Claudia Kemfert. (Foto: Stanislav Jenis)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, die Grünen haben einen Zehn-Punkte-Plan zum Kohleausstieg vorgelegt. Entschädigungszahlungen soll es danach nur geben, wenn "unzumutbare wirtschaftliche Belastungen verbleiben". Die Partei plädiert für ein maximales Emissionsbudget für die Kraftwerksbetreiber. Ein sinnvoller Vorschlag?

Claudia Kemfert: Im Sachverständigenrat für Umweltfragen haben wir im Rahmen eines Sondergutachtens für einen raschen Kohleausstieg plädiert und empfehlen die Festlegung eines solchen Emissionsbudgets, das für die Kohleverstromung noch übrig bleibt, wenn die Pariser Klimaziele eingehalten werden sollen.

Das waren bei Erscheinen des Sondergutachtens im Jahr 2017 noch 2.000 Millionen Tonnen. Heute sind es, aufgrund von klimapolitischer Untätigkeit, nur noch schätzungsweise 1.500 Millionen Tonnen.

Ein wichtiger Vorteil eines maximalen Emissionsbudgets ist neben der direkten Kontrolle die mögliche Flexibilität, die es – ähnlich wie beim Atomausstieg – den Kraftwerksbetreibern ermöglicht, selbst zu entscheiden, welches Kraftwerk wie lange am Netz bleibt.

Je früher alte und ineffiziente Kraftwerke vom Netz gehen und die restlichen Kapazitäten gedrosselt werden, desto mehr Spielraum bleibt für später. Und umgekehrt: Je später begonnen wird, desto abrupter muss der Kohleausstieg passieren.

Auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank haben 23 Finanzminister – darunter Olaf Scholz – ihre Absicht bekundet, stärker gegen den Klimawandel vorzugehen. Kann diese neue "Klimakoalition" eine Wende einleiten?

Grundsätzlich ist es gut, dass es diese Klimakoalition gibt, allerdings klafft noch immer eine große Lücke zwischen Theorie und Praxis. Nach wie vor fließen Subventionen in fossile Energien, es werden wenig nachhaltige Projekte finanziert. Ab heute müssen sämtliche Investitionen statt in fossile in erneuerbare Energien fließen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen: "Renewables only."

Dafür müssen die Rahmenbedingungen angepasst werden – von der kompletten Abschaffung jeglicher fossiler und atomarer Subventionen über die Verteuerung fossiler Energien bis zur Regulierung der Finanzmärkte für die Investitionen in die globalen Energiewende.

Davon sind wir noch immer weit entfernt – leider. Obwohl bekannt ist, dass die Risiken des Klimawandels und die Gefahren der "stranded assets" und einer "CO2-Blase" enorm sind. Die Finanzmärkte müssen sich radikal ändern, wenn sie nicht wieder in eine Krise schlittern wollen.

Arkona, der größte Ostsee-Windpark, ist diese Woche in Betrieb gegangen. Bundeskanzlerin Merkel hielt die Festrede und sprach von einem Projekt "von nationaler Bedeutung". Was heißt das für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien?

In der Tat ist die Energiewende – nicht nur dieses Projekt – von nationaler Bedeutung. Es ist sogar mehr als das. Um die Energiewende-Ziele zu erreichen, müssen weitaus mehr Windparks gebaut werden, auf See und an Land, und hier nicht nur im Norden, sondern auch im Süden.

Der Kohleausstieg wird einen deutlich schnelleren und stärkeren Ausbau erneuerbarer Energien notwendig machen. Um nicht in eine Ökostromlücke zu geraten, muss der Ausbau im kommenden Jahrzehnt mindestens verdoppelt werden. Dafür müssen die Rahmenbedingungen angepasst werden. Das ist wirklich eine Aufgabe von nationaler Bedeutung.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Energiewende in Bayern ist fast zum Erliegen gekommen – ganze acht Windanlagen wurden wegen der ungünstigen Rahmenbedingungen im letzten Jahr errichtet. Die Begründung des bayerischen Ministerpräsidenten für dieses Erlahmen ist erstaunlich: Angeblich fehlen Energiespeicher.

Und das, obwohl weltweit führende Speicherforscher in Bayern ansässig sind und viele Speicher auch schon eingesetzt werden. Statt die Energiewende in Bayern voranzubringen müssen offenbar lahme Ausreden herhalten.

Aber was soll's: Da der Strom im Norden durch die Energiewende immer billiger wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Industrien und Unternehmen sich dort ansiedeln beziehungsweise dorthin umsiedeln – was auch die Kanzlerin bei der Einweihung des neuen Offshore-Windparks richtigerweise erwähnte.

Wenn die bayerischen Unternehmen in den Norden abgewandert sind, müssen sich die Bayern auch nicht mehr über den Länderfinanzausgleich ärgern. Und die "Bayerischen Motorenwerke" heißen dann vielleicht "Bremische Motorenwerke" – ganz zur Freude der Bremer. So hat doch alles sein Gutes.

Fragen: Verena Kern

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