er nicht von den zuständigen Bundesministerien für Verkehr und für Finanzen kommt, sondern von den Grünen.

Fragen: Verena Kern

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