Es bereitet einem schon fast physische Schmerzen mitansehen zu müssen, wie wir uns Tag für Tag weiter vom Klimaziel für 2020 entfernen, weil die geplante Kohlekommission nach wie vor vor sich hindümpelt. Statt dass es unter der neuen Regierung nun endlich mit Hochdruck losgeht, zumal die Ergebnisse bereits Ende des Jahres vorliegen sollen, soll die Kommissionsarbeit erst vor der Sommerpause beginnen.
Noch besorgniserregender ist, dass man den Eindruck gewinnt, mit jedem Tag verabschiede sich die Kommission weiter von ihrer ursprünglichen Idee. Damit das Ganze nicht zur Alibi-Veranstaltung verkommt, braucht es schnellstens ein vernünftiges Arbeitsmandat.
Umbau in den Regionen muss im Mittelpunkt stehen
Sinn und Zweck der bereits im November 2016 im Rahmen des "Klimaschutzplans 2050" aufs Gleis gesetzten Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Regionalentwicklung" (die aber über eine Stabsstelle und unveröffentlichte vorbereitende Studien nie hinausgekommen ist) war es, die durch den schrittweisen Kohleausstieg bedingten strukturellen Veränderungen in den Regionen mit den Betroffenen gemeinsam zu gestalten. So heißt es im Klimaschutzplan 2050:
"Für den zu bewältigenden Transformationsprozess müssen realistische Perspektiven für die betroffenen Branchen und Regionen entwickelt, daraus abgeleitete Konzepte und die dafür notwendigen konkreten Umsetzungsschritte vereinbart und die finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden. ... Die Kommission soll zur Unterstützung des Strukturwandels einen Instrumentenmix entwickeln, der wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozialverträglichkeit und Klimaschutz zusammenbringt. Dazu gehören notwendige Investitionen in den vom Strukturwandel betroffenen Branchen und Regionen und deren Finanzierung."
Im Lichte dessen verwundert es, dass die finanzielle Absicherung der betroffenen Regionen im Koalitionsvertrag nur einen letzten Spiegelstrich wert ist. Umso wichtiger ist es, dass im jetzigen Arbeitsauftrag das zentrale Ziel der Kommission unmissverständlich klargestellt wird: den durch den schrittweisen Kohleausstieg bedingten Strukturwandel in den Regionen und für die Beschäftigten zu gestalten.
Geld muss in den regionalen Strukturwandel fließen
Hierzu bedarf es in der Kommission eines breiten Kreises aus Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft, Umweltverbänden und regionalen Vertretern. Denn nur so können alle Bedürfnisse bedacht und berücksichtigt werden, um den Transformationsweg sozialverträglich und im Sinne aller Beteiligten zu beschreiben.
Zur Person
Annalena Baerbock ist Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg.
Zugleich bedeutet dies, dass die im Koalitionsvertrag bereits zugesagten finanziellen Mittel genau für diesen Prozess verwendet werden. Denn es muss für alle in der Kommission Vertretenen klar sein, dass unter "finanzieller Absicherung" nicht verstanden werden darf, dass die Energiekonzerne Abschaltungen von Kohlekraftwerken auch noch vergoldet bekommen.
Das Geld von Bund und Ländern muss dazu genutzt werden, die Transformation der Wirtschaft in den betroffenen Regionen zu unterstützen. Das kann von der Ansiedlung und Unterstützung von Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen im Bereich Speicher und Erneuerbare über den Ausbau von Breitbandnetzen und der Bahnverbindungen von der Lausitz Richtung Berlin und Dresden bis zur Etablierung von Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen für Beschäftigte, aber ebenso für Zulieferer reichen.
Auch ein Staatsvertrag sowie die Ansiedlung einer Bundesbehörde könnten mit Blick auf die Lausitz hilfreich sein. Im Arbeitsauftrag der Kohlekommission muss zudem die Frage des Umgangs mit den Folgeschäden und -kosten verankert sein. Dafür müssen die Betreiber in die Pflicht genommen werden.
Grundlage des Mandats sind die Klimaziele
Aus dem Kernauftrag der Kommission geht auch klar hervor, dass die Entscheidung, in welchem Maße Kohlekraftwerke vom Netz gehen, von Anfang an Voraussetzung für die Kommissionsarbeit war und nicht ihr Inhalt. Grundlage sind die Klimaziele, die im Klimaschutzplan für 2030 und 2050 auch bereits sektoral aufgeschlüsselt sind.
Wie man die Lücke zum Erreichen des 2020er Klimaziels versorgungssicher schließen kann, wurde bereits während der Jamaika-Sondierungsgespräche deutlich. Mindestens 7.000 Megawatt, besser sogar 10.000 oder mehr, müssen bis 2020 abgeschaltet werden, um überhaupt noch eine Chance zu haben, das im Koalitionsvertrag zugesagte 2020-Ziel zu schaffen. Im November kam im Bundestag auch von der Union die Maßgabe, nicht dahinter zurückfallen zu dürfen.
Aufgabe der Kommission muss es sein, auf Grundlage der im Mandat verankerten abzuschaltenden Megawatt ein Programm zu entwickeln, mit dem diese rechtssicher, regional und sozial ausgewogen verteilt und im Einklang mit der Netzstabilität abgeschaltet werden können. Darauf aufbauend müssen die schrittweise Folgeabschaltung bis 2030 sowie das von der Regierung plötzlich so zentral hochgehaltene Enddatum festgelegt werden, was jedoch der letzte und nicht der erste Schritt wäre.
Ohne Vertrauensbasis geht es nicht
Angesichts der unterschiedlichen Akteure in der Kommission, aber auch der betroffenen Regionen, sind Vertrauen und eine angemessene Zusammensetzung des Gremiums essenziell für die Arbeit. Umso unverständlicher ist es, dass Umweltministerin Schulze nur eine unter vier Ministern ist, obwohl es hier um die Erfüllung des Pariser Klimavertrages geht.
Dass es nun auch, anders als von Umweltverbänden gefordert, für die Arbeitszeit der Kommission kein Moratorium für neue Kraftwerke oder Erweiterungen gibt, erschüttert das Vertrauen, bevor die Gespräche überhaupt angefangen haben. Wie kann man glaubhaft über das Ende der Kohle diskutieren, wenn zeitgleich im Hambacher Forst Bäume gefällt werden und in der Lausitz Menschen die Zwangsenteignung ihrer Häuser fürchten müssen – für Kohle, die noch nach 2050 verfeuert werden soll?