Die Kohlekommission hat vor zwei Wochen ihre Blaupause für den Kohleausstieg beschlossen, der spätestens 2038 abgeschlossen sein soll. Auch die Klima- und Umwelt-Fachleute in dem Gremium stimmten zu, allerdings mit "starken" Bauchschmerzen – wegen des ihrer Meinung nach zu späten Schlussdatums.
Ein Experte warnt nun, die Kohleverstromung könne trotz der geplanten Abschaltung einer ganzen Reihe von Kraftwerken bis 2030 sogar noch zunehmen. Grund dafür sei, dass die verbleibenden Kohlekraftwerke aufgrund des Atomausstiegs stärker zur Sicherung der sogenannten Strom-Grundlast benötigt würden.
Andere Experten sehen die Lage indes weniger dramatisch.
Die mit dem Kohlekompromiss erhofften Verbesserungen für den Klimaschutz seien eine "Mogelpackung", kritisiert Matthias Kroll, Chefökonom der Hamburger Stiftung World Future Council, auch bekannt als Weltzukunftsrat. Der vorgeschlagene Ausstiegspfad sei nicht nur wegen des späten Endtermins problematisch.
Es gebe eine weitere Hürde: "Für den Klimaschutz ist nicht entscheidend, wie viel Kraftwerkskapazität stillgelegt wird, sondern um wie viel die Stromerzeugung mit Kohle tatsächlich zurückgeht." Mit dem aktuellen Ausstiegsmodell sei unter dem Strich ein Anstieg der Stromproduktion aus Kohle um etwa 16 Prozent zu erwarten, entsprechend wachse der CO2-Ausstoß.
Derzeit sind in Deutschland Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke mit zusammen etwa 42.000 Megawatt Spitzenleistung am Netz. Davon sollen laut dem Kompromiss bis Ende 2022 rund 12.000 Megawatt stillgelegt werden. Kroll rechnet damit, dass die verbleibenden Anlagen mit ihren rund 30.000 Megawatt mehr Strom und damit mehr CO2-Emissionen produzieren werden als heute.
Experte fordert mehr Speicher für Erneuerbare
Der Ökonom erwartet, dass die Anlagen künftig deutlich stärker als heute ausgelastet sind, da sie Grundlast übernehmen, die bisher von Atomkraftwerken geliefert wird. Bis 2022 werden noch sieben Reaktoren abgeschaltet, die zusammen 9.500 Megawatt leisten.
Kroll fordert nun allerdings nicht, die AKW länger am Netz zu lassen, wie das jüngst erst wieder von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ins Gespräch gebracht wurde. Der AKW-Ausstieg sei "unerlässlich", meint der Ökonom.
Vielmehr müssten die ab 2022 verbleibenden 30.000 Megawatt Kohlekraft zügig weiter verringert werden und parallel der Ausbau der Öko-Energien, der dazugehörigen Speichersysteme – Stichwort Power-to-Gas – sowie der Bau neuer Erdgaskraftwerke forciert werden.
Der Energieexperte des Öko-Instituts, Felix Matthes, wies Krolls Warnung zurück. Eigene und von anderen Instituten durchgeführte Modellanalysen zu den Emissions-, Stromaußenhandels- und Strompreis-Effekten zeigten, dass bei dem geplanten Ausstiegspfad nicht mit steigenden Emissionen zu rechnen sei. Matthes war Mitglied in der Kommission.