Schilder in den Händen, Kampfgeist in den Gesichtern: Schüler demonstrieren bei
Fridays for Future: Einige Aktivist:innen der Protestbewegung sind an den Klagen beteiligt. (Foto: Jörg Farys/​Fridays for Future/​Flickr)

"Ich habe Angst, in einem Alltag leben zu müssen, der von Dürren, von Überschwemmungen und von Hitze geprägt ist. Wenn ich mir die Hitzesommer der letzten Jahre anschaue oder jetzt die Überflutungen in Niederbayern, dann habe ich die Befürchtung, dass das bloß Vorboten sind einer noch dunkleren Zukunft", sagt David Schiepek aus dem fränkischen Dinkelsbühl.

Der 19-jährige Lehramtsstudent hat den Freistaat Bayern am vergangenen Freitag verklagt. Gemeinsam mit neun anderen jungen Menschen reichte Schiepek Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

Weitere Verfahren laufen vor dem Verfassungs- und dem Verwaltungsgerichtshof des Bundeslandes. Unterstützt werden die Kläger:innen von der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

Die Kläger:innen argumentieren, das Klimaschutzgesetz von Bayern reiche nicht aus, weil Ziele und Struktur des Gesetzes mangelhaft seien. "Das Grundgesetz gibt Bayern die Verantwortung und die Verpflichtung, etwas für den Klimaschutz tun, damit auch künftige Generationen in einer ökologisch intakten Umwelt und in Freiheit eben können", sagt Schiepek. Das Klimaschutzgesetz leiste das aber nicht.

Bayern hat sich Ende vergangenen Jahres ein Klimaschutzgesetz gegeben. Demnach will Bayern bis 2050 klimaneutral werden, der CO2-Ausstoß soll bis 2030 um 55 Prozent sinken, das Bezugsjahr ist 1990. Darüber hinausgehende Ziele, etwa auf kommunaler Ebene, fehlen. Eine wirksame Kontrolle, ob die wenigen konkreten Ziele erreicht werden, sowie Maßnahmen für den Fall einer Verfehlung sind auch nicht im Gesetz festgeschrieben.

Umweltschützer:innen bemängeln die fehlende Vereinbarkeit mit dem Pariser Klimaabkommen, das eine Begrenzung der Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad, am besten auf 1,5 Grad vorsieht.

Die Klagen gegen Bayern sowie gegen Brandenburg und Nordrhein-Westfalen kommen nur zwei Monate nach dem wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Klimaschutzgesetz von Deutschland in Teilen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ernsthaften Klimaschutz auf die Zeit nach 2030 zu verschieben bedrohe die Freiheitsrechte künftiger Generationen und stehe deshalb dem Grundgesetz entgegen, hatten die Karlsruher Richter:innen ihren Spruch begründet.

"Der Bund hat nur beschränkte Möglichkeiten"

"Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Pariser Klimaschutzziel deutsches Verfassungsrecht ist", sagt der Anwalt Remo Klinger, der die DUH bei den Klagen unterstützt hat. Deutschland sei verfassungsrechtlich verpflichtet, seinen angemessenen Anteil zu einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf möglichst 1,5 Grad zu erbringen.

Zudem bestehe die Gefahr, dass erhebliche Grundrechtsbeschränkungen ab 2030 nötig werden. Deshalb müsse gesetzlich klar geregelt werden, dass es nicht zu diesen drastischen Freiheitsbeschränkungen kommen könne.

"Im föderalen Staat ist der Bund nur eine Seite der Medaille. Man kann und muss das auch auf die Bundesländer übertragen", sagt Klinger. Auch, weil der Bund in etlichen Bereichen keine Vollzugsbehörden habe und die Zuständigkeit bei den Ländern liege, etwa bei der Windenergie.

Oder beim Verkehr: Der Expertenrat für Klimafragen geht davon aus, dass der Verkehr mehr CO2 als zulässig verursachen wird. "Der Bund hat nur beschränkte Möglichkeiten, er kann ein Tempolimit einführen", sagt Klinger. Das könne etwa zwei Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen. Für darüber hinausgehende Einsparungen sei der Bund aber auf die Länder und Kommunen angewiesen.

Das gelte etwa für Verbesserungen beim ÖPNV, die Einführung von 365-Euro-Tickets, einer City-Maut oder auch einer Nullemissionszone, wie Berlin sie gerade prüft. "Der Bund kann nur hoffen, dass die Länder solche Maßnahmen umsetzen – und aus verfassungsrechtlichen Grünen können es nur die Länder machen", betont Klinger.

Die Klimaschutzgesetze von Bundesländern wie Bayern geben das aus Sicht der Kläger:innen allerdings noch nicht her. Deshalb wollen sie nun den Ländern Beine machen.

NRW hat sein Klimagesetz gerade aufgeweicht

Ein Kandidat hierfür ist auch Nordrhein-Westfalen, das sich gerade ein neues Klimaschutzgesetz gegeben hat. Darin übernimmt NRW die Einsparziele des Bundes, darunter das Klimaneutralitätsziel für 2045. Neben konkreten Maßnahmen fehlen dabei aber Vorgaben, welcher Bereich – wie Verkehr, Gebäude oder Energie – wie viel CO2 bis wann einsparen muss.

"Nordrhein-Westfalen hat es in der vergangenen Woche geschafft, sein Klimaschutzgesetz nochmal deutlich zu verschlechtern", meint Anwalt Klinger. Die Instrumentarien in dem Gesetz habe man "komplett zerschossen". Sämtliche Fristen seien aus dem Gesetz herausgefallen.

Deshalb wollen vier Kinder und junge Erwachsene gegen das neue NRW-Klimagesetz Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen, sobald das Gesetz veröffentlicht und damit in Kraft getreten ist.

Auch Brandenburg sieht sich einer Verfassungsbeschwerde gegenüber. "In Brandenburg kommt die Landesregierung ihrer Aufgabe, für das Wohl ihrer Bevölkerung zu sorgen, nicht nach", sagt Emma Johanna Kiehm aus Neuruppin. Deswegen verklagen Kiehm sowie sechs weitere junge Menschen und drei von der  Klimakrise besonders betroffene Grundstückseigentümer:innen nun die Landesregierung.

Der Grund: Brandenburg hat kein Klimaschutzgesetz. Das Land will sich lediglich einen Klimaschutzplan geben, der vom kommenden Jahr an gelten soll. "Das ist ein rein innerbehördliches Papier", sagt Anwalt Klinger. Eine Rechtsverordnung schaffe keine ausreichende Bindung – deshalb müsse die Frage gesetzlich geregelt werden.

Anzeige