Porträtaufnahme von Jens Mühlhaus.
Jens Mühlhaus. (Foto: Tobias Hase)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.

Klimareporter°: Herr Mühlhaus, der Rat für Nachhaltige Entwicklung und die Wissenschaftsakademie Leopoldina fordern mehr Erneuerbare, einen höheren CO2-Preis für Gebäude und Verkehr und das Ende fossiler Subventionen. "Wir leben weltweit auf Kosten jüngerer und künftiger Generationen", sagte Bundeskanzlerin Merkel dazu. Man dürfe diese Generationen mit den Klima- und Umweltproblemen nicht allein lassen. Was denken Sie, wenn Sie das hören?

Jens Mühlhaus: Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, Organisationen und Unternehmen, die in 16 Jahren Merkel genau das versucht haben: den Herausforderungen des Klimawandels zu trotzen und den nachfolgenden Generationen eine Lebensgrundlage zu erhalten.

Als Klimakanzlerin a. D. hatte sie es in der Hand. Sie saß am Steuer. Deutschland hatte jegliche Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Unser Land könnte heute ganz woanders stehen. Warum hinken wir den Klimazielen immer noch so hinterher?

Und auch wenn Merkel hier selbstkritisch zugibt: "Was wir bisher tun, reicht schlichtweg nicht aus", bleibt die Frage: Sinneswandel oder taktisches Manöver im Wahlkampf? 

Mich beschäftigt so kurz vor der Bundeswahl eines: Unsere Green City AG gibt es seit gut 16 Jahren – genauso lange, wie Angela Merkel Bundeskanzlerin ist. Wir sind angetreten als Tochter unseres Umweltvereins, um Erneuerbare-Energien-Anlagen zu bauen – trotz einer schwarz-roten Bundesregierung.

Mit allen Widrigkeiten, die diese in all den Jahren mit sich gebracht hat: erst Einbruch Solarenergie 2012, dann Einbruch Windenergie 2017. Und heute – 16 Jahre später – können wir sagen: Trotz dieser Bundesregierung haben wir es geschafft, unserer Mission von damals treu zu bleiben. Wie würde es sich nur anfühlen, nicht trotz, sondern wegen einer Bundesregierung unser Geschäft voranzutreiben? 

An diesem Wochenende haben die Grünen auf einem Parteitag ihr Wahlprogramm beschlossen und ihre Spitzenkandidatin gekürt. Die Partei hat gerade einen Höhenflug und einige Tiefschläge hinter sich. Was wünschen Sie sich von den Grünen und ihrem Wahlprogramm?

Ich wünsche mir, dass die Partei sich jetzt nicht im Klein-Klein verliert und nicht aus der Ruhe bringen lässt. Unser Land steht vor einer möglicherweise historischen Klimawahl, die einen echten Wandel mit sich bringen könnte.

Der Dreh- und Angelpunkt bleibt für die Grünen eine durchdachte Klimapolitik. Denn der Weg zur Klimaneutralität bis 2030 muss dringend geebnet werden. Dann müssen wir unseren Strombedarf vollständig aus erneuerbaren Energien decken. 

Nützlich dafür sind jetzt nicht tausende Gegenanträge für das grüne Wahlprogramm, innerparteiliche Querelen und immer neue Nebenkriegsschauplätze. 

Neben der Überwindung ist Corona-Pandemie ist der Klimawandel das größte Problem unserer heutigen Zeit. Nur wenn die Grünen es schaffen, nach diesem Wochenende mit einer klaren Haltung und Vision dazustehen, haben sie eine Chance, nicht im machtpolitischen Gerangel unterzugehen.

Und nur so können sie auch der Achterbahn-Berichterstattung der letzten Wochen trotzen und ihre Kernkompetenz voll ausspielen: den Kampf gegen die anrollende Klimakrise.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Überrascht haben mich Meldungen der Deutschen Flugsicherung und des Wirtschaftsministeriums am Freitag, wonach bei der Navigation für den Luftverkehr die UKW-Drehfunkfeuer reduziert und stattdessen satellitengestützte Navigationsverfahren stärker eingesetzt werden sollen.

Im Umkreis von Drehfunkfeuern wurden Windkraftanlagen bisher oft nicht zugelassen, weil sie zu Beeinträchtigungen führen konnten. Die alten Navigationsanlagen sollen nun abgebaut und die neugewonnenen Flächen für Windkraft an Land genutzt werden. Laut Wirtschaftsminister Altmaier könnten so zusätzlich Windenergie-Anlagen mit 700 Megawatt Gesamtkapazität errichtet werden. 

Was sich viel anhört, ist gerade mal die Hälfte, von dem, was im vergangenen Jahr an Windenergie an Land hinzukam. Und ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man überlegt, dass wir 2030 rund 170.000 Megawatt Windkraft an Land benötigen und heute über knapp 55.000 Megawatt verfügen.

Mit einer konsequenten Ausbaustrategie für die Windenergie in Deutschland haben solche Mini-Schritte nur wenig zu tun.

Fragen: Jörg Staude und Sandra Kirchner

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