Immer wieder sonntags: Unsere Herausgeber erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Müller, als SPD-Politiker bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, heute Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands.
Klimareporter°: Herr Müller, der Deutsche Gewerkschaftsbund hat seine ursprüngliche Zustimmung zum Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung auf dem DGB-Bundeskongress abgeschwächt und bezeichnet den Plan jetzt nur noch als verhandelbare "Arbeitsgrundlage". Warum ziehen die Gewerkschaften offenkundig die Jobs von gestern denen von morgen vor?
Michael Müller: Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hat sich in den letzten zwei Jahren bemüht, Brücken zur Umweltbewegung zu schlagen. Ich bedaure sehr, dass er für seine Anstrengungen – auch bei der Wahl – nicht die Unterstützung in den Gewerkschaften bekommen hat, die dieses Vorhaben verdient, wobei die Situation in den einzelnen Gewerkschaften sehr unterschiedlich ist.
Die Gewerkschaften waren schon mal viel weiter. Sie waren sogar mal ein Wegbereiter in der Umwelt- und Wachstumsdebatte. Heute nur schwer vorstellbar.
Beim "Parlament der Arbeit", wie der alle vier Jahre stattfindende DGB-Bundeskongress auch genannt wird, gab es zwar eine Grundsatzrede des Vorsitzenden, die eine Verbindung aus Tradition und Aufbruch war. Doch der Kongress zog beim Umwelt- und Klimaschutz die Bremse. Die Gewerkschaften hatten früher den Anspruch, sowohl Schutzmacht der Arbeiter als auch Motor des gesellschaftlichen Fortschritts zu sein. Heute überwiegen syndikalistische Status-quo-Interessen.
Tatsächlich zeigt sich aber auch die Schwäche der Umweltpolitik. Auch die Debatte um den Dieselskandal erreicht nicht den Kern einer notwendigen sozial-ökologischen Transformation. Die Gewerkschaften sehen darin eher eine Bedrohung als die Chance für einen neuen Aufbruch.
Das gilt besonders für den Klimaschutz und die Energiewende. Dabei bleibt auch der Klimaschutzplan 2050 schon deutlich hinter dem zurück, was notwendig ist.
In die gleiche Richtung wird es wohl bei der geplanten Kohle-Kommission gehen: Jobs vor Klima. Ein vorläufiges Mandat, das von Wirtschafts- und Umweltministerium erarbeitet wurde, legt das nahe. Kann man dieses Gremium klimapolitisch noch ernst nehmen?
Bei der Kommission muss es aus meiner Sicht um die Anerkennung der naturwissenschaftlichen Fakten gehen, also um die CO2-Frage. Die Frage lautet, ob wir das Wissen um die Klimagefahren endlich ernst nehmen.
Natürlich geht es da nicht allein um die Kohle, auch um Öl, Gas, die industrialisierte Landwirtschaft oder den Umgang mit Wäldern und Böden. Aber der Ausstieg aus der Kohle ist die strategische Frage, wie und ob es mit dem Klimaschutz weitergeht.
Es ist bekannt, was zu tun ist, um unserer Verantwortung gerecht zu werden. Trotzdem stand von Anfang an bei der Kohlekommission nicht die Expertise des Umweltministeriums im Zentrum, sondern die Federführung durch das Wirtschaftsministerium.
Der Kohleausstieg darf aber keine "Tarifverhandlung" um das Ausstiegsdatum sein, vielmehr muss es um die Frage gehen, wie dieser Ausstieg, der schnell erfolgen muss, regional und sozial verträglich abgesichert werden kann. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass nicht die Menschheitsherausforderung Klimaschutz im Mittelpunkt der Kommissionsarbeit stehen wird, sondern das Hinauszögern eines klimazerstörenden Zustands.
Die Umweltverbände können das nicht mitmachen. Deshalb muss erstens der Ausgangspunkt für den Auftrag der Kommission eindeutig der Klimaschutz sein, zweitens darf die Leitung der Kommission nicht einseitig von Kohlevertretern besetzt werden.
Und drittens muss die Politik die Bereitschaft zeigen, einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag für den Umbau bei der Kohle bereitzustellen – statt Milliarden in den Rüstungsetat zu pumpen.
Wirtschafts- und Umweltministerium liegen auch noch woanders im Clinch: Es geht um die im Koalitionsvertrag versprochenen Sonderausschreibungen für Ökostromprojekte, die CDU-Wirtschaftsminister Altmaier im Gegensatz zur SPD-Umweltministerin Schulze offenbar streichen will. Zuvor hatte die Regierung ganz schmerzlos das Klimaziel für 2020 abgesagt, und zwar schon im Koalitionsvertrag. Wird der Rückzieher zum Stil der Groko?
Mich besorgt es sehr, dass der Umweltschutz so stark in die Defensive geraten ist, übrigens schon seit einiger Zeit und nicht nur in der Politik. Generell wurden die ökologischen Themen an den Rand gedrückt.
Das liegt auch daran, dass es heute um mehr geht als um additiven Umweltschutz. Wir müssen endlich Ernst machen – es ist nicht nur der Energiebereich, wo die Wende nicht klappt.
Meines Erachtens ist die Einhaltung von Wachstumsgrenzen die größte Herausforderung unserer Zeit. Fortschritt kann nicht mehr das Schneller, Höher, Weiter sein. Der Umgang mit den ökologischen Fragen entscheidet über den inneren und äußeren Frieden.
Ich habe den Eindruck, dass die Politik allgemein und die Parteien besonders damit überfordert sind. Sie sind bestenfalls die Reparateure einer niedergehenden Zeit, aber zur sozial-ökologischen Transformation nicht fähig. Dabei wäre das auch die notwendige Politik, um wieder zu einer kulturellen Deutungshoheit zu kommen, die den Nationalismus und Rassismus zurückdrängt.
Und es wäre auch eine Chance, der EU ein starkes Profil zu geben. Wenn gerade die SPD das nicht begreift, wird sie in den Umfragen weiter absinken.
Der renommierte Klimaforscher Johan Rockström hat im Klimareporter-Interview gefordert, man solle mit der Debatte um Klimaleugner keine Zeit verschwenden. In vielen Staaten, auch hierzulande mit der AfD, sitzen die aber mittlerweile in den Parlamenten – kann man das einfach ignorieren?
Das halte ich für falsch, denn die Leugner und Ignoranten haben ein gesellschaftliches Umfeld. Die AfD ist eine Gegenbewegung, die Fehlentwicklungen, Ängste und Verunsicherungen von konservativ-reaktionärer Seite aufgreift, um damit Stimmungen zu erzeugen.
Von daher müssen wir klarmachen, was hier passiert. Es geht weniger um die neue deutsche und europäische Rechte, sondern zuvorderst um die Wirkungen, die diese schräge Truppe bei verunsicherten Bürgerinnen und Bürgern erzeugt. Die Umweltdebatte darf keine Einflüsse von rechts außen zulassen, sondern muss gesellschaftspolitisch erweitert werden.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Die Rote Liste der weltweit gefährdeten Tier- und Pflanzenarten wird länger und länger. Letzte Woche listete die Weltnaturschutzunion IUCN auf, dass mittlerweile 5.385 Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Weitere 20.000 Arten gelten als gefährdet oder stark gefährdet. Der Klimawandel wird diese Entwicklung beschleunigen und verschlimmern. Schon ein Unterschied von einem halben Grad kann für viele Arten eine Frage des Überlebens in ihrem Lebensraum sein.
Darüber wurde fast überhaupt nicht berichtet.
Fragen: Susanne Schwarz